Stewart O’Nan: Emily, allein
Im Klappentext steht, dass nach einem Kollaps ihrer Schwägerin für Emily Maxwell “alles anders” wird: “Auf einmal offeriert ihr das Leben neue Möglichkeiten.” Diese Ankündigung lässt sich schwer überprüfen, da man Emily erst jetzt kennenlernt. Sie lebt vielleicht etwas bewusster, aber sie tut, was sie auch zuvor schon getan hat. Allerdings kauft sie sich ein neues Auto, da ihr der Oldsmobile ihres verstorbenen Mannes zu groß ist. Die Höhepunkte ihres Lebens erlebt und erleidet sie mit dem Jahreslauf. Weihnachten, der Winter, der Frühling, Thanksgiving, alles will vorbereitet sein, alles verlangt nach Tradition, die Enttäuschungen wollen verarbeitet werden. Die Bekannten werden älter, gebrechlicher, sterben weg, es bleibt ihre Schwägerin Arlene als Genossin für die kleinen Sorgen und die nicht größeren Wohltaten, etwa das Essen im Eat’n’Park oder der Besuch im Museum. Die Kinder sind aus dem Haus, mitsamt den Enkeln, man telefoniert miteinander, hat sich aber eigentlich nichts zu sagen. Die Nachbarn helfen bei manchen Arbeiten, man bleibt sich fremd. Der einzige, der Emily braucht, ist ihr Hund Rufus, auch er ältlich und eigen geworden.
Emily, die gutbürgerliche Witwe, reflektiert ihr Leben, die Erziehung ihrer Kinder, vergleicht sich mit ihrer eigenen Mutter. Sie erkennt sich in ihren Kindern und ist deshalb verstört. Das in verlässliche Geflechte eingebundene Leben existiert für die Jüngeren nicht mehr. Die Herkunft, die soziale Schicht, geben keine Sicherheit, der “Club” der gleichgesinnten Bessergestellten ist dem volatilen Einzelnen gewichen, der seine Position schwer finden und kaum halten kann, in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise schon gar nicht mehr. Emily hält sich für überlebt, es gibt kein Zurück, vorne wartet nur das Ende.
Stewart O’Nan erzählt Emilys Leben so beschaulich, wie es von außen erscheint, auch wenn Emily selbst vor lauter Stolpersteinen steht. Jedes kleine Problem erhält ein eigenes Kapitelchen, es entsteht das Mosaik eines Lebens im Alter, mit Mulden und labilen Freuden, eintönig nur, wenn man mehr erwartet oder wenn man mehr noch leisten könnte. O’Nan inszeniert keinen Einbruch, keinen Absturz, nicht das große Drama. Es gibt kein Böses, das von außen kommt, wie in früheren Romanen. Das Existenzbedrohende ist das Leben selbst.
«Tut mir leid, dass du nicht gern hierher zurückkommst», hatte ihre Mutter oft gesagt, um ihre belanglosen Streitereien zu beenden. Wie sollte Emily es erklären: Sie hatte weder ihre Mutter noch Kersey verleugnet, sondern ihr früheres Ich, das sonderbare, undankbare Mädchen, das bestrebt war, in allem die Beste zu sein, und Wutanfälle bekam, wenn es ihr nicht gelang. Von dem Moment an, als sie ihr Elternhaus verließ, hatte Emily versucht, sich von jenem Kind zu distanzieren, und sich hinter ihren Privilegien und ihrer gelassenen Kultiviertheit versteckt, was sich dort, wo sie jeder als Lehrers Liebling und Heulsuse kannte, nicht aufrechterhalten ließ. Vielleicht hatte Emily sich selbst endlich verziehen. Oder vielleicht hatte sie so lange gelebt, dass sie an alle, die ihr nahestanden, mit hilfloser Zärtlichkeit dachte und eingesehen hatte, dass das Leben schwer war und die Menschen ihr Bestes taten.
Angenehm zu lesen, unspektakulär, nicht rührselig, ein wenig langatmig. Aber so ist es halt.
2011 380 Seiten
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