Nachrichten vom Höllenhund


Hanika
29. Juni 2012, 16:30
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Iris Hanika: Das Eigentliche

Hans Frambachs Job und Aufgabe ist die „Vergangenheitsbewirtschaftung“. Die Gräuel der Nazizeit bestimmen und belasten sein Leben, für ihn ist dies „Das Eigentliche“. »Was eigentlich nicht auszuhalten ist, das ist die vollkommene Sinnlosigkeit dieses Leids. Jeden Leids. Es ist die Sinnlosigkeit, nicht das Leid, was nicht auszuhalten ist. Weil diese Sinn­losigkeit, diese Sinnlosigkeit dieses Verbrechens einen vielleicht bald erkennen ließe, daß überhaupt alles sinnlos ist.« Dieser Sinnlosigkeit kommt er nicht bei, auch nicht durch seine Arbeit, die ihm wichtig ist und die ihm doch selbst den Sinn seines Lebens immer fragwürdiger erscheinen lässt. Es stört ihn immer mehr, dass das Denken an die Opfer zur “Bewirtschaftung” geworden ist, mechanisches Registrieren von Dokumenten, und ,schlimmer noch, zur „Gedenkindustrie”, zur “Konkurrenz um die interessantesten Opfer”.

Frambachs Leben ist einsam geworden in seiner Melancholie, seiner “Akedia”. Seine Frau ? Partnerin ? Vertraute ? Graziela hat ihn verlassen, sie sucht den Sinn ihres Lebens bei einem Joachim und setzt dabei völlig auf das Glück des Körpers, ihr Eigentliches. Auch ihre Sucht dauert nicht lange, auch sie hält ein solches Leben nicht aus. Sie kehrt nicht zu Frambach zurück, aber sie ist und bleibt seine Partnerin für das Gespräch, seine einzige, für das Vertauen und den Sinn im Leben. Es wird natürlich gefragt, ob diese Gleichsetzung von Tod und Sex sein darf, ob das nicht obszön ist. Frambach besucht das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und er findet sich auf dem Weg der Häftlinge zu den Gaskammern. „Er konnte nicht umdrehen, jene hatten das auch nicht gekonnt.“ Aber dann biegt er doch ab, „vielmehr seine Füße hatten das getan, die hatten sich unter seinen Beinen von selbst nach rechts gedreht und waren in die Richtung gegangen, in die sie zeigten, nämlich die Lagerstraße hinunter zum Ausgang„. „Als er durch das Tor getreten ist, das Lagergelände verlassen und die Landstraße erreicht hat, folgt im Text eine Leerzeile, nach der ein knapper Satz steht: „Und war frei.““ Andreas Plattmann (FAZ) fragt sich, ob man so schreiben darf. Er gesteht es Hanika zu: „All das hält auch der zweiten Lektüre stand, weil es auf nahezu sämtliche Weisen, die der Literatur zu Gebote stehen, den Zwiespalt dessen aufzeigt, was Erinnerung ist.“

»Ich bin eben beim Nachdenken auf die Akedia gekommen, weil ich damit vielleicht erklären könnte, worin es eigentlich besteht, wie es sich äußert, mein Unglück. Es ist auch mehr eine Ahnung, ich weiß es wirklich noch nicht genau. – Aber vielleicht kann man das sowieso nicht genau wissen.«
»Mit Akedia wird ein Zustand beschrieben, in dem Mönche sich befinden, denen die Freude an Gott abhanden gekommen ist«, versuchte sie, ihm zu helfen.[…]
»Mir ist nicht die Freude an Gott abhanden gekommen«, sagte er schließlich, »sondern die Freude an der Vergangen­heitsbewirtschaftung. Mir ist die Gewißheit abhanden ge­kommen, daß ich diese Arbeit tun muß. Es ist nicht so, daß ich dächte, sie müsse nicht getan werden. Ich frage mich nur, ob ich sie tun muß. Das heißt, ob ich sie weiterhin tun muß, ich habe sie ja nun schon sehr lange getan. Nur ist es halt in­zwischen keine Arbeit mehr, die getan werden muß, sondern aus dieser Arbeit ist das Shoah-Business geworden. Und darin fühle ich mich fremd. Weil das für mich eben kein Geschäft ist. Wirklich nicht. Ganz im Gegenteil.« 

Dieser Zustand der permanenten Aufdeckung des Verbre­chens der Altvorderen war nicht schön, doch nötig, und als er nicht mehr nötig schien, war es gar nicht mehr schön. Da besann der Staat sich auf seine Pflicht seinen Bürgern gegen­über und beschloß, ihnen diese Bürde abzunehmen, indem er das Gedenken an das Verbrechen der Vergangenheit zu seiner immerwährenden Aufgabe erklärte. Die Verpflichtung, sie zu erfüllen, wurde in Denkmäler hineingegossen, deren Zahl um so schneller wuchs, je länger das Verbrechen zurücklag.
Jeder Ort, und derer waren viele, an dem das Verbrechen sich ereignet hatte, wurde in eine Gedenkstätte umgewandelt. Es wurde dieses Gedenken nicht mehr als eine bloß notwendige, sondern als die edelste Aufgabe des Staates angesehen, und nirgends war es ehrenvoller zu arbeiten als im Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung, das in der Mitte der Haupt­stadt des Landes angesiedelt war, weil hier, und das war eben offiziell, das Herz des Landes schlug. (Natürlich befand sich in diesem Gebäude nur die Zentrale des Instituts; seine vielen Nebenstellen waren übers ganze Land verteilt.)
So war die Dunkelheit, aus der dieser Staat vor langer Zeit hervorgekrochen war, in das hellste Licht gestellt und zu sei­nem Eigentlichen erklärt worden, was nur logisch war, schließ­lich war es der Grund seiner Gründung.
Es wußten alle darum.
Es war kein Geheimnis und mußte nicht diskutiert wer­den.
Es war wirklich das Eigentliche.
Nur war es nicht mehr interessant, seit es auf dem Präsen­tierteller dargeboten wurde und wie von tausend Sonnen so hell und von allen Seiten beleuchtet war. Aus dem Blitzkrieg war Blitzlicht geworden und aus der Wirklichkeit dieses Ver­brechens eine Geschichte aus alten Zeiten.

2010         175 Seiten (Tabu)

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