Filed under: - Belletristik
Ingomar von Kieseritzky: Traurige Therapeuten
Arthur Singram (Achtung: sprechender Name) hat sich mit seinen Panallergien, Panphobien und all seinen Idyosynkrasien zurückgezogen ins Sanatorium. Dort blickt er zurück auf sein Leben und das seiner Vorfahren, auf die „traurigen Therapeuten“, die ihn und die er therapierten, oft mit seltsamen Methoden und Medizinen, natürlich ohne Erleichterung, denn die Marasmen sind der eigentliche Lebenszweck und –inhalt. Singram leidet an einer „zivilisatorisch induzierten Hypersensibilität“, also an allem, an sich sowieso. Er sehe aus, so eine Ärztin, „wie der noch aufgeschobene Tod„.
Ich sei mit seiner Behandlung damals sehr zufrieden gewesen, sagte ich, er habe alle meine selbst entdeckten Symptome, ja den ganzen Komplex positiv interpretiert und mich ermutigt, auf meinem neurotischen Weg fortzufahren, die Ekelreaktionen zu kultivieren und meinen Suchtcharakter zu profilieren.
Den Tieren, und es gibt deren viele im Roman, wahrscheinlich sind sie die Hauptpersonen, geht es nicht anders, auch sie sind geistig oder physisch auffällig und wenn sie sterben, werden sie, wie es sich gehört, bestattet oder gerne auch taxidermisch behandelt.
Der Roman entwickelt sich nicht, er kreist um Arthur Singram und seine Symptome. Die Form ist der Inhalt und diese(r) ist sprachlich überelaboriert. Selbstgefällig, zuweilen amüsant, eigentlich immer amüsant, aber doch nur in Häppchen genießbar. Die Dosis ist entscheidend (Paracelsus), das Buch ist dafür, dass es nichts zu sagen hat, zu dick, es könnte natürlich auch beliebig dicker sein. Man kann natürlich auch beliebig viele Seiten überspringen, ohne an Inhalt einzubüßen. Die Stilismen wiederholen sich, oft auch die Gallizismen. Man kann natürlich auch das ganze Buch auslassen, ohne etwas Bedeutendes zu versäumen. Kieseritzky will unbedingt zeigen, „was alles er kann und auf wie extravagante Manier er mit Stoff wie Stil umzugehen weiß, dergestalt, dass er sich in einem Wust von komischen Episoden, bizarren Anekdoten, ironischen Dialogen, witzigen Maximen, sarkastischen Zitaten, nekrophilen Binsenweisheitssprüchen verzettelt, dabei nahezu alle Spielarten des literarischen Amüsements mit bramarbasierender Beiläufigkeit durchstreifend und eitel protzende Halbbildung zur Schau stellend“ (David Axmann, Wienerzeitung).
Wie Sie wissen, schreibe ich an einer Lebensbeichte. Derlei Berichte – auch ohne belletristischen Ehrgeiz abgefasst – verlangen nach Stil, nach Delikatesse, nach einem gewissen Esprit de Finesse, kurz: nach Form. […] Unterlassen Sie die großen Zahlen, sagte ich; es ist so – ich schreibe, und dann fällt mir so viel auf einmal ein, dass die Gesamt-Masse der Formlosigkeit verfällt.
Schuld trägt Dennis Scheck, der das Buch einer verdutzten Buchladenbesucherin in die Hand drückte mit der Empfehlung, er habe sich „königlich amüsiert“ bei diesem „durchgeknallten“ Roman. Man sollte bei solchen Tipps vorsichtiger sein, denn die Kritiker lesen immer nur ein paar Seiten und gehen davon aus, dass es so weiter geht. Scheck hat ja recht, leider, es geht so weiter.
Mein Freund – ich darf doch Freund sagen – wir haben höhere Ziele zu verfolgen als die Sanierung lebender Menschen und Tiere. Sehen Sie, sagte er, in diesen Kasten. Und er stellte einen Kasten im Format 20 x 20 cm auf die Theke.
In einer Höhle standen auf bemalten Styropor-Felsen zwei winzige Mäuse und spähten aus ihrem Höhlenloch; mehrere Junge wimmelten, teils stehend, teils schlafend. Wir betrachteten die Szene, die eine Birne im Inneren des Kastens illuminierte, mit Achtung und benutzten das Guckloch der Hinterseite.
Es ist dies, sagte der Philosoph und Präparator, das Modell des platonischen Höhlengleichnisses mit einer Familie etruskischer Spitzmäuse. Die Präparation inklusive der Schnurrhaare dauerte zwei Jahre.
In der Tat war die Szenerie sehr naturgetreu.
Herr Borst, sagte ich, was ich sehe, sind präparierte Mäuse in einer künstlichen Höhle; warum das Tableau Platons Höhlengleichnis heiße?
Wenn Sie eine Taschenlampe nehmen, sagte Borst, und die Sache hinter Glas von vorn betrachten, sehen Sie unschwer die Schatten der Ideen.
Ja dann, sagte Frau Horak.
So könne man die Sache sehen, sagte ich. So müsse man sie sehen, sagte Herr Borst.
Frau Horak starrte noch einmal frontal in die Höhle.
Die Mäuse, sagte sie, konstituierten eine Usurpation absoluter Zeit im Raum.
Sie haben mich verstanden, sagte Borst bewegt, das war exakt meine Intention. Und man könne durch die Anima der Tiere im Modell sogar das Nichtende Nichts Heideggers dingfest machen.
Ja, sagte Frau Horak, nehmen Sie noch einen Daiquiri, das ist ja alles ganz wunderbar, und sie entließ einen langen, am Schluss etwas unklaren Satz über die Signifikanz der Phantasmata.
Meine Idee ist, da Freund Curtius leider unzugänglich blieb, unsere beiden Geschäftsbereiche zu koordinieren. Wie sieht es denn mit Ihrer Mortalitäts-Quote aus? Schlecht, sagte ich; meine Therapien seien alle wasserdicht. Schade, sagte Borst und fixierte uns bohrend aus seinen gelben Augen. Das sei entschieden zu wenig. Welche Spezies? Das Übliche, sagte Frau Horak, die letzte Patientin war eine Seegurke.
Seegurken seien symbolisch unergiebig, sagte Borst, er brauche exotische Tiere, sei aber auch mit Fröschen zufrieden.
Vor 30 Jahren habe er einmal mit präparierten Laubfröschen eine Golgatha-Szene gestaltet, Frösche ließen sich mit Hilfe von Epoxid-Harz in alle menschlichen Posen zwischen Erde und Himmel bringen. Ich vertraue Ihnen, sagte Borst beim Abschied, hier meine Telefonnummer an, ich bin der beste Taxidermist der Welt – immerhin der 2. Platz bei den Salzburger Weltmeisterschaften, die Jury war bestochen, ein Mann aus der Ostzone gewann mit einer miesen Halsbandmaus, gut, aber nicht genial gemacht, während mein Nietzsche, eine Bisamratte schreibend im Gehäus von Sils-Maria, originalgetreu! – Lassen Sie uns schweigend diese Becher leeren.
Leseprobe beim Verlag C. H. Beck
![]() 4-5 |
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar