Nachrichten vom Höllenhund


Pérez-Reverte
16. Juli 2012, 17:56
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Arturo Pérez-Reverte: Der Schlachtenmaler

Andrés Faulques war Kriegsfotograf und hat sich, nachdem er sich davon zurückgezogen hat, an der spanischen Küste einen Turm gemietet, in den er jetzt das Panorama des Krieges als solchen malt. Für das Rundbild verarbeitet er seine Eindrücke und Bilder, Pérez-Reverte begleitet ihn beim Malen, erklärt die Farben und ihre Wirkungen, analysiert mit dem „Schlachtenmaler“ die Prinzipien der Komposition. Im Mittelpunkt der Gedanken steht die Frage, ob man den Krieg überhaupt darstellen kann, wie distanziert man sich den Gräueln gegenüber zeigen muss, um nicht selber in den Strudel des Geschehens gerissen und damit scheitern zu müssen. Der Maler hat andere Möglichkeiten, vor allem die Zeit, die Gestaltung des Bildes zu reflektieren und eine Zusammenschau zu bieten. Das Foto „lebt“ von dem einen Augenblick, der alles Leid, jeden Schrecken in sich vereint und repräsentiert.

Es sei ein grundlegendes Element der Quantenmechanik, dass der Mensch die Wirklichkeit schaffe, wenn er sie beobachte. Was es vor einer solchen Beobachtung wirklich gebe, seien alle möglichen Situationen. Erst durch den Blick konkretisiere sich die Natur und nehme Stellung. Daher gebe es eine innere Unbestimmtheit, und der Mensch sei eher Zeuge als Hauptperson. Oder, wo sie gerade dabei seien, die Angelegenheit erschöpfend zu behandeln, beides zugleich: sowohl Opfer als auch Schuldiger.

Der Roman setzt diese Überlegungen ins Zentrum. Die Gegenwart des Malens wird durchfurcht von den Erinnerungen. Faulques’ Geliebte und Partnerin Olvido füllt die Reminiszenzen. Er fühlt sich mitschuldig an ihrem Tod, er hat niemand mehr, mit dem er sich austauschen kann, niemand mehr, der ihn bestärkt und korrigiert.

»Du fotografierst Leute und suchst dabei nach den Geraden und Kurven, die sie töten wer­den«, erklärte sie plötzlich lachend, nachdem sie ihn eine Weile still beobachtet hatte. »Du fotografierst die Dinge und suchst dabei nach den Winkeln, an denen sie zusammenbre­chen werden. Du machst Jagd auf vorzeitige Leichen und Ruinen, die du errätst. Manchmal denke ich, dass du mich mit dieser trostlosen und heftigen Verzweiflung liebst, weil du, wenn du mich umarmst, die Leiche spürst, die ich eines Tages bin oder die wir beide sein werden. Du bist in absehbarer Zeit erledigt, Faulques. Bald bist du kein schweigsamer und ma­gerer Soldat mehr. Du weißt es nicht, aber du hast dich mit dem Virus angesteckt, der dich schließlich an der Arbeit hin­dern wird. Eines Tages hältst du dir die Kamera ans Gesicht, und wenn du durch den Sucher schaust, siehst du nur Linien, Volumen und kosmische Gesetze. Ich hoffe, dass ich dann nicht bei dir bin, weil du als reiner Autist unerträglich sein wirst.

Die äußere Handlung setzt ein, als plötzlich der Kroate Ivo Marković im Turm auftaucht und ankündigt, Faulques ermorden zu wollen. Faulques hatte Marković in Vukovar fotografiert und mit der Veröffentlichung dieses Bildes nicht nur Ruhm erworben, sondern auch Marković’ Leben zerstört. In langen Gesprächen setzten sich Faulques und Marković mit ihren Traumata auseinander, sie versuchen und lernen sich zu verstehen. Die Morddrohung hält die Handlung spannend.

„Der Schlachtenmaler“ ist ein tiefsinniger Roman. Pérez-Reverte befasst sich mit der Geometrie der Bildkomposition, mit der Wirkung der Farben, mit Lebensentwürfen, mit Fragen der Ethik des Menschenschlachtens. Er weist auf die Vorbilder des Schlachtenmalers, Pierro della Francesca, Paolo Uccello, Aniello Falcone, Marc Chagall, viele andere und natürlich Goya hin.

Es ist nicht ganz leicht, in den Roman zu kommen, er wirkt zu schwer, zu beladen. Man meint das Blut der Erde in jedem Satz zu spüren, jeder Riss an der Wand des Turms muss Symbol sein.

Er hatte versucht, den Riss auszubessern, in­dem er ihn mit einer Mischung aus Acrylharz und Marmor­pulver füllte. Er trug sie mit einem Spachtel auf und übermalte das Ganze. Aber das änderte nicht viel an dem Problem: Die Spalte breitete sich langsam und unerbittlich weiter aus. Wäh­rend sich Faulques mit einem feuchten Lappen das Grau und Blau von den Fingern wischte, betrachtete er resigniert den Riss an der Wand. Im Grunde, tröstete er sich, gehörte das zu der Geheimschrift. Der Zickzack des Chaos und seine verbor­genen Bedeutungen.

Olvido ist natürlich perfekt in Form und Geist. Darunter geht’s nicht. Das sollte bei seriösen Büchern immer misstrauisch machen. Zu tiefer Sinn kann auch Gehalt vortäuschen. Leichter wird’s, als Marković auftritt. Er stellt sich vor als jemand, der sich bisher noch nicht so viele tiefsinnige Gedanken machen konnte, Faulques muss sich auf sein Wissen und sein Erleben einstellen, ihm in verstehbaren Worten seine Motive erklären. Es kann kein Ergebnis geben, aber man kann sich auf die moralischen und technischen Probleme der Darstellung der Schrecken des Krieges einlassen.

2006     287 Seiten

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