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William Shakespeare: König Lear
Inszenierung Johan Simons
Michael Köhlmeier lässt nichts unerzählt und ersetzt damit nicht nur einige Regalbretter, sondern bietet sich auch an für eine Auffrischung des vage Gewussten. Warum will der alte König retirieren, weshalb macht er bei der Übergabe die üblichen Fehler, wozu und wie setzt Shakespeare Graf Gloucester ein, wieso bleibt das Erbe des Königs letztlich am scheuen Edgar hängen? Bei Köhlmeier glaub’ ich das verstanden zu haben, im Verlauf der Aufführung an den Kammerspielen wachsen aber wieder die Zweifel. Ganz schnell hat Lear Tochter Cordelias „Nicht mehr und nicht weniger“ falsch gedeutet, sie enterbt und verstoßen und damit die große Tragödie ausgelöst. Das Familiendrama wird zur Staatsaffaire, deshalb muss Lear auch König – gewesen – sein, Vater reicht nicht. Wozu aber braucht’s die Parallelhandlung um Gloucester und die Seinen? Weshalb sind am Schluss fast alle tot? Warum versteckt sich Edgar vor seinem Vater Gloucester? Zu vieles bleibt bei Simons’ Lear unbeantwortet – oder müsste man nur besser aufpassen?
Auch das Stück selbst hat seine Schwächen – wenn ich mir diese Meinung erlauben darf. Shakespeare braucht zu viele Volten und zugesteckte Billets, um seine Handlung – nicht zu entwirren, sondern zu einem Ende zu bringen. Die Beweggründe für die Morde und Selbstmorde überzeugen nicht, auch Lear’s Vererbungsfehler ist ja kein Verbrechen, sondern bloß beleidigte Einfalt. Die Ableitung des Krieges gegen Frankreich ist nur dramaturgisch begründet – wie auch der Sieg Englands gegen Frankreich unter Gloucesters illegitimen Sohn Edmund. Cordelia, eine wichtige Person, verschwindet nach der Eingangsszene von der Bühne und tritt erst recht spät wieder auf. Natürlich bleibt „König Lear“ repräsentativ, doch weniger in der Haupt- und Staatsaktion als in der menschlichen Tragik.
Bei Johan Simons gehen die leisen Töne verloren, obwohl er das Stück ja nicht als Königsdrama anlegt. Er habe den Lear „geerdet“, liest und hört man. Dagegen ist nichts zu sagen, doch steckt die Erdung schon im Stück. Der Sturm als Reinigung der Seele ist altes Symbol (In den Kammerspielen lassen sie’s aber gewaltig blitzen und krachen!) Die Heidelandschaft als Kontrast zur Glitzerwelt der Paläste hilft die untrainierten Affekte zu läutern. Schweine stören da gar nicht (schon gleich nicht, wenn’s so liebreizende sind wie in München). Das hat noch lange nichts mit Bauerntheater und brueghelscher Bilderwelt zu tun, woran die Mehrzahl der Rezensenten beim Anblick von Schweinen denkt.
Theater ist nicht nur Bühne für Humanität, sondern auch Schaubühne. Das begraste Rund der kleinen Drehbühne in der Mitte eignet sich gut als Welttheater, man betritt sie und wird davongetragen. Die stelzenartigen Aufbauten erinnern mich an Strandbad, die rot- und blaugestreiften Stoffe verstärken den Eindruck, auch die Auf- und Abgänge wirken darauf hölzern. Blendend der Glitzervorhang, der die Figuren in seine Fäden einspinnt. Es gibt genug zu sehen. Auch die abgerissenen Kostüme fügen sich in die zunehmende Standesverarmung, lassen auch Menschen im König durchscheinen, arm im Geiste, die rote Strumpfhose ist noch zerschlissener als die des Narren. Dass die Schweine stinken habe ich in Reihe 11 nicht mehr wahrgenommen.
André Jung ist kein König. Keine Herrscherfigur. Er hat zwar das Alter dafür, aber nicht das Wesen. Das lässt sich nicht schauspielerisch aufsetzen. Deshalb hat er – wieder einmal – seine guten Szenen, wenn er mümmelnd auf der Erde sitzt, verlassen, auf sich allein gestellt endlich zum Überlegen kommen kann. Da setzt er die kleinen Gesten des Verständnisses, da versteht man ihn, fühlt mit. Peter Brombacher als Vater Gloucester ist der würdig gewordene Alte, er muss aber sehr viel auf der Bühne herumstaksen, findet kein Ziel und keine Ruhe. Was gar nicht geht, ist Kristof Van Boven als Gloucesters Sohn Edgar. Er gestikuliert rührend, artikuliert wie ein Kind, wo er weiser Irrer sein müsste. Hier fehlt das Format für die Rolle, eine Fehlbesetzung. Auch die Königstöchter gefallen mir nicht. Annette Paulmann (Goneril) spielt „deftig und tonangebend“ (Britta Schönhütl, cult:online): Annette Paulmann eben, und Sylvana Krappatsch (Regan) ist auch mehr kneifend als durchtrieben. Marie Jung darf als Cordelia zu wenig auf die Bühne, ihre Reiterhosen als Frau des Königs von Frankreich versteh‘ ich eher als ihr Minikleinmädchenkleidchen bei der Anfangsszene. Absolut blass bleiben die Ehemänner von Goneril und Regan, auch Stefan Hunstein als Gloucesters Bastard-Sohn Edmund verleiht das Theaterblut Farbe, nicht der „pseudolustige Tölpelton als Intrigen-Kaspar mit Kunibert-Frisur“ (Christine Dössel, SZ)
Nein, kein „Bauerntheater“. Die Kritiker lassen sich von den Schweinen und einem Artikel im Theaterheft in die Irre leiten. Das Konzept von Johan Simons stimmt, auch das Bühnenbild dazu. Wenn ich nichts über das Stück gelesen hätte, hätte ich viel gesehen, aber nicht viel verstanden.
Das Ensemble der Kammerspiele wird stets als eines der besten gepriesen. Die Stücke werden regelmäßig bepreist und eingeladen. Die Kritiken haben aber immer öfter immer mehr an den Aufführungen auszusetzen. Wie passt das denn zusammen?
Kammerspiele München – Aufführung am 21. Juni 2013
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