Sylvia Plath: Zungen aus Stein
(Geschichten)
Sylvia Plaths Literatur wird zumeist im Kontext ihrer Lebensgeschichte gewertet, weiß wikipedia. Die Geschichten in „Zungen aus Stein“ sind zwischen 1952 und 1963 entstanden, Sylvia Plath war da gerade in ihren Zwanzigern. Die ersten Erzählungen sind auch noch Familiengeschichten, über einen Vater, der unverwundbar erscheint und dann plötzlich stirbt, wie ihr eigener, über Geschwister, die sehr unterschiedlich beschrieben werden, eines kränklich und verletzlich, das andere mutig und weltzugewandt. Mädchen und Jungen tauschen sich hier in ihren Rollen, ein Kind heißt Warren, wie Sylvias jüngerer Bruder. Viele Geschichten handeln vom Zögern, sich verstecken, von der Unsicherheit von jungen Mädchen, Studentinnen, dem Gefühl von Überforderung, obwohl die Erwartungen oft gar nicht ausgesprochen werden. Jungen Frauen, die ihr Verhältnis zu den Männern ausprobieren wollen oder müssen. Die Konventionen scheinen noch bedrückend. (Hat sich da aber wirklich so viel verändert – in den USA?)
Schlafen können, sich wärmen, das sind häufige Wünsche am Ende der Geschichte, Hoffungen auf ein gutes Ende.
Die Kälte ergriff ihren Leib wie ein Tod. Keine Faust schlug durchs Glas, kein Haareraufen, keine verstreute Asche und blutige Finger. Nur eine einzige, schwache Geste für den unzerstörbaren Steinknaben im Garten, der, ironischerweise mit Leonards Blick, auf seinem gemeißelten Fuß verharrte und sich an seinen Delphin klammerte. Augen mit Steinlidern waren auf eine Welt hinter der beschnittenen Ligusterhecke gerichtet, blickten hinter die Buchsbaumgrenzen und den geharkten Kies der engen, strengen Gartenwege. Eine Welt, in der es keine Verschwendung gab, sondern Rettung und Zärtlichkeit: eine Welt der Liebesentfacher und Liebesverfechter. Als Orion ging, seine festbestimmte Bahn zum Rand dieser unsichtbaren Welt beschritt und sein Glanz im fahlen Unterwasserlicht verblaßte, krähte der erste Hahn.
Sterne löschten ihre brennenden Strahlen vor der aufgehenden Sonne.
Dody schlief den Schlaf der Ertrunkenen.
Sah auch nicht oder ahnte nicht, wie jetzt unten in der Küche Mrs. Guinea einen neuen Tag begann. Retterin, Spenderin. Sie war keine Verschwenderin. Die Heringe in die schwarze Eisenpfanne schneidend, den fettriefenden Toast im Ofen röstend, summte sie fröhlich. Fett zischte und spritzte. Sonnenstrahlen spiegelten sich jungfräulich in den stahlgefaßten Brillengläsern, und aus ihrem Witwenbusen stieg klares Licht auf, das dem Tag seine Reinheit zurückgab.
Ihren Hyazinthen, die auf der Fensterbank in der raren, erdentrückten Scholle von Perlmuscheln knospten, versicherte Mrs. Guinea, würde ihnen immer versichern, daß es, abgesehen vom Winter, doch trotz allem ein netter, zauberhafter Tag sei. (Steinknabe mit Delphin)
Man merkt den Geschichten die 50er-Jahre an. Alles wirkt noch überschaubar – und wird doch zu viel -, alles scheint noch langsam, und geht für die Bedrängten doch zu schnell. Die Geschichten wirken eher bieder in ihrer sozialen Positionierung, es passiert nicht viel. Das kann aber für die Person schon mehr sein, als sie ertragen kann. Sylvia Plath beobachtet genau, die Interieurs, die Farben, die Garderoben. Die anspruchsvolle Sensibilität für Außen- und Innenwelt. Vielleicht liegt hier die Stärke ihres Erzählens. Ansonsten muss man die Texte auch angesichts des 50 Jahrestags ihres Selbstmords (1963) nicht unbedingt lesen.
»Wir haben lange darauf gewartet«, sagte Mrs. Patterson, beugte sich über das Bett, um den Becher wegzunehmen, und ihre Worte waren warm und rund, wie Äpfel in der Sonne. »Möchten Sie warme Milch? Ich glaube, Sie werden heute nacht schlafen. «
Und das Mädchen lag im Dunkeln, hörte der Stimme der Dämmerung zu und spürte mit jeder Faser ihres Verstandes und Körpers den immerwährenden Sonnenaufgang. (Zungen aus Stein)
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