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Franz-Xaver Kroetz: Wunschkonzert
Die Frau kommt von der Arbeit nach Hause, hat bei Edeka noch das Nötigste eingekauft und hat nun den Abend vor sich. Einen Abend wie jeden anderen Abend auch. Einen Abend, der wie alle anderen Abende zu lang ist. Die üblichen Verrichtungen reichen nicht aus, ihn zu füllen. Sie weiß, dass noch viele, zu viele dieser Abende folgen werden.
Es gibt keine Beschleunigungen. Annette Paulmann spielt den Abend der Frau Rasch in Echtzeit. Das dauert eineinviertel Stunden. Das Auspacken der Einkäufe, das Abschminken, das Fernsehen lenkt mit seinen Tiersendungen auf allen Kanälen nicht ab, die Handarbeit ist lustlose Routine. Am längsten dauert das Essen, vor allem, wenn man es durch die Tücken der Verpackungen hinauszögern kann (eine allzu billige Regieidee). Das Radio hat seine kommunikative Bedeutung verloren, ein „Wunschkonzert“ gibt es nicht mehr. Die Musik bringt – auch für Annette Paulmann – ein wenig Bewegung, man kann es sogar lauter stellen, mehr ist nicht. 20% der Haushalte sind 2011 Single-Haushalte, in vielen wird es ähnlich zugehen.
Was mir nicht klar wird: Weshalb bringt sie sich um? Sind es die Gedanken an die zu vielen noch bevorstehenden Abende? Akkumuliert sich das Gefühl, sein Leben nicht ausfüllen zu können, zur schließlichen Depression? Aber weshalb gerade diesen Abend? Ich sehe nichts, was diesen Abend von den anderen so abgrenzt, dass der Entschluss zum Selbstmord unausweichlich wird. Das bisschen Nachtbaustellen-Gerumpel kann es nicht gewesen sein. Und auch nicht das (erstmalige?) Versagen beim Auspacken des Schinkens. „Der Selbstmord, dessen Vorbereitungen ohne Übergang aus den täglichen und deshalb als normal erachteten Tätigkeiten heraus passieren, vollzieht sich mit der gleichen Ordnungsliebe, gleich säuberlich, bieder und stumm-trostlos wie das Leben, das ihn verursacht“, sagt Franz-Xaver Kroetz. Das ist der Satz. Frau Rasch stellt sogar noch das Geschirr fürs Frühstück auf den Tisch. Wird so der Tod zur Lösung? (Bei der Vorführung hat ein Heinzelmann Teller und Eierbecher wieder beseitigt!?)
Annette Paulmann spielt konzentriert, sie stellt sich aus in ihrem Glashaus-Container, lässt den gezoomten Blick in ihr Gesicht zu. Das fasziniert, langweilt aber auch, weil Frau Rasch eine Pedantin ist, zu sorgfältig, zu sehr darauf bedacht, dass ihre Handlungen bis zum Schlafengehen reichen. Das Würfelhaus, in dem sie lebt, noch lebt, erinnert mit seinen Sichtscheiben an die Tierkäfige im Zoo. Der Zuschauer weiß, dass er ohne Gefahr zum Beobachter werden kann. Disfunktional ist die Einrichtung. Ein Relikt aus den 70er-Jahren mit ihren Multifunktionsmöbeln? Vielleicht wäre der Selbstmord zu vermeiden gewesen, hätte Frau Rasch einen Stuhl gehabt, um sich beim Essen nicht verbiegen zu müssen, auch um einen gemütlichen Platz zu besitzen? Weshalb Annette Paulmann öfter aus dem Häuschen kommt, um dieses zu drehen, erschließt sich mir nicht. Es dürfte aber auch nicht sein, denn das Deprimierende ist ja ihre abendliche Einsamkeit in der trostlosen Wohnung.
Was zentral fehlt, ist das „Wunschkonzert“. Regisseur David Heiligers ist zu jung, um sich noch an die „kultige“ Sendung des Bayerischen Rundfunks mit Fred Rauch zu erinnern. Aber er hätte sich informieren können und müssen. Denn die soften 70er-Jahre Popsongs à la Fleetwood Mac transportieren die Wünsche und Sehnsüchte nicht, sie verplätschern. Bei Fred Rauch nahmen einen auch die Texte der Schlager bei der Hand, auch seine „Ansagen“, die übermittelten Grüße und Wünsche! Geholfen hat das Wünschen aber auch damals nicht.
Die Inszenierung ist in ihrer Realität bieder, es ergibt sich kein aktueller Bezug und auch der Blick auf die Vergangenheit wird verstellt. Vom politischen Gedanken des Autors Kroetz ahnt Heiligers wohl nichts. Ist das trotz der vollen Worte von Intendant Johan Simons die Gegenwart der Kammerspiele? Das wär’ ein bisschen traurig.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 20. Juli 2012
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