Nachrichten vom Höllenhund


Kern
13. September 2012, 13:33
Filed under: - Belletristik

Björn Kern: Das erotische Talent meines Vaters

Philipp ist der Sohn, der Erzähler. Er arbeitet in Berlin als Pfleger in der Psychiatrie und ist ein ganz normaler Sohn. Übers Wochenende besucht er seinen Vater in Konstanz. Der Vater heißt Jakob, war früher Experte für nachhaltiges Wirtschaften, ist „hoch in den Sechzigern, aber von fast schon erschreckender Virilität und mit einer beeindruckenden schwarzen Lockenpracht gesegnet“ (Klappentext). „Wo andere keine Lösung finden, sieht er nicht einmal ein Problem.“ Da kommt der Sohn nicht mit. Nur er sieht und nur ihn stören die Risse in den Wänden der verschlotterten Villa.

Mutter Iris ist nicht mehr da, lässt sich wohl mit wechselnden Begleitungen oder auch allein durch den Balkan treiben, hat aber die Villa am Bodensee mit ganz vielen Figuren aus Blech und Spiegeln und Fingermalereien geschmückt, Drachen und Trolle lauern überall. Es lauern auch Karen und Alma, und zwar auf Vater Jakob, aber der will sich allenfalls noch kurzzeitig auf  und mit Frauen einlassen. Er droht ihnen für den Fall zu aufdringlicher Belagerung den Rauswurf an.

«Will sie Jakob wirklich heiraten?»
«Ein für alle Mal: nein!»
Jakob schien an der Küchentür gelauscht zu haben und lief nun in den Salon, um weitere Spekulationen in aller Geschwindigkeit zu unterbinden, er setzte sich zu uns, wobei er mit dem Knie gegen das gedrechselte Bein des Ess­tischs stieß und alle drei Anakondatassen überschwappten, sein Blick wanderte unstet von Dotto zu Alma zu mir.
«Und warum hast du sie dann rausgeworfen?»
«Sie hat ihm einen Antrag gemacht. Bei deinem Vater muss aber alles schön leicht bleiben.»
«Wie sprecht ihr über mich! »
Es werde ihm einfach zu eng mit ihr, sie brauche ihn nicht zu betreuen, tags nicht und schon gar nicht in der Nacht. Nachts schon gar nicht, stimmte Alma zu, streckte ihm wieder ihre Wange entgegen, die er diesmal ignorierte. Er sei schon groß, fürchte sich weder vor Einsamkeit noch vor Dunkelheit, man müsse ihm nachts nicht das Licht im Flur anlassen und keinen Teddy in den Arm drücken, nach Horrorfilmen träume er ausgezeichnet, der Schlaf und er stünden in freundschaftlichster Beziehung, auch ein abend­liches Schlaflied fehle ihm nicht.

Der Dottore, Dotto genannt, ist ein Freund des Vaters, der gerne seine Leibspeise, Spanische Nieren, auftischt. Sohn Philipp wird nicht direkt erwartet, er bleibt bei seinem Besuch eher Randfigur, beobachtet und erlebt das Treiben seines Vaters in der elterlichen Villa genau, teils amüsiert, teils be­trop­pezt. Vater Jakob ist nicht nur körperlich größer, er ist dem Sohn auch in seinem „erotischen Talent“ über den Kopf gewachsen. Die Vater-Sohn-Geschichte diesmal umgekehrt: der Sohn als Spießer, der Vater ausgeflippt.

«Ich bin doch nicht dein Sohn! Muss ich dir meinen Tagesablauf schon beim Mittagessen verraten?» Er umklam­merte mich links und rechts an den Schultern und ver­suchte, mich einige Zentimeter emporzustemmen, seine Beine zitterten, er ließ von mir ab.
Meine Schnüffeleien berührten ihn zunehmend pein­lich, falls ich wirklich nicht in der Lage sei, eine Freundin zu finden, habe er selbst genügend davon, er schicke mir gern eine vorbei.
Warum ich immer wissen wolle, wann er komme und wann er gehe? «Führst du Notizen darüber? Hat man dir das im Osten so beigebracht? Du musst mir auch mal Frei­heiten lassen. Hab Vertrauen in mich!» Solange ich meine Füße unter seinen Tisch strecke, möge ich bitte etwas mehr trinken und auch mal Mädchen ins Haus schleppen und mit denen unangekündigt verschwinden. «Du bist doch kein Wackeldackel. Brüll mal ein bisschen, ist das so schwer?»
Ich schloss die Augen.
Einatmen. Ausatmen. Zutreten.

Björn Kern lässt den Sohn irritiert, aber auch melancholisch von einer Elterngeneration erzählen, deren Lebensweisen heute skurril anmuten, die in ihrer Unkonventionaltität aber deutlich mehr hergeben als das biedere Leben von Mittzwanzigern der 00-er Jahre. Martin Halter (FAZ) hält Kerns Stil für “erzählerischen Putzzwang“,  für Barbara Gärtner (SZ) ist die Sprache “so lahm und antriebsarm wie der Ich-Erzähler“. Ich meine, dass der Roman die 190 Seiten locker füllt.

2010    190 Seiten

 Homepage von Björn Kern

 Gespräch mit Björn Kern im BR-Lesezeichen

 Björn Kern liest auf zehnseiten.de

+3


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