Rainald Goetz: Johann Holtrop
Je weiter man mit seinem Büro nach oben klettert, desto beengter und beengender wird der Horizont, bis man nur noch sich selbst im Auge hat. Man wird zur Firma, es gibt nichts Privates mehr, keine Freunde, keine Partner, Anvertraute, nur noch Konnkurrenten. Konkurrent ist jeder, steht im Weg, wird nicht gemobbt, sondern weggebissen. Das Leben der Wölfe im Rudel ist ein Arkadien dagegen. Lebende Tote, Zombies alle.
Rainald Goetz bezeichnet seinen Roman als “Abriss der Gesellschaft”, aber er berichtet nur über die Welt der Großunternehmen, der Finanzwirtschaft. Medien und Kunstmarkt funktionieren ähnlich, sie dienen sich einander an. Daß es dort so zugeht, bekräftigt Goetz durch gewissenhaftes Aufzählen von Tagesverläufen, durch durchsickernde Informationen über die realen Personen als Schablonen, Thomas Middelhoff von Bertelsmann an prominentester Stelle. Es entsteht ein Geflecht von Organi-, Psycho- und Soziogrammen – nicht der Gesellschaft, nur des Firmenpersonals. (Es gibt bei Suhrkamp das Plakat mit dem Personalverzeichnis.) Ökonomische Hintergründe oder Zusammenhänge sind nicht Goetz’ Thema, er beschränkt sich auf die “Charaktermasken”. Dass die so sind, weiß man, ahnt man, glaubt man gern. Und das ist nicht wenig, weil mittels der Figuren auch deren Aktionsräume entlarvt werden können.
Was den Roman wertlos macht, ist Goetz’ Methode, die Wertung nicht dem Leser zu überlassen. Er kann die Figuren nicht sein und agieren lassen, er muss sie in einem fort kommentieren, abwerten. Und wenn’s der Erzähler nicht selbst tut, taucht flugs eine Nebenfigur auf, die Holtrop und seinesgleichen abschießt. Man könnte durchgehend zitieren, weil Goetz diese Methode penetrant einsetzt und ihr damit jegliche Wirkung nimmt. “Ein Oberschlaumeier als Erzähler.” (Hubert Winkels) Das nervt nur noch.
Noch dreimal stieß Zischler mit seinem Zeigefinger auf die Wehrlose ein, drehte sich um und ging hoch erhobenen Hauptes weg, der letzte Auftritt dieses grandiosen Supertrottels in den Räumen der Deutschen Bank.
Von dieser neuen Verhandlungsstrategie wieder in den Status quo ante zurückeuphorisiert, betrat Holtrop, als bekennender und alle Inkohärenzen sinnlos bejahender Imbeziler sozusagen, den muffigen Verhandlungsraum und klopfte auf den Tisch. »Kommen Sie, kommen Sie«, rief er, dabei grinste er die Übersetzerin und die Chinesen an, »wir machen Geschäft!«, sagte er auf Englisch, »übersetzen Sie, los!«
Das Restaurant Grissini im Grand Hyatt, wo der Tisch reserviert war, war, so Magnussen, eines der besten der Stadt. Ohne derartige Superlative ließ Holtrop sich ungern abspeisen, der beste Champagner, der beste Wein, der allerbeste Laden, Holtrop ging es dabei nur um den Kennerschaft und Wertungskraft aussagenden Verbalindex, dem gar keine Erfahrung entsprach. Holtrop wusste überhaupt nicht, wie sein angeblicher Lieblingswein schmeckte, er wusste nur den Namen.
Aber Salger war noch zu wenig Apparatschik, um den Spott der Älteren, mit dem er nun gepiesackt und aufgespießt wurde, wirklich ernst zu nehmen. Er sah diese Älteren, die ihn lärmend mit ihren Witzen in die Luft zu schießen und zu zerreißen versuchten, kaum, alte Säcke waren das für ihn, arme Deppen, Zurückgebliebene, Verlorene, die in ihrer auftrumpfend vorgeführten Überzeugung, die Größten zu sein, für Salger auch völlig ununterscheidbar waren, lauter gleiche, sinnlos laute Männer, im Volltrottelmodus ihrer Großmännlichkeit.
