Nachrichten vom Höllenhund


Jonasson
23. Dezember 2012, 20:40
Filed under: - Belletristik

Jonas Jonasson:
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster
stieg und verschwand

jonassonHundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann. Man muss sich vorstellen, das im Singsang des Schwedischen zu hören. Die Geschichte hätte aber auch Stadsmusikanterna heißen können, denn es ist ein Märchen. Das Märchen vom Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand. Allan Karlsson macht sich davon, um die Feier seines hundertsten Geburtstags im Altenheim zu vermeiden. Etwas Besseres als hier wird er überall finden. Im Unterschied zu den Stadtmusikanten hat er aber kein festes Ziel.

»Wohin wollen die Herrschaften denn?«, erkundigte sich Benny. »Wie wäre es mit Richtung Norden?«, fragte Julius. »Ja, das klingt gut«, sagte Allan. »Oder auch Richtung Süden.« »Dann sagen wir doch einfach Richtung Süden«, sagte Julius. »Richtung Süden«, sagte Benny und fuhr los.

Unterwegs sammelt Karlsson ein paar Gleichgesinnte ein, versteckt abseits der Straße und in den Wäldern, die auch nichts mehr zu verlieren haben, Randfiguren, die früher von einem besseren Leben geträumt haben: Julius, der notorische Dieb, Benny, der am Ende der Welt eine Imbissbude betreibt, Gunilla (natürlich Gunilla) in ihrer Idylle mit Tieren. Zufällig stellt sich auch noch ein Koffer mit ganz viel Geld ein, mit dem die vier aber wenig anzufangen wissen und deshalb beschließen, es erst einmal zu teilen. Ein Märchen. Im Märchen spielen auch Tiere mit und wenn Allan Karlssson schon 100 Jahre alt ist, dann muss das Tier mindestens ein Elefant sein: Sonja, wesensverwandt.

Allan hatte in Sonja schon bald eine neue Freundin gefunden. Sie hatten ja auch so einiges gemeinsam. Ersterer war eines Tages aus dem Fenster geklettert und hatte seinem Leben so eine neue Richtung gegeben, während Letztere mit demselben Ergebnis in einen See gewatet war. Außerdem hatten sich beide vorher gründlich die Welt angesehen. Und Sonja hatte so ein zerfurchtes Gesicht, fand Altan, sie sah aus wie eine kluge Hundertjährige.
Ihre Zirkuskunststückchen führte Sonja sicher nicht jedem Dahergelaufenen vor, aber dieser Alte war ihr sympathisch. Er fütterte sie mit Obst, kratzte ihr den Rüssel und plauderte immer so freundlich mit ihr. Sie verstand zwar nicht allzu viel von dem, was er da erzählte, aber das machte ja nichts. Es gefiel ihr trotzdem. Wenn der Alte Sonja also bat, sich hinzusetzen, setzte sie sich hin, und wenn er sie bat, sich im Kreis zu drehen, tat sie auch das gern. Sie zeigte ihm sogar, dass sie auf den Hinterbeinen stehen konnte, obwohl der Alte das Kommando gar nicht kannte. Dass sie für ihre Mühe hinterher ein, zwei Äpfel bekam und noch eine Extra-Krauteinheit für den Rüssel raussprang, war nur ein Bonus. Sonja war nicht wirklich käuflich.
Die Schöne Frau saß unterdessen gern mit Benny und Buster auf der Verandatreppe, mit jeweils einer Tasse Kaffee für die Zweibeiner und Leckerli für den Hund. Dann sahen sie zu, wie Altan und Sonja auf dem Hof ihre Beziehung vertieften, während Julius stundenlang am See stand und Barsche angelte.

Um sich nicht im Irgendwo und Irgendwann des Märchens zu verlieren, setzt Jonasson den vier Aufbrechern Kommissar Aronsson auf die Spur und datiert das Geschehen auf den Mai 2005. Und er schenkt Allan Karlsson eine Lebensgeschichte, die man ähnlich aus Forrest Gump kennt. Karlsson trifft im Laufe seines hundertjährigen Lebens auf viele Personen der Zeitgeschichte: Generalissimo Franco, Präsident Truman, Stalin undundund und nimmt als Sprengstoffexperte Einfluss auf die Poltik. Das geschieht völlig unideologisch, die politischen Größen erweisen sich als ähnlich naiv wie Karlsson. Diese Kapitel sind in die Erzählung des Verschwindens eingestreut, nehmen einen zunehmend breiteren Raum ein. Karlsson wird damit mit Bedeutung aufgeladen, bleibt aber bis ins höchste Alter unbedarft und eignet sich nur zum pisspantoffeligen Protagonisten. Sein Motto: „Es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt.“ Unleidlich wird er nur, wenn er länger nichts zu trinken kommt.

Jonasson erzählt das teils amüsant, meist aber zu märchenhaft, die Idylle steht im Kontrast zu den Bomben und zur Amoralität der Personen. Was durchaus reizvoll ist, auf Dauer aber auch nerven kann. Die beiden Erzählstränge haben zunächst wenig miteinander zu tun, sie finden sich aber aufs Schönste.

Amanda, Allan und Mao Einstein nahmen sie in Empfang, und nachdem sie sich alle ausführlich umarmt hatten, wurden die Rei­senden in ihre Zimmer gebracht. Sonja und Buster durften sich in der Zwischenzeit die Beine im riesigen eingezäunten Hotelgarten vertreten. Amanda bedauerte, dass es auf Bali nicht allzu viele Ele­fantenfreunde für Sonja gab, doch sie versprach, baldmöglichst einen potenziellen Verehrer aus Sumatra kommen zu lassen. Buster konnte sich seine Freundinnen selbst suchen, auf der Insel streunten genug Hündinnen herum.
Schließlich stellte Amanda ihnen für den Abend ein rauschendes balinesisches Fest in Aussicht und empfahl den Freunden, vorher noch ein Nickerchen zu halten.
Alle außer dreien folgten dieser Empfehlung. Der Piranha und seine Mutter konnten es nicht erwarten, endlich ihren Schirmchen-Drink zu bekommen, und Allan ging es ebenso – wenngleich er auf das Schirmchen verzichtete.
Sie begaben sich zu den Sonnenliegen am Meer, machten es sich bequem und warteten auf die bestellten Getränke.

Allen aber gefiel’s darin so gut, daß sie nicht wieder ins Leben hinaus wollten. Und wenn er nicht gestorben ist, dann sitzt der Hundertjährige immer noch mit seinen Kumpels im Liegestuhl bei einem kleinen Getränk.

Und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm. (Gebrüder Grimm)

2009       415 Seiten

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