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Robert Gernhardt: Toscana mia
Das kleine Glück, kein Studienrat zu sein.
“Toscana mia” versammelt Auszüge aus Robert Gernhardts Arbeitsheften 1980 – 2005, die er in seiner capanna, seinem italienischen “Wohnsitz” verfasste. Ausgewählt wurden Texte und Zeichnungen (oft die Katzen und der Hund), die neben den Beobachtungen des Alltags auch Reflexionen über die Ambivalenzen des Lebens in einem fremden Land enthalten.
Das Land bleibt doppelt fremd: Das Leben der Ansässigen folgt eigenen, für den Zugewanderten oft exotischen Regeln, der Künstler betrachtet das Land und die Leute, er notiert, ackert nicht. An den Tieren schätzt er, dass er sie gesehen hat, dass es sie noch gibt, der Einheimische schießt sie ab, weil sie seinen Lebensunterhalt stören oder weil er sie isst.
Toscanaglück
Nie in den mittlerweile 22 Jahren, die ich unterschiedlich lange hier verbrachte, ist mir derart deutlich geworden, was hiesige Landschaft, Architektur und Küche im günstigen Fall gemeinsam haben und was das Reisen, Wohnen und Essen in der Toscana derart zum Genuß werden läßt: Die Beschränkung auf einige wenige Ingredienzien, die raffiniert und abwechslungsreich komponiert werden, ohne daß darüber die Suggestion geradezu elementarer Einfachheit verlorenginge.
Die Landschaft setzt sich zusammen aus Hügel, Wald, Ölbaum, Weinfeld, Einzelbäumen wie Zypresse, Pinie, Eiche. Die Architektur variiert Kubus, Öffnung, Säule, Bogen, Treppe, Bruchstein, Ziegel, Pietra serena. Die Küche verwendet Fleisch, Öl, Hülsenfrüchte, Brot – das alles kann in Regelmäßigkeiten und Langeweile enden, mündet jedoch immer wieder in Epiphanien, die alle Mittelmäßigkeit vergessen lassen. Da schaut man dann durch den gebogensten aller Bögen auf den sinnfälligsten aller Landschaftsausschnitte und beißt gerade in das tomatigste Brot aller Zeiten.
Das ist Luxus, Gernhardt weiß das natürlich, alles. Er kann deshalb letztlich auch nicht heimisch werden, auch nicht zufrieden, das Glück heißt “Toscanaglück”. Der Dichter ist “bezaubert”.
Am bisher heißesten Tag des Jahres, am 2. Juli, ereilte uns noch einmal ungesucht und geradezu hinterrücks einer dieser leuchtenden Momente im Andersartigen, in Italien.
Schon in S. Giovanni hatte ich Hunger verspürt, einen kleinen Hunger – ein Panino sollte reichen. Doch dann hatten wir erst keine Bar gefunden, dann die »Taverna del Pescatore« verworfen, und schließlich war L. eingefallen, daß der Tankstelle ja auch eine Bar angegliedert war, wo es uns mal – wann? warum? – gefallen hatte.
Schon als wir tankten, dann als wir parkten, um zur Bar zu gehen, war ich erneut bezaubert: Das war ein Italien, das sich nur dem erschloß, dachte, nein: fühlte ich, der Land und Leute wirklich von Herzen liebt – eine leicht mondsüchtige Verbindung von Industrie, Handarbeit und Natur. Ich blickte auf ein Stilleben von Plastikeimer, Plastikflasche und Eisenwerkzeug auf Zementsockel im Schatten einer Pinie vor dem Hintergrund des blauen Pratomagno: Italien! Vor der Bar zwei sitzende Arbeiter, die offenbar was zu essen bestellt hatten und nun mit der Köchin Einzelheiten besprachen – wir wollten ja nur ein Panino, doch es sollte anders kommen. In der Bar gab es fertige kalte Gerichte, als sie uns serviert wurden, erhielten die Arbeiter ihr warmes Gericht – offenbar Würstchen in Soße – aber nein: Die Köchin bot uns eine Kostprobe an, wir dankten zunächst, doch dann konnte ich nicht an mich halten – die Arbeiter aßen Polpo auf geröstetem Brot in einem Sud, der an livornesische Fischküche erinnerte, und so war es auch. Die Köchin hatte vier Monate in Livorno das Fischkochen erlernt, Freitag sei bei ihr Fischtag, und wenn sie cacciucco koche, dann sei das »la fine del mondo«! Also bestellten auch wir Probierportionen vom Polpo, und es war mal wieder das schiere Glück, und die Köchin und die Arbeiter sprachen lang und ernsthaft darüber, wann Fisch und Salbei gut zusammenpassen, und ein kleiner Weißwein stieg etwas zu Kopf, und Versprechungen wurden gemacht: man werde im Herbst wiederkommen, um die Fischsuppe zu kosten – dann gingen wir mit Handschlag auseinander, und die ganze bellezza hatte samt Wasser, einem halben Liter Wein, Panzanella, Mozzarella, Gemüse, Brot und Polpo rund 22 Tausend Lire gekostet.
