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Botho Strauss: Das Partikular
Sind’s novellistische Geschichten, wie der Klappentext informiert? Es fehlt aber das Novellistische, es fehlt den Texten auch der Elan der Erzählung, Strauss deutet an, skizziert, lässt den Traum als real durchscheinen, es könnte auch bloß die Phantasie sein, die den Personen sich selbst und das Gegenüber vortäuscht. Es gibt immer ein Gegenüber, nicht allein der Figuren, sondern der Erscheinungen, der Wahrnehmungen, des Seins. Nicht immer müssen es Männer und Frauen sein, nicht immer Alte und Junge, die Pole bilden, es sind viel öfter und für Strauss wichtiger die “Anmut” und die Nachlässigkeit, das Schöne und das verwahrloste Biest, das “Höchste” und die Ahnungslosigkeit, der Stil und das Stammeln. Strauß verteidigt die Anmaßungen der Konvention gegen die Zumutungen der Geistlosigkeit, “Daseinsgewißheit” gegen Dekadenz. Parlieren gegen Fressen und Sabbern. Auch die Sprechebenen stehen sich gegenüber.
DEM NOCH DER DUFT von gutem Badeöl am weißen Kragen schwebt und dem die Manschetten unter dem Jackenärmel gerade so weit hervorstehen, daß sie das Handgelenk bedecken und die Hand schön fassen, besonders beim Nachformen, Skandieren, Warnen und Tonangeben: der anmutige Vortragsreisende, der Intellektuelle, der sich zu kleiden versteht, der weiß, was ihm steht, einen ausgeprägten Sinn für die Stoffe besitzt, die zu ihm passen, und der die unverwechselbare eigene Note pflegt. Ihm gegenüber der junge Kollege aus dem Leibniz Institut, mit fünfunddreißig schon stark gelichtetes Kopfhaar, fettige Haut, verbeulter Pullover mit verschwitztem T-Shirt darunter und einem letzten Monatsverdienst von knapp zs So Mark für seine Arbeit am Katalog der Institutsbibliothek. Beide Zimmernachbarn im Luxushotel, in das der Sponsor der Veranstaltungsreihe einlud.
Strauß setzt seine Wörter bemüht, das Festhalten an Begriffen ihm wichtiger als das Fortschreiten einer Handlung. Das ist natürlich snobistisch, arrogant den vielen gegenüber, elitär. Das darf man, wenn es das Lesen lohnt. „Botho Strauß ist notwendig“, schreibt Ulrich Greiner in der Zeit. Ich ertappe mich beim Lesen immer wieder dabei, dass ich Zeilen überspringe, weil ich annehme, dass mir nichts entgeht, dass sich Gleichgemeintes bald wieder findet. Die Personen sind zu sehr Demonstrationsobjekte, essayistische Existenzen, sie wecken kein Interesse, sie sind ermattet. “Dass sich unsere Welt nicht mehr erzählen lässt, gilt ihm als der äußerste Beweis ihrer Verlorenheit.“ (Thomas Steinfeld, FAZ)
»Wie viele Menschen leben auf der Erde, Irena, und kennen die Sternbilder nicht! Wundert es da, daß nur sehr wenige sich in der Unendlichkeit der schönen Werke zurechtfinden? Man meint doch manchmal, wie kann soviel köstliches Leben sein, ohne die geringste Ahnung vom Höchsten zu haben, was das Dasein hervorbringen kann! … Kein Dante, kein Mallarmé, nichts, keine Berührung, nicht einmal mit den bloßen Namen. Und doch sind die Finger der scheineblätternden Kassiererin in unserer neuen Barclay Bank, die ganze auszahlende Schönheit dort hinter Panzerglas und der ferne Coup de dès auf irgendeine spirituelle Weise miteinander verwandt … Unser geringes Bewußtsein kann nur die Verknüpfung nicht herstellen! Wie kraftlos ist jedes Bild, das nicht der Bilderfurcht abgerungen! Wie zynisch jede Entblößung, die nichts ahnt von der Morgenröte einer fernen Scham, die langsam, doch unaufhaltsam über uns heraufzieht, um der Anbetung der Sekrete ein Ende zu bereiten. «
Seltsam, wie viel Wert Strauß auf das Äußere seiner Figuren legt, wie genau er ihre Erscheinung, ihre Kleidung, ihren Geruch beschreibt, als ob davon etwas abhinge, als ob die Schale dem Menschen Halt gäbe. Strauß gibt vor, tief zu blicken und bleibt doch an der Oberfläche. Kunststücke, künstlich. „Sehen Sie, ich bin die Moral einer versunkenen, nie gewesenen Welt, die dennoch als ein fernes Meeresleuchten, ein Horizontglühen, ein wenig Licht in die Finsternis wirft.“ Botho Strauß ist nicht nötig.
Und wieder saß er zu Tisch, ein Mann mit freundlichem wachem Gesicht, die dunklen Augen streichelten seine Begleiterin, die Jacke, über dem Kugelbauch zugeknöpft, verrutschte am Leib, die breiten Hosenträger lagen wie Fallschirmgurte an, er fraß. Er unterhielt sich geschmeidig, verfügte über die Manieren des gehobenen geistreichen Flirts, aber er fraß. Er bemerkte nicht mal die Rinne glänzenden Fetts, die ihm auf dem Kinn eintrocknete, er bemerkte sie nicht mal, obgleich ihm doch nicht das geringste entging, das sich zutrug zwischen ihm und ihr. Ihr Auge las nun den Esser. Indem dieser fraß und sich befleckte, kam etwas seine Worte, seine wache schöne Miene Karikierendes ins Spiel. Etwas, das man früher dem Unbewußten zugute hielt. Aber was geschähe denn nicht unbewußt, geschähe nicht wie in Trance in unserem alltäglichen Verhalten? Selbst die gescheite geschmeidige Rede, der anspruchsvolle Austausch sind vom Standpunkt einer tieferen Daseinsgewißheit, etwa der Gelassenheit, nur ein unbedacht Entschlüpftes, ein flatus voci, nicht mehr, hervorgebracht einzig und allein, um eine Stimmfühlung, wie sie unter Gänsen üblich, auch zwischen zwei Menschen herbeizuführen. Jawohl, es gibt eben zwischen Menschen zu jedem beliebigen Zeitpunkt noch immer mehr Betörendes als Zweckbestimmtes! Und wenn zweckbestimmt, dann meist zu einem anderen Zweck, als beiden in actu einsehbar oder gar verfolgbar sein kann. Also ist das Unbewußte kein tragfähiges Unterscheidungsmerkmal zwischen dem befleckten Kinn und dem charmanten Mund. Man muß nicht herausfinden, woher dieser Widerspruch rührt, wie die gegenteilige Wirkung von Fressen und Parlieren an ihrer Wurzel zu packen wäre … Man muß vielmehr dem einheitlichen Narrenkleid der persona, dem feirefizartigen Gehabe eines Menschen gerecht werden. Allem, was er vorgibt zu sein, unbedingten Glauben schenken, sich davon einnehmen lassen, ja sich dem ersten Anschein willenlos unterwerfen: darauf kommt es an. Diese rückhaltlose Bejahung aller Phänomene, die die Gegenwart des anderen uns zuspielt, ist die Voraussetzung dafür, daß er unsere gespaltene Ansicht von ihm aufhebt und uns von engstirnigem Dualismus befreit.
2000 220 Seiten
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