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Dea Loher: Das letzte Feuer
Die Bühne ist wieder hochgestellt. Das sieht man immer öfter und das hat durchaus seine Vorteile. Man sieht besser drauf, auch auf den Bühnenboden, – hier mit Reifenspuren, Kerze und Trauerbild, später Susannes abgestellten Schuhen -, und das ist Symbol für die schiefen Ebenen, auf denen die dargestellten Menschen abrutschen, wenn sie nicht aufpassen. Und wenn sie aufpassen, bewegen sie sich seltsam, was wiederum Symbol ist für die Mühen der – schrägen – Ebenen.
Die Ebenen verlaufen quer und längs durch die Figuren, spalten sie innerlich, kappen Beziehungen. Jeder ist mehrere, sogar der Hund. Die Besetzungsliste heißt „WIR“, erst im Geflecht der Worte ergeben sich die Fragen, die Themen, die Versuche, die gemeinsame, verbindliche Antwort zu finden. Vergeblich. Die Fragen nach Schuld, nach Rettung, nach Überleben sind müßig, weil die eigenen Erinnerungen zu unsicher, die fremden Beobachtungen und Beschreibungen unzuverlässig sind, einen Gott gibt es ja nicht mehr.
Olaf, der Junkie (Sebastian Ganzert), der vielleicht den Unfall ausgelöst hat, sperrt sich in sein Zimmer ein, Kontakt lässt er nur durch den Türschlitz zu. Rabe (Thomas Birnstiel), kriegstraumatisiert, stigmatisiert sich, er blickt aus dem Fenster zu Susanne (Susanne Berckhemer) hinüber, der Mutter des verunglückten Jungen. Ludwig, ihr Mann (Michael Heuberger), sucht und weicht aus, findet kein Ziel, die Ehe bietet keinen Schutzraum. Seine Mutter Rosmarie (Hildegard Krost) ist dement, sie kann schon deshalb nicht verstehen, weshalb ihr Enkel sie nicht mehr besucht. Die Polizistin Edna (Janina Schauer) hat bei der Verfolgung eines halluzinierten Terroristen den jungen Edgar überfahren, sie wird nicht fertig mit ihrer Schuld, das Geschehen hat zu viele Aspekte, eine allein kann da nicht durchdringen. Edna steigert sich am Ende selbst in einen terroristischen Wahn, auch für sie gibt es kein versöhnliches Ende. Kein Trost, nirgends.
Der Tod des Jungen löst die Explosion des Seelenleids aus, die Bruchstücke lassen sich nicht mehr einfangen, auch nicht durch Reden. Das zu zeigen, schreibt Dea Loher viele Sätze, in denen viel Sinn steckt, die den Sprechern aber keinen Sinn vermitteln. (Ganz lässt sich aber der Gedanke an das Goethe zugeschriebene Diktum nicht vertreiben, zu viel angehäufter Sinn werde eher flach denn tief.) Interessant, wie sich die Personen selbst bespiegeln, wie sie über die anderen reden, auch die demente Großmutter tut da mit, wie aus den Vereinzelten das WIR werden soll. „Wir, die wir diese Geschichte erzählen / Uns gibt es womöglich gar nicht“ beginnt die zweite Szene. „Wir, kehren die Scherben auf / Und fügen sie zusammen / Ein zersprungenes Irgendetwas“. Dieses WIR will nicht erklären, es will erzählen, festhalten, Widersprüche versammeln. „In dem hie und da irgendetwas zu erkennen ist / Können wir uns verstehen / Verstehen / Davon war nie die Rede.“ „Das letzte Feuer“ ist ein Gedicht, ein zeitgenössisches Oratorium vom Dasein als Krankheit zum Tode.“ (Dirk Pilz, nachtkritik.de)
Fremd wirken die lustigen Stränge und Augenblicke des Stückes. Wenn Peter (Frerk Brockmeyer) – im Leibchen – erzählt, wie die Dogge „Humboldt“ einen Job als Wachhund findet, dafür aber einen brachialeren Namen braucht, „Würger“, dadurch aber schizophren wird. Wenn Karoline (Ulrike Requadt) – die ehemalige Lehrerin merkt man ihr noch an – sich nach ihrer Brustkrebsbehandlung als Model für Prothesenfetischisten anbietet, Edna fragt, ob sie damit auch wippen könne. Die Schauspieler spielen nicht nur rollensicher, sie verkörpern ihre Figuren auch, als wären ihnen diese auf den Leib geschrieben.
Theater Regensburg – Inszenierung Karin Koller
Aufführung am 28. Oktober 2012
Foto: Jochen Quast (MZ)
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