Nachrichten vom Höllenhund


John Gabriel Borkman
26. November 2012, 18:03
Filed under: Theater

Henrik Ibsen: John Gabriel Borkman
bearbeitet von Armin Petras

„John Gabriel Borkman“ ist ein naturalistisches Familiendrama von 1896, eines der letzten Stücke Ibsens. Borkman ist – besser war – zwar Banker, aber sein Scheitern, seine betrügerischen Transaktionen, wegen denen er fünf Jahre im Gefängnis saß, sind nur Auslöser der persönlichen und der familiären Tragödie. Die Verhältnisse sind eh schon brüchig: Er heiratete nicht Ella (Wiebke Puls), sondern opferte diese in Zwist mit seinem Partner und Widersacher Hinkel. „Du darfst aber nicht vergessen, daß ich ein Mann bin. Als Weib warst Du für mich das Teuerste auf der Welt. Allein wenn es sein muß, so kann doch ein Weib durch ein anderes ersetzt werden –.“ Ella spricht von „Sünde“, ein Wort, das nicht in Petras` Regiekonzept passt. Mit seiner Frau Gunhild (Christin König), der Zwillingsschwester Ellas, hat Borkman den Sohn Erhard (Lasse Myhr), einen Nichtsnutz, der sich weigert, Vaters Nachlass anzutreten bzw. seinen Vater zu rehabilitieren und die „Familienehre“ wiederherzustellen. Er handelt nach dem Yolo-Motto „Ich will nicht arbeiten! Nur leben, leben, leben!“ und macht sich mit einer älteren Frau davon. Vorher hat er sich noch entblößt und ist in ein klamaukiges Superman-Kostüm geschlüpft. Nach der Pause hat er einen starken Auftritt – bzw. Abgang.

Als Ella im Hause Borkman eintrifft, stößt sie zunächst nur auf ihre Schwester, der Hausherr hat sich seit acht Jahren in das Obergeschoß verzogen und „lebt“ dort isoliert und gebrochen. Nur sein Freund, der gescheiterte Dichter Wilhelm (Michael Tregor), bietet sich für Gespräche an. Wilhelm wirkt jedoch reichlich derangiert, seine Art zu reden gibt ihn dem Gelächter preis. Ella und Gunhild umspielen und umzicken sich, was angesichts der Vorgeschichte verständlich ist. Erst im zweiten Akt kommt Borkman wieder nach unten, um sich zunächst in einer längeren Rede zu rechtfertigen, sich selbst freizusprechen und einen Neuanfang in größerem Maßstab anzukündigen. Das klingt zunächst bekannt von ähnlichen Biographien aus dem Finanzgewerbe, Borkman aber wird darüber ein bisschen gaga. André Jung spielt hier seine Klamaukszenen, was leidlich lustig ist, aber fast das Stück zerstört, das ja doch einen ernsten Hintergrund hat. (Natürlich muss und kann man ein naturalistisches Stück heute nicht mehr wie vor 100 Jahren spielen; da die Schicksale bekannt und die Fallhöhen eingeebnet sind, kann von ironischen Brechungen nicht abgesehen werden.) Nachdem er noch in einer Bergwerkslore einige Male über die Bühne gezogen wurde (grenzwertig Jungs joviales Winken), stirbt Borkman in einer grellen Vision. „Ich liebe euch, die ihr da scheintot liegt in euren dunklen Klüften, ihr silbernen Adern, ihr Bäuche voll von rotem Erz.“ Ella und Gunhild können mit Borkmans Liebe zu den wahren Ressourcen Geld und Macht nicht konkurrieren, sie entschweben Engeln oder Schächern gleich vor den gleißenden Scheinwerfern, die sich aufs Publikum richten.

Imposant ist die Bühne (Olaf Altmann). Die Spielplätze sind in der Vertikalen angerichtet, Borkman kauert in der kargen Kaverne im Obergeschoß an seinem abschüssigen Schreibtisch, gesichert durch den Karabinerhaken (wie`s die Versicherung verlangt). Wer zu ihm will, muss sich durch die expressionistisch gezackten Stollen zwängen. Aufrecht gehen kann man hier nicht, nur kriechen, rutschen, buckeln. Das ist schön anzusehen und natürlich, wie alles bei der Aufführung, beladen mit Symbolen. Mein Haus ist mein Bergwerk. Durch die silbernen Klüfte werden nicht nur die Personen gejagt, sondern auch massenweise weiße Blätter geblasen: Aktien, Belege, Geschreddertes, auch Kinderzeichnungen, welche man sich ins Gewand stecken oder vors Gesicht pappen kann. Armin Petras überlässt nichts dem Zuschauer, er stößt ihn mit dem Holzhammer auf die Deutung. Putzig der Wikipedia-Eintrag zu Petras: „Sein Regiestil zeichnet sich durch Atemlosigkeit aus. Er wählt mit Vorliebe volksnahe, sozialkritische Stoffe und schreckt nicht vor Sentiment zurück, das er nicht zuletzt durch gezielten Einsatz lauter Musik erzeugt.“ In Ibsens Stück gibt es die vielen vielen schwerbetonten Worte, Petras setzt dafür das Pathos der Geste und der Kulisse ein. Beides kann hohl klingen.

Die Musik zum Stück macht Hanna Plaß singend und am Klavier und am Serpent. Als Sängerin nennt sie sich Ginger Redcliff und hat im Sommer 2012 ihre erste CD veröffentlicht.

Resumée: Ein vergnüglich verblasenes menschliches Drama. So ist das halt, bei den Kammerspielen.

Kammerspiele München  –  Aufführung am 23. November 2012


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