Nachrichten vom Höllenhund


Alles nur der Liebe wegen
18. Juni 2012, 20:17
Filed under: Theater

Alles nur der Liebe wegen
Ein „Projekt“ von Andreas Kriegenburg und den beteiligten Schauspielern

„Ich gehe jetzt nach Hause und trink’ noch ein Gläschen Weißwein, nein: Rotwein, Hauptsache Alkohol“. Das Publikum lacht begeistert. „Vielleicht sollte ich den Fernseher ins Schlafzimmer holen, dann ist endlich wieder was los.“ Das Publikum lacht vor Begeisterung. Erkennt es sich selbst? Erkennt es die Uralt-Witze wieder? Man hat eigentlich schon alles gesehen, was die Kammerspieler hier darbieten, aber meist besser, pointierter, entlarvender: Speed-Dating, ganz modern. Tanzveranstaltung, immer noch en vogue, Einsamkeit. Ringelspiel, kindisch.

Die Schauspieler agieren, tanzen, drehen sich, stellen sich an die Wand oder ins Eck. Die ständigen Auf- und Abtritte durch die beiden Boulevardschlosstüren simulieren den Reigen, die Umzüge täuschen Vielfalt vor, die Bühnentechnik ist bombastisch und drehbar. Bloß das „Stück“ gibt nichts her. Es verplempert sich in meist banalen Einfällen, es ist keine Struktur erkennbar, zu vieles macht nichts. Da ist kein Zusammenhang, bloß Kommen, Gehen und sich Drehen. Alles wirkt wie ein Stegreifspiel, soll das vielleicht auch, aber man möchte dahinter doch ein Konzept erkennen. Das kann nicht nur daran liegen, dass Regisseur Kriegenburg das Potpourri mit den Schauspielern erarbeitet hat, das krankt daran, dass er die Schauspier nicht anregt, lenkt und auch mal bremst, wenn’s zu flach wird. (Gut, den Klamauk, den man aus der großen Wiebke Puls und dem kleinen Stefan Merki ziehen kann, will man nicht auslassen. Doch deutet sich damit schon das Niveau an.)

„Es sind drei Stränge der Liebe, die Andreas Kriegenburg in seinem Projekt ALLES NUR DER LIEBE WEGEN verfolgen wird: Liebe als Versuch, sich zu binden in einer heutigen Welt, in der die Angst, ein Leben in Einsamkeit fristen zu müssen, den Wunsch nach Begegnung gebiert; Liebe als ein alternatives Lebenskonzept, als Versuch, die Einsamkeit zu ignorieren und sich über die Liebe in einer Gemeinschaft aufzulösen; und Liebe, die durch das Ausbleiben von Begegnung ein zerstörerisches, destruktives Potential von Gewalt erzeugt.“ (Programm) – Das alles kann man im Theater sehen – oder eher ahnen, aber alles weiß man eigentlich schon. Die Szenen geben keine neue, gar unerwartete Auskunft, die Tableaus bleiben leer.

Ja, schon, es gibt auch Schönes und Gutes. Die aufdringlichen Fragen, die Wiebke Puls und Edmund Telgenkämper von ihrem Stuhl an der Rampe ans Publikum stellen, die sich in ihren Variationen ergänzen, Annette Paulmann in ihrer clownesk-verschlampten Parodierolle, der Shostakovich-Walzer ist ganz nett choreografiert. Anderes hat man schon zu oft gesehen, die umschlungenen Windungen von Silvana Krappatsch sind Gimmick, der Höhenflug von Lena Lauzemis ebenso, das Taschenlampenballett hat man vom Grundschultheater übernommen, die kracherte Tombola, bei der das Publikum – echte – Umarmungen gewinnen kann: Thema sinnlos verfehlt.

Die vielen begeisterten Kritiken kann ich so wenig verstehen wie die begeisterten Zuschauer. Für mich war es allenfalls ein „bunter Abend“ (Mounia Meiborg, der Freitag), „ein Figurenfasching mit bewegungsneurotischen Clowns“ (Astrid Kaminski, FAZ) Belanglos, zu lang.

Ich wünsche mir in den Kammerspielen schon mal wieder ein richtiges „Drama“, ein Stück, das auch für den Spielort Theater verfasst wurde. Die Nachspielereien von Prosatexten zeigen meist nicht mehr als diese selbst, Selbstverfasstes darf modern sein, aber es sollte in seiner Modernität nicht in zeitlose Beliebigkeit fallen. „Alles nur der Liebe wegen“ ist so zeitlos beliebig geworden, dass es auch von vorgestern stammen könnte.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 15. Juni 2012


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