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Marc Degens: Das kaputte Knie Gottes
Marc Degens erzählt vom Ruhrgebiet, die 80er-Jahre, die Freunde sollen hinaus ins Leben und kennen sich dort gar nicht aus. Mark ist der Erzähler, denn er studiert Germanistik, scheitert natürlich mit seinen dichterischen Plänen – und wird Lehrer. Und er erzählt auch wie ein Deutschlehrer: bieder, behäbig, starr im Stil. „Eine der verrücktesten Aktionen, die ich je in meinem Leben unternommen habe….“ Das ist Schulaufsatz. Recht langweilig, denn das Leben seines Freundes Dennis hätte doch so manches zu bieten. Dennis hat keinen rechten Plan, noch weniger als Mark, doch er findet über den Beton zur Skulptur, wird zunächst natürlich nicht beachtet und dann zum Liebling der Reichen und Schönen, der Kunst sammelnden Schönheitschirurgen samt nervenden Anhangs im roten Kleid.
»Brauchst du was zum Wachwerden?«, fragte mich Dennis. »Ich kann uns einen Tee machen. Ich habe auch etwas Koks da.«
Ich hatte noch nie Kokain genommen und fragte ängstlich nach der Wirkung. Dennis erzählte, dass man schon nach einmaliger Einnahme abhängig werden oder der Tod eintreten könne.
Der Roman hat durchaus seine skurillen Szenen, etwa die völlig in die Hose gegangene Ausstellung von Dennis’ Betonpenis im Frauenhaus – oder Dennis’ unerwartet in die Wohnung gelieferter Lotteriegewinn: eine Jahresladung Hundefutter der Firma “Lucky Dog”, was dazu führt, dass sich Dennis zwei Hunde zulegt, Lucky und Dog. Oder die “Zigarillo rauchende Salonkommunistin” Lily, die zur Unternehmensberaterin mutiert und nur noch Wirtschafts-Sprech absondert. Aber Degens erzählt nicht “mit feiner Ironie und schwarzem Humor”. Die “Persiflage auf den Kulturbetrieb” (Klappentext) läuft weitgehend ins Leere, „im Grunde genommen rennt er mit seinen satirischen Botschaften offene Türen ein.“ (Christoph Schröder, Zeit) Mark wird zum staunenden Beobachter, aber er fühlt sich dabei wie der Gymnasiast – und spätere Lehrer – aus der Provinz und so kritisiert er auch, was er vom Markt für Kunst so aufschnappt. Zu brav, zu ängstlich und – natürlich – auch zu klischeelastig.
„Das kaputte Knie Gottes“ ist übrigens Dennis’ erste Skulptur.
Zum ersten Mal erzählte Dennis Lily von seiner eigentlichen Arbeit, der Bildhauerei. Dass er überdimensionale Betonplastiken von menschlichen Körperteilen herstelle und dass ihm diese Betätigung ungeheure Freude und tiefe Befriedigung verschaffe.
»Wenn ich müsste«, gestand er, »würde ich dafür sogar Geld zahlen.«
Dennis schwärmte von dem Werkstoff Beton, zählte seine künstlerischen Vorbilder auf und erläuterte die einzigartigen Möglichkeiten, die die Bildhauerei bot.
»Eine Skulptur kannst du von vorn betrachten«, erklärte er, »von oben und von der Seite. Um eine Skulptur kannst du herumgehen. Ein Bild aber, egal, ob ein Gemälde oder ein Foto, kann nur einen flachen Eindruck von einem Gegenstand vermitteln. Deshalb ist die Bildhauerei auch der Malerei und Fotografie überlegen.«
Lily und Dennis hatten die Rollen getauscht, die Sätze sprudelten nur so aus ihm heraus. Während er sprach, sagte sie kein Wort und schaute ihn mit großen Augen an. Dennis unterbrach seine Rede erst, als er auf die Toilette musste; er hatte damit bis zum letzten Moment gewartet und sich fast in die Hose gemacht.
Als er an den Tisch zurückkehrte, wollte Lily auf der Stelle seine Arbeiten sehen, sie war ganz aufgeregt.
Die beiden fuhren mit dem Bus zu seinem Wattenscheider Domizil. In Dennis‘ Einzimmerwohnung herrschte das übliche Chaos. Man wusste nicht, wo man hintreten, geschweige denn sich hinsetzen sollte. Meißel, Hämmer und Spachtel lagen auf dem Boden herum, alle Gegenstände waren mit einer dicken Staub- und Pulverschicht überzogen.
Kaum hatte Dennis die Tür geöffnet, rannte Lily in den Raum, blieb vor »Das kaputte Knie Gottes« stehen, eine Plastik, zu dem ihn eine Biographie über Thomas von Aquin inspiriert hatte, und stieß einen Freudenschrei aus: »Ich habe es gewusst, vom ersten Augenblick an. Das ist sozialistischer Realismus! Du bist wundervoll.«
Sie umarmte Dennis und drückte ihren Kopf an seine Brust. Er legte seine Arme um ihre Schultern, spürte ihren hämmernden Herzschlag und schloss die Augen. »Sozialistischer Realismus, sozialistischer Realismus«, wiederholte sie leise.
Dann küssten sie sich.
»Meine Kunst hat Lily und mich zusammengebracht«, erzählte Dennis später voller Stolz.
Niemand konnte ahnen, dass sie die zwei auch wieder auseinanderbringen würde.
2011 250 Seiten
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Romanauszug – gelesen von Stefan Kaminski (16’)
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