Nachrichten vom Höllenhund


Franck
1. Juni 2013, 17:12
Filed under: - Belletristik

Julia Franck: Rücken an Rücken

franckrueckenJulia Franck „verwendet“ in ihrem Roman „Rücken an Rücken“ Gedichte aus dem „Nachlass von Gottlieb Friedrich Franck (1944 – 1962)“. Das war ihr Onkel, Sohn der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger. Der Roman macht diese sehr privaten Gedichte verständlich, dennoch scheinen die existenzialistisch vertieften Zeilen wie aus der Zeit gefallen, fremd auch in der DDR der frühen sechziger Jahre. Es sind Schreie eines klugen, aber nicht fürs Leben tauglichen 18-Jährigen. Schon gar nicht für ein Leben, wie es seine Mutter Käthe von ihm und seiner Schwester fordert, ein Leben, gewidmet der Gesellschaft, dem Aufbau des Sozialismus. Die Gesellschaft zeigt sich als kalt, bürokratisch, nicht am Leben des Einzelnen interessiert. Käthe, die Mutter, ist ihre Apologetin, verbohrt in ihre Ideologie und doch Egomanin ohne Gefühle, ein Mensch als Apparat. Dass sie dazu geworden ist, wird nur angedeutet.

Thomas’ Lebensschreie werden von Mutter Käthe unterdrückt, nicht zugelassen, die Kinder haben zu funktionieren, müssen verhärten. Liebe, Geborgenheit kann und will sie ihren Kindern nicht geben. Thomas und seine Schwester Ella finden keinen Ausdruck für ihr Leiden, ihre Einsamkeit; sie versuchen sich gegenseitig zu stützen, „Rücken an Rücken“, doch sind beide zu schwach, ihre Sehnsüchte einzufordern, aufzubegehren. Sie „flüchten“ an den See  – Felicitas von Lovenberg (FAZ) fühlt sich an „Hänsel und Gretel in der DDR“ erinnert – oder in Krankheiten, Ella kommt für Monate zur Schlaftherapie in die Klinik, Thomas verdoppelt sein Leid in den Gedichten.

Das große Haus des Scheidens / Erfüllt von zahlloser Menschen Gedränge / Steigt lichtglänzend auf l In der nach t­dunklen Stadt. //
Und einmal betreten den Dom des Abschieds / Entrinnst du nicht mehr dem ziehenden Drang, /Der ungeduldig und grausam dich fortspült / Auf kalter Schienen endlosem Strang… //- Vorbei die Wärme bewohnter Häuser-/- Ver­blichen der Klang bekannter Stimmen / Und rückwärts erschaust du die fliegenden Bilder, / Die seltsam zerrissen / In Tränen verschwimmen … // … Schienen, die blassrot in Son­nen erglänzen / Und stumpfgrau in Nebel hinübergleiten, / Verbinden verlorene verlassene Orte, / Die dir und mir nun nichts mehr/ Bedeuten …

Der Expressionismus der unverstandenen Jugend, DDR 1961, die Mauer wird gebaut und damit begräbt sich für Thomas ein weiterer, vager Traum von Freiheit. Thomas zerbricht fast an seiner Arbeit im Bergwerk, der er sich für ein – von Mutter Käthe – anvisiertes Studium der – gesellschaftsrelevanten – Geologie unterziehen muss. Den rauen Sitten der Mitwerktätigen hat er nichts entgegenzusetzen. Später macht er ein Praktikum in einer Klinik, sieht den Tod und findet die etwas ältere Marie. Marie ist verheiratet, hat eine kleine Tochter, ihr Mann schlägt und misshandelt sie, degradiert sie. Thomas und Marie erkennen einander in ihrem Leid, ein Ausweg ist nicht denkbar. Thomas ist ein “Werther”, der an der Kaltherzigkeit der Welt zerbricht. Seine Schwester Ella ist sein “Wilhelm”, aber sie, selbst misshandelt,  kann ihm weder einen Weg weisen noch ihn beschützen. Das Ende ist bekannt.

