Nachrichten vom Höllenhund


Die Spitzeder
15. Juni 2013, 18:01
Filed under: Theater

Martin Sperr: Die Spitzeder
Inszenierung: Michael Bleiziffer

Bauerntheater ist das nicht, auch wenn bairisch gesprochen wird. Dafür fehlen die Rollenklischees, die provozierten Lacher über Bauernschläue oder Devianz. Es ist auch nicht das „Kritische Volksstück“ der 70-er Jahre, für das neben Sperr auch Kroetz oder der junge Fassbinder stehen. Dort sieht man die kleinen Leute als Opfer der Verhältnisse, dort sieht man auch Ausbruchsversuche.

Martin Sperrs „Die Spitzeder“ wird wohl auch deshalb selten gespielt, weil sie nicht recht in die Beschreibungen passt. Das Stück spielt in der Stadt, in ihren kleinbürgerlichen Zwischenwelten, es lockt der „Glanz“, wie es Irmgard Keun nennt, der auf ein Mädel vom Land eigentlich nur in Gestalt eines gut ausgestatteten Liebhabers fallen kann. (Auch als Schwindler bleibt er in der spitzeder3Rolle.) Die Spitzeder macht es sich selbst. Sie darf ein bisschen lesbisch sein, ohne die/alle Männer vor den Kopf zu stoßen, sie darf den Mann zum Büttel degradieren, sie darf sich Champagner und Torte gönnen. Bestraft wird sie – hier bleibt sie die Frau – am Ende natürlich doch. Der Mann hat das Geld und das Hotel in der Schweiz, Adele Spitzeder sitzt im Knast. Immerhin darf ihre abgelegte Gespielin Emilie in Form eines Tabakladens am „Glanz“ teilhaben. (Sie nennt ihre Tochter Adele.)

Da sich keine geeigneten Stücke zu den Themen der Zeit einstellen, sucht man in der Vergangenheit und zerrt Parallelen ans Bühnenlicht. Da die heutige Krise zu abstrakt ist, reduziert man das Vergleichbare. In Ibsens „Ein Volksfeind“ erkennt man die Abgründe der Demokratie, Sperrs „Die Spitzeder“ liefert das Motiv der Schneeballgeschäfte als vermeintliche Grundmodelle der Finanzkrise.

Die Spitzeder begreift schnell. Wenn ich etwas höhere Zinsen verspreche, leihen die Leute ihr Geld mir und nicht der Bank nebenan. „Sie bringen mir das Geld und ich nehme es ihnen ab.“ Der Einfachheit halber setzt sie auf die Einfältigkeit des Volkes und zahlt ihre 6% Zinsen gleich bei „Einlage“ des Geldes aus. „Herrin des Diridari“ (Bayernkurier). Das Volk dünkt sich im Himmel, der Verstand schaltet sich aus. Die „Spitz“ bestellt sich Champagner, neue Möbel und leistet sich Angestellte und eine neue Gespielin; noch im Gefängnis residiert sie.

Nach der Pause kommt’s dann dick. Banken und Staatsmacht verbünden sich, über die willfährige Presse werden „Gerüchte“ gestreut, der Run auf das gutgeschriebene Geld setzt ein. Adele Spitzeder ist natürlich weder liquide noch solvent. „Die Mutter des Anlagebetrugs“ (SZ). Manche ihrer Kunden sollen sich umgebracht haben, die etablierten Banken triumphieren und können ihre Geschäftsmodelle weiter treiben.

spitzeder1Das Stück passt für die Freiluftbühne, auch wenn es im Hotelzimmer spielt, in das sich die forsche Spitzederin samt Gespielin eingemietet hat, bzw. im Gefängnis – auch hier wird das Verlies zum öffentlichen Raum. Der durchtriebene Wirt (Michael Heuberger) ist der bigotte Geschäftsmann, der sofort von der „Vermietung“ seiner „Damen“ zur Spitzederin überwechselt, als deren Geschäfte mehr Profit versprechen. Susanne Berckhemer ist als Adele Spitzeder bayrisch burschikos, sie hält die Fäden zusammen, ist von ihrem Gewinn wie von ihrer Unschuld überzeugt und überzeugt damit auch die Zuschauer. Als Begleiterin hält sie sich zunächst Janina Schauer, wie schon öfter das Trutscherl, laut, naiv, auch nervig. Als sie verstoßen wird, übernimmt Patricia Bernhard, im Typ eher zart und blass, für ihre Rolle braucht auch sie wenig Verstand. Hübsch die Bürgermädchen als Kokotten im Habit der Münchner Vorstadt der Jahrhundertwende. Viele kleinere Rollen für Personal, das Tische auf die und von der Bühne trägt. Sonderapplaus gab’s für Verdis „La donna é mobile“, von Corinna Huber exaltiert ins Publikum gepresst.

Dass Michael Bleiziffer „die Geschichte … als einen harmlosen Unterhaltungsabend gerade zu diesem brisanten Thema inszeniert und damit gerade nicht vorderhand Empörung provoziert“ (BR2 kulturWelt-Audio), sollte nicht angeprangert werden. Viel mehr gibt Sperrs Stück nicht her. Und an einem lauen Sommerabend geht man eh nicht in den Thon-Dittmer-Hof, um sich provozieren zu lassen.

Theater Regensburg – Aufführung am 12. Juni 2013


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