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Jörg Graser: Little Hero
Anarchie in Niederbayern. Ein Widerspruch. Der Niederbayer wählt zuverlässig zu 70% die Staatspartei, andererseits wird man hier schneller zum Außenseiter als anderswo. Etwa weil man die Grünen wählt. Oder indem man statt Weißbier Grünen Veltliner trinkt. Oder gar einen Tee. Den es im Wirtshaus nicht gibt.
Kommissar Kreuzeder aber treibt’s zu weit mit der Anarchie. Nicht, weil er kein Weißbier trinkt. Ganz im Gegenteil. Aber er verweigert dem Staat seinen Dienst. Statt zum Tatort zu fahren, bestellt er noch ein Bier und einen Obstler, sein Hauptquartier hat er gleich im Wirtshaus eingerichtet, die Kellnerin Gerda hat viel Zeit für den einzigen „Gast“: „Ich hab gedacht, daß der Kommissar möglichst schnell zum Tatort muß.“ Kommissar Kreuzeder: „Vielleicht im Fernsehen. Dort sind die Kommissare durch die Bank übermotiviert.“
Ein Sparkassenangestellter ist ermordet worden. Die Mordwaffe: ein Mähdrescher, der Tatort: der Bauernhof der Familie Holzner, das Motiv: vielleicht die Zwangsversteigerung des Hofs, die der Angestellte der örtlichen Sparkasse eingeleitet hat. Sohn Moritz ist verärgert, weil er vom Superman-Spielen abgehalten wird. Little Hero. Im Theater werden die Bauernhof-Szenen als Video an die Rückwand projiziert.
Trotz seiner Sauferei und seiner Lethargie wirkt der Kreuzeder sympathisch – oder gerade weil er mit den Opfern sympathisiert, die zum Täter werden. Denn der Mörder ist ja auch bloß „a arme Sau“. Gerhard Hermann – neu in Regensburg – ist der Kreuzeder, stoisch, kantig, renitent. Seine Aufklärungsquote geht gegen null, die Obrigkeit schickt ihm seinen Vorgesetzten – bürokratisch: Michael Heuberger – und die Polizeipsychologin auf den Hals. Kreuzeder lässt sie abtropfen, die Psychologin (Franziska Sörensen) wird zunehmend selbst verwirrt und verlangt nach einem Wein und einem Obstler.
Kreuzeder soll zunächst weggelobt werden – in die Oberpfalz! -, doch dann erkennt die Obrigkeit, dass die Polizeistatistik besser aussieht, wenn gleich gar keine Opfer gemeldet werden.
Auch ein Opfer ist die Kellnerin Gerda. Sie muss nicht nur die wenigen Gäste bedienen, sondern auch dem Wirt zu Diensten sein. Wegen des sinkenden Umsatzes will er sie dennoch gegen eine billigere Tschechin eintauschen. Gerda sinnt auf Rache und konsultiert den Kreuzeder, der durchaus Verständnis für ihre Nöte zeigt. Janina Schauer spielt sich als herziges Trutscherl in einen Rausch, bis ihr das Weißbier übers Gesicht rinnt. Das Dinner for One und der Valentinsche Firmling sind da nicht weit. Slapstick zu spielen ist eine Kunst. Eine Farce ist das Stück ohnehin. Ein bisschen sozial grundiert, aber das stört nicht weiter.
Auch der Wirt (Sven Pippig) tritt noch auf, aber das führt nur zu weiteren Anschlägen. Ein rundum vergnüglicher Theaterabend mit Wort- und Spielwitz und einem Noagerl Nachdenklichkeit. – Mir kannst no a Weißbier bringa.
Die Kellnerin Gerda, nachdem vom Wirt gedungene Ganoven ihren Vogel gekillt haben: „Mein Wellensittich. Ich hab ihn Papst genannt, weil er ein Männchen ist und kein Weibchen hat. Ich hab ihn erst in die Mülltonne, aber dann hab ich ihn wieder raus, weil ich gesagt hab, das hat er nicht verdient.“
Theater Regensburg – Inszenierung: Constanze Kreusch
Aufführung am 14. Dezember 2012
Das Stück von Jörg Graser gibt’s auch als Roman: „Weißbier im Blut: Ein Kriminalroman aus dem bayerischen Unterholz“
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