Da die Pfeife nicht brennen wollte, klopfte Thomas sich die Kräuter wieder in die Hand, er rieb und rollte sie zwischen den Handflächen. Von wegen Hamlet. Du glaubst, das betrifft nur mich. Das betrifft jeden.
Na, na, na. Du bist ja nicht jeder. Ist nicht jeder so auffällig in der Schule, will ja nicht jeder immer alles besser wissen, drohend hob Ella den Zeigefinger.
Thomas ließ nicht mit sich scherzen, ernst blieb er. Wenn du erst mal dein Abitur hast, meinst du, sie lassen dich dann gleich an ihre Theaterschule?
Ella legte die Füße auf den Schreibtisch und trommelte auf ihre Knie. Sie kniff die Lippen zusammen, sie hatte sich angewöhnt, nicht mehr jede Frage zu beantworten. Besonders nicht solche, mit denen Thomas ihr die Augen öffnen und falsche Hoffnungen kaputtmachen wollte. Sie hörte das Zischen des Streichholzes. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er an der Pfeife saugte, als saugte er um sein Leben. Wer sagt denn, dass ich überhaupt Abitur mache? Im Augenblick sieht es eher nicht so aus.
Thomas paffte, wegen besonderer Eignung, gleich genommen. Verstehst du nicht, dass es darauf gar nicht mehr ankommt? Das ist das Prinzip der Zersetzung. Du hast mir doch selbst erzählt, womit der Untermieter dich erpressen will …
Bist du gemein, Ella rückte sich im Stuhl zurecht. Was fiel Thomas überhaupt ein, von dem Untermieter anzufangen? Der mit seinen dreckigen Fingern, die er in alles reinstecken will, seiner Schlabberzunge, seinem Stinkepim…
Hat er dich nicht gefragt, ob du mitarbeiten willst? Bei seiner blöden geheimen Sicherheit? Den Staat schützen? Hat er dir nicht gesagt, die Lehrer würden dann milder, du könntest dein Abitur schaffen?
Auf den Schläfen drückte es, die Haarwurzeln brannten, Ella wurde heiß, ihre Haut im Gesicht brannte, ihr Hals, die Stimme kratzte. Und? Der Untermieter ist kein Allmäch­tiger, sie schüttelte den Kopf, keine Macht dem Untermie­ter, bloß nicht an ihn denken, glaubst du etwa, er ist schuld, dass ich krank geworden bin und das Jahr nicht geschafft habe und nichts behalten kann? Ella spürte Übelkeit.
Wer weiß? Thomas lehnte sich mit dem Rücken an die Zimmertür, wenn ich es mir genau überlege, er zog die Nase hoch, ja, unbeteiligt ist er daran nicht.
Nur entfernt hörte Ella, wie Thomas weitersprach, das Sausen in ihren Ohren war zu einem Rauschen angeschwol­len, sie konnte ihn kaum noch verstehen. Was sagte er? Dass auch Käthe nicht unschuldig sei. Aber was ist schon Schuld? Was nützt die Bestimmung von Schuld, wenn es um Verantwortung, um Entscheidungen geht? Ella schluckte, das Brennen ihrer Haut war kaum erträglich, die Übelkeit flaute ab und nahm zu, das Herzklopfen sank und stieg, sie atmete tief, immer wieder hatte Thomas sie in solchen Si­tuationen dazu ermahnt. Aber diesmal schien er nichts be­merken zu wollen, er redete weiter, und aus der Ferne hörte sie seine Sätze: Käthe glaubt an den Kommunismus, selbst wenn er sich neuerdings Sozialismus nennt, nirgends sonst hätte sie ein riesiges Haus mieten können, mit Garten, ein Atelier im Stall errichten – mittellos, trotz ihrer vornehmen Herkunft. Er sagte es sachlich, beinahe sanft, ohne Vorwurf und Spott, da kam der Untermieter vielleicht gerade recht.

Julia Frack tut sich schwer mit dem Roman. Sie will sich nicht von ihrem Werther distanzieren, sie will ihn mit ihrer Einfühlung rehabilitieren, sie lässt sich auf die schwer-mütige Sprache der Weltwahrnehmung der beiden Jugendlichen ein, sie schwebt mit ihrer Darstellung zwischen allen Zeiten. Das Schicksal, will sie sagen, ist zeitlos, jede Gesellschaft hat ihre Unterdrücker, ihre “Untermieter”, ihre Opfer. Das Schicksal bleibt existentialistisch. Dass der Roman 2011 erschien, merkt man ihm nicht an, die Personen erscheinen in der Geschichte heute so fremd wie “Werther”. “Alles in diesem erzählerischen Prozess ist symbolistisch überhöht, überzeichnet, überinszeniert. Es gibt kein gelassenes, kein wie zufälliges, kein auch nur annähernd an irgendeine Realität erinnerndes Wort“, schreibt Hubert Winkels in der ZEIT. Mutter Käthe ist noch statischer gezeichnet als die Figuren, die sie aus dem Stein klopft, sie ist zu sehr Karikatur, Klischee, um Interesse zu erwecken, obwohl ihre Biographie erwähnt wird. Es gibt ja das Vorbild in Julia Francks Familie: die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger, ihre Großmutter – “Genossin Rabenmutter” (Knud Cordsen, Deutschlandradio). Und manchmal ist das Klischee doch sehr nahe an der Realität. Das muss man Julia Franck nicht vorwerfen, wie es, exemplarisch, aber gesteigert, André Schwarz tut (literaturkritik.de).

2011       380 Seiten

Leseprobe auf der Autoren-Seite von Julia Franck beim S. Fischer-Verlag

“Autorenfilm” von Daniela Schmidt-Langels mit romantischen (?) Bebilderungen

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