Das ist der nicht aufzulösende Zwiespalt. “Es war mal wieder das schiere Glück”, aber noch schöner ist es, wenn es viel billiger als in Frankfurt ist.
Gernhardt notiert erstaunlich viel Lästiges: die ausdörrende Hitze, den endlosen Lärm, die lästigen Tiere, die italienische Unordentlichkeit und Unpünktlichkeit, die absterbenden Pinien, das Ende der Landschaft, wie sie der deutsche Künstler im Kopf hat. Man könnte meinen, Robert gefällt’s nicht. Was das fremde Land dann doch erträglich macht, ist der deutsche Studienrat. Das Gefühl der Überlegenheit – Gernhardt reflektiert natürlich auch hier.
Je näher Ostern rückt, desto häufiger tritt der deutsche Studienrat in der Toscana auf, im Auto als Paar, paarweise wandernd (mit Rucksack), im Schwarm auf dem Fahrrad (terranova-Reisen, Offenbach) – kein noch so versteckter Winkel, kein noch so abgelegener Pfad ist vor ihm sicher.
Ich sehe ihn mit den stets gemischten Gefühlen dessen, der genau weiß, was die antreibt, da er selber ja auf ebendiesen einsamen Pfaden wandelt oder, wie sie, versteckte Winkel aufspürt – trotzdem fühle ich mich meinen Ebenbildern überlegen – frage mich keiner, weshalb.
Ja, ich trage mich sogar mit dem Gedanken, eine Strada dello Studienrat zu kreieren, die quer durch den Chianti führt – denn darauf immerhin ist einigermaßen Verlaß: Der deutsche Studienrat wird sich vorwiegend an den Chianti und die bewährten Bildungsstätten halten; auch der Radlerpulk kam nur bis zum Chiantikamm (von Castellina in Chianti aus) und bog dann zur Badia ab. Diese Strada müßte nach erprobten Schmecklecker-Kriterien zusammengestellt werden, Essen-, Kultur- und Folklore-Geheimtips in bunter Folge, und der Studienrat müßte so hindurchgeschleust werden, daß ihm keiner entgegenkommt und er sich fast oder ganz alleine wähnt: Jede Stunde dürfte nur 1 Studienrat den Punkt A passieren, und es müßte für eine gewisse Abflußgeschwindigkeit gesorgt und am Punkt B kontrolliert werden, damit jeder in den Genuß einer unverfälschten, von Touristen nicht verdorbenen Toscana käme – und so weiter.
Noch einmal: Was macht den Anblick der Landsleute in, beispielsweise, Gaiole so unangenehm? Was ruft dieses Gefühl der Irritation, des Abscheus, der Scham hervor? Vermutlich das Wissen um die Verwandtschaft. Das alles sind Toscana-Liebhaber wie ich. Also drängt sich die Frage auf, ob an der Geliebten etwas nicht stimmt. So, wie ich mich als Liebhaber einer Frau angesichts seltsamer Konkurrenten ja auch fragen würde: Was ist los mit der Frau?Wieso vermag die derart unterschiedliche (unterschiedlich würdige) Männer zu fesseln? Und: Wenn das meine Mitbewerber sind – wer bin dann ich?
Die Antwort: Ich bin kein Studienrat.
Vorherrschend aber, das Glücksgefühl geradezu konstituierend war das Wissen: Hier wäre der deutsche Studienrat schaudernd vorbeigefahren, um in irgendeinem pittoresken borgo im Chianti das vermeintlich authentische Italien zu finden, während das Herz dieses seltsamen Landes doch genau hier schlug, wo der Lack ab war, Eßkultur und Herzensbildung aber ungebrochen hochgehalten wurden.
2011 350 Seiten mit kleinem Glossar
Zwei kleine Animationen zu den Unterschieden zwischen
Italien und Europa bzw. Italien und Deutschland
von Bruno Bozzetto
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