Nicht, dass Goetz nicht träfe mit seinem Spott, „Volltrottelmodus ihrer Großmännlichkeit“ ist schon schön. Aber der Spott kommt zu wütend daher, oft auch sprachlich arrogant und herablassend. Damit setzt sich Goetz jedoch auf eine Ebene mit den Opfern seiner Häme; wie er sich über sie auslässt, könnte man auch ihm zuschreiben: Attidüden.
So war er, so wollte er sein und gesehen werden, hingerissen vom Beruf. Holtrop erzählte von den Jahren des Booms und vom Fingerspitzengefühl für die Zeit. Wie die Zeit damals plötzlich so rasend beschleunigt dahingejagt sei. Diesen Puls habe er gespürt und aufgenommen und in Geschäfte transformieren können, weltweit, mit der dazu nötigen Portion Glück natürlich. Er zählte die gekauften Firmen auf, die großen Übernahmen, die Deals, Fusionen und Verkäufe, »wird Ihnen schon schwindlig?« sagte er und bleckte die Zähne, »nein, nein«, sagte die vom Zuhören aber doch schon leicht erhitzte Frau Zegna. Für all diese Dinge hätten die Besonderen, die Nervöseren unter den Firmenchefs einen siebten Sinn entwickelt. Das habe er sich bei seinem genialen Vorgänger Brosse abgeschaut, Entscheidungsfreude im richtigen Moment (…) als Unternehmer in Deutschland, das sei ja die Krux, bestehe das Leben zu 98 Prozent aus völlig schwachsinnigen, für den Wirtschaftsstandort Deutschland obendrein unbeschreiblich schädlichen Grenzen. Aber die Politik wolle davon bekanntlich nichts wissen und nichts hören, die Politik sei da lachhaft beratungsresistent. »Ich meinte innere Grenzen.« »Innere!« Holtrop lächelte. Irgendetwas, was in ihm vorging, gefiel ihm wieder einmal besonders gut an sich selbst. Sie präzisierte: »Grenzen der eigenen Begabung etwa.« »Der Begabung, ja«, sagte Holtrop, und sein Lächeln wurde schief und grimmig, »so arrogant das klingt, aber die Wahrheit ist tatsächlich, ich würde Ihnen gerne etwas anderes sagen, aber: an solche inneren Grenzen meiner Begabung bin ich, bisher jedenfalls, noch nicht gekommen.« Und Frau Zegna hatte in dem Moment in einer für sie selbst erstaunlichen Klarheit die Worte gedacht: »Wie kann ein Mensch so DUMM sein?« Ein offensichtlich kluger Mensch, so eindeutig und überdeutlich dumm?
Das Geschehen hat zwar eine Entwicklung, weil Holtrop zunächst aufsteigt, nach seiner Entlassung ein fulminantes Comeback hinlegt und schließlich scheitert. Das scheint zu typisch für die Welt der Finanzjongleure – und Fußballtrainer – zu sein, es ist aber zu wenig für 343 Seiten, weil sich die Beschreibung zu sehr an den selbstgefälligen Pirouetten der Protagonisten aufgeilt und darin kreist – schriftstellerisch ebenso selbstgefällig. Ich hab’ beim Lesen 100 Seiten übersprungen, in der bestätigten Erwartung, nichts zu versäumen.
“Goetz hat keine Geschichte über Menschen geschrieben, sondern eine über Schießbudenfiguren. Natürlich mag es mitunter lustig sein, wie er verbal auf sie einballert: ein Jahrmarktvergnügen. Aber kein Roman.” (Uwe Wittstock) “Es ist wirklich erstaunlich, zu welch aufreizend ermüdenden Stanzen einen das Missbehagen treiben kann. Da bleibt dem Leser bald schon keine Möglichkeit mehr, überhaupt zu einer eigenen Anschauung zu finden. Dann sagt er nur noch: ja, schlimm – und legt den „Johann Holtrop“ innerlich ganz unbewegt beiseite.” (Alexander Solloch, NDR) “Da hat man die einmalige Gelegenheit, in einem Satz zu sagen: Ein Buch taugt nichts.” (Hubert Winkels, 3SAT)
2012 343 Seiten
Hubert Winkels im 3Sat-Kulturzeit-Gespräch
Rainald Goetz liest aus „Johann Holtrop“
![]() 4-5 |
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar