Dominique Manotti: Das schwarze Korps
Die deutsche Besatzung in Paris nähert sich mit der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 ihrem Ende. Beschleunigt, zumindest in der Hoffnung der Résistance, wird die Auflösung des Regimes und seiner französischen Kollaborateure durch den Anschlag auf Hitler am 20. Juli.
Dominique Manotti stellt ihren Kapiteln jeweils eine knappes „Bulletin“ über das Vorrücken der alliierten und sowjetischen Offensive voran. Vor dessen Hintergrund entfaltet sie ein Panorama des chaotischen und doch bestens organisierten Treibens der deutschen Besatzer, ihrer französischen Mitläufer aus verschiedenen Milieus und Resten der französischen Staatsmacht. Es beteiligen sich viele Personen, es bleibt oft lange ungewiss, in wessen Dienst sie stehen oder sich schlagen. Meist haben sie jedoch nur sich selbst im Sinn und deshalb werden sie auch aufgescheucht, als die Meldungen von West- und Ostfront eintreffen. Jeder versucht noch, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen und sich unbelastete Positionen für die Zeit nach der Niederlage der Deutschen zu verschaffen. Moral spielt dabei keine Rolle, skrupellose Gewalt dagegen eine große. Waffen sind leicht zu beschaffen, systematische Verfolgung ist kaum zu erwarten, es sei denn, man kommt anderen Gangs in die Quere.
Montag, 31. Juli
An der Normandiefront durchbricht die 1. US-Armee die deutschen Linien westlich des Cotentin und befreit Avranches. Seit dem 6. Juni belaufen sich die Verluste der Alliierten auf 122000 Tote, Verletzte oder Vermisste, die Deutschen haben 114000 Mann verloren, hinzu kommen 40000 Gefangene. Im Osten rücken sowohl die sowjetischen Truppen der Nordfront als auch die der Nordflanke der weißrussischen Front gegen Ostpreußen vor. In der litauischen Hauptstadt Kaunas kommt es zu Straßenkämpfen. Die anderen sowjetischen Truppen der weißrussischen Front marschieren auf Warschau.
Domecq ist gegen Mittag zum Sittendezernat gelaufen, um die Lage zu peilen. Stockende Unterhaltungen. Die Höllenhunde scheinen nicht sehr effektiv zu sein … Der Sturm der letzten Tage hat die Funkverbindungen auf See gekappt, die Engländer und Amerikaner sind nach wie vor sehr angreifbar …
Die Tür zum Inspektorenzimmer fliegt auf, eine Scheibe zerbricht. Schwarze SS-Uniform, stramm sitzende Schirmmütze, glänzende Stiefel … Es ist Deslauriers, hartes Gesicht, markante Narbe. Nicht wiederzuerkennen. Er blickt sich kurz um, erspäht Domecq, fixiert ihn und marschiert mit großen Schritten auf ihn zu, stößt im vorbeigehen Stühle, Lampen, Aktenstapel um. Totenstille im Raum. Bleibt vor Domecq stehen und ohrfeigt ihn mit einem gewaltigen Hin und Zurück seiner behandschuhten Hand, während der Geohrfeigte sich an die Kante seines Schreibtischs klammert, um nicht zu stürzen, nicht zurückzuschlagen, Krieg, du bist im Krieg, muck nicht auf.
Deslauriers sagt laut, an alle gerichtet: »Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein und schlaf nicht mit meinen Mädchen, verstanden? Du Vollidiot von einem Bullen, dass du noch lebst, verdankst du nur Dora Belles Freundschaft zu dir. «
Und er geht, wie er gekommen ist, quer durch den erstarrten, stummen Raum.
Domecq ist totenbleich und wie gelähmt. Kann nur langsam wieder atmen. Blick zu den Glastüren der Chefs: Nichts hat sich gerührt. Kribbeln in den Händen, das Blut beginnt wieder zu zirkulieren. Die Kollegen wenden langsam die Blicke ab, setzen ihre Gespräche fort und gehen einer nach dem andern mittagessen. Allein. Erster klarer Gedanke: Deslauriers hat unseren Bericht bekommen. Die Frage: Wie wird der Chef reagieren?, ist beantwortet: indem er Deslauriers informiert. Unfassbar. Dann, schlagartig, eine Gewissheit. Ricout, den Dora Belles Freundschaft nicht schützt, ist in Todesgefahr.
Dominique Manotti beschränkt sich in ihrer Chronik der Besatzungszeit von Paris auf eine kleine (?) Schicht von Männern, die sich an den Kämpfen beteiligen und sich bereichern wollen. Das Leben der “gewöhnlichen” Pariser Bevölkerung bleibt ausgeblendet, der Roman konzentiert sich auf die Gewalt, die Körper und Psyche zerstört. Frauen kommen nur als Nutten und Flittchen vor, allen voran die “Edelnutte” Dora, in deren „Wohnung“ sich Nazis und Kollaborateure bewegen.
Manotti schreibt in knappem, hartem Stil. Sie leitet die Szenen mit einem Rundblick über Raum und Personen ein, man fühlt sich an Regieanweisungen des naturalistischen Theaters erinnert. Sie braucht dafür keine Erzählung, sie präsentiert die Situation in sachlicher Bechreibung. Gefühle können in solcher Zeit keinen Platz finden, Nähe ist nur als Sex zu erfahren.
Ehe sie am Kino ankommen, verlangsamt sie ihren Schritt. »Nicolas, tu mir einen Gefallen.«
»Allzeit bereit.«
»Am Kinoeingang lässt du mich allein, du gehst zurück zur Place des Etats-Unis und holst Ambre. Sieh zu, dass du sie überzeugst, mit dir zu kommen, und bring sie mir hier zum Ausgang. Ich fahre nicht nach Deutschland, ich bleibe in Paris und gehe zu Rene zurück. Mit Ambre.«
Fassungslos bleibt Domecq stehen und sieht sie an. Eine Frau, die ich eigentlich kennen sollte. Mein Spitzel. Und doch total überraschend. Zu spät, um sich damit aufzuhalten.
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
»Vor etwas mehr als einer Woche. Warum?«
Domecq fasst sie bei der Schulter, zieht sie an sich. »Dora, Deslauriers ist gestorben, vermutlich ein oder zwei Tage, nachdem er dich getroffen hat.«
Die Nachricht sinkt vom Kopf ins Herz. Das Gesicht verliert seine Strahlkraft, die Schminke schwindet, als würde die Haut sie essen, fressen, die Schultern werden schmaler, der Busen erschlafft, sie schrumpft. Tonlos: »Kann ich dir glauben?«
»Ich habe seine Leiche gesehen.« Sie bleibt skeptisch. »Wie sag ich’s dir, Dora? Ich habe dich nie belogen.« Oder ganz selten … Oder indem ich nicht alles gesagt habe … Oder nur mit deinem Einverständnis …
»Was ist ihm zugestoßen?«
»Ermordet.«
Ein Moment vergeht. »Von wem?«
»Der Auftrag kam von Bourseul.«
Sie ist nicht überrascht. Bourseul. Jetzt ist sie überzeugt. Sie lehnt sich für einen Moment an seine Schulter, ein kurzes Schluchzen, dann nimmt sie wieder Haltung an. »Warum hast du mir nichts gesagt?«
Was antworten? »Ich habe nicht kapiert, dass er dir so wichtig war, Dora. Nichts habe ich kapiert.« Er verstummt. Sie nimmt ihn am Ellenbogen, drängt ihn vorwärts Richtung Kino.
»Warum hat Bourseul Deslauriers umbringen lassen?«
»Geld. Nicht originell. Bourseul, Deslauriers und Bauer haben viele gemeinsame Geschäfte laufen. Immobilien, Hotels, Nachtclubs. Auch Unternehmen, glaube ich. Alkohol, Wein, solche Sachen. Deslauriers ermordet, Bauer wird schon einen Weg finden, im Krieg zu fallen, und alles geht an Bourseul.«
An diesem lauen und sonnigen Spätnachmittag drängt sich vor dem Kino eine Schar fröhlicher junger Leute, jubelt Viviane Romance, Jean Marais, Dora Belle zu, umringt sie, um Autogramme zu ergattern. Domecq bewundert Dora. Sie ist sehr professionell, lächelt, signiert, mechanisch, mustergültig. Ein Dröhnen kommt von der Place de l’Etoile herüber, man ist daran gewöhnt, achtet praktisch nicht mehr darauf, zwei Panzerkolonnen rollen auf dem Rückzug von der Normandiefront quer durch Paris. Vorbei an der vergnügten Menge, mit Zweigen bedeckt, um den alliierten Fliegern zu entgehen, einige sind ramponiert. Blutjunge Panzersoldaten, verwahrlost, verwundet, noch entsetzt über das eben Erlebte, blicken dumpf und ungläubig auf die jungen Pariser, die johlen, die lachen, die die Schauspieler belagern und denen die Wracks des Krieges herzlich egal sind. Nur Dora schaut gebannt zu, wie sie vorüberfahren. Sie dreht sich zu Domecq um.
Die Bezeichnung „Kriminalroman“ täuscht. Es wird zwar ständig gemordet, doch es findet keine Aufklärung statt. Das lassen die Verhältnisse nicht zu. Das ist auch nicht das Thema Manottis, ihr geht es um den Verfall der Sitten.
2004 280 Seiten
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Dominique Manotti: Roter Glamour
Ein behaglicher Salon in Beige- und Brauntönen: zwei Ledersofas, ein paar wuchtige Sessel, Couchtisch aus Glas und Stahl, dicker weißer Wollteppich, zwei große Fenster, von schweren Samtvorhängen verdeckt. An der Wand eine von einem Spot angestrahlte, auf artige Weise anzügliche Rötelzeichnung von Boucher, auf der eine rundliche, nackte junge Frau aufs Anmutigste von einem kaum bekleideten jungen Mann bedrängt wird. Männer zwischen vierzig und sechzig, dunkler Anzug und Krawatte, sehr konventionell, reden, trinken Champagner, Whisky, Cocktails, serviert von Frauen zwischen zwanzig und dreißig, die vom einen zum anderen gehen, alle hinreißend schön, eng anliegende Kleider, gut geschnitten, gedeckte Farben, dezente Dekolletes, zurückhaltender Schmuck, lächelnd, aufmerksam.
Gerade wurde ein Waffengeschäft mit dem Iran unter Dach und Fach gebracht, eintausend Raketen, illegal geliefert, da das Land mit einem Embargo belegt ist. Da war die Anspannung natürlich groß. Zumal die Lieferung im letzten Moment um ein paar Tage verschoben werden musste. Der Flughafen von Malta, über den die Fracht laufen sollte, war Schauplatz einer regelrechten Schlacht zwischen ägyptischen Spezialeinsatzkräften und palästinensischen Geiselnehmern gewesen. Zu guter Letzt aber, ein paar Dutzend Tote später, war der Flughafen befreit und gestern wieder für den Verkehr freigegeben worden, und heute Morgen nun war die mit Raketen beladene Boeing 747 Cargo von Brüssel-Zaventem über Malta-La Valetta in Richtung Teheran abgeflogen. Sie muss zur Stunde in Teheran gelandet sein. Und jetzt, da das Geschäft abgewickelt ist, darf gefeiert werden.
Die Methode Manotti: Ein Tableau des Raumes, der Personen, knapp, kühl, präzise. Dann setzt die Handlung ein, auch hier eher Andeutungen, der Leser ist gefordert, sich die Zusammenhänge zu erschließen, die Personen zuzuordnen. Versatzstücke, die wiederkehren. Schwache Männer, die die Macht okkupieren und deshalb mächtig auftreten müssen. Revierkämpfe. Das geht nicht ohne Drogen und braucht die Insignien: teure Restaurants, bezahlte Frauen, lächerliche Gesten. Die Frauen sind die eigentlich stärkeren, müssen aber im Hintergrund bleiben, um sich ihre Stellung zu sichern. In “Roter Glamour” gibts eine junge Ermittlerin, Noria Ghozali. Gelehrig, intuitiv, unauffällig, nordafrikanischer Herkunft.
Das Thema: Waffenschmuggel, Drogenhandel, Seilschaften, immer am Rand des Abgrunds. Der Strippenzieher ist François Bornand, Berater des Präsidenten – Mitterrand, deshalb “roter” Glamour – und gleichzeitig zwielichtige Figur. So ist das auch bei den “Roten”, es geht um “fric”: Kohle, alles andere ist Nebensache. Der Fisch stinkt vom Kopf her.
2001 250 Seiten
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