Nachrichten vom Höllenhund


Löhr
11. Juli 2013, 13:25
Filed under: - Belletristik

Robert Löhr: Krieg der Sänger

loersaengerkriegDer historische Roman lebt von seinen Variationen. Das Mittelalter ist populär wie selten, bietet es doch für den Menschen, der sich in seiner Zeit gar nicht mehr auskennt, ein überschaubares Ensemble an Schauplätzen, Spielfiguren und Konflikten. Nichts davon lässt sich so genau verifizieren, man darf ein wenig mitspielen und meint dabei zu lernen, meist ist schon wieder was passiert, Morde sind beliebt.

Löhr setzt das versiert zusammen, unterhält und belehrt den Leser – und enttäuscht mich doch auch. Schauplatz ist die Wartburg, wo im 13. Jahrhundert ein legendärer Dichterwettstreit stattgefunden haben soll. Löhr führt die bekannten Minnesänger zusammen: Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Reinmar von Hagenau, Heinrich von Ofterdingen, dazu gesellt Löhr den jungen, noch unbekannten Außenseiter Biterolf von Stillaha, beliebte Figur des Genres. Diese Person wird so wenig beachtet, dass sie sich gut zum Aufklärer der Intrigen und Komplotte eignet, Biterolf ist als Junger auch auserkoren für die reine Liebe. (Ein realer Biterolf ist nicht verbürgt.) Im Mittelpunkt des Dichtertreffens stehen natürlich Wein, Weib und Gesang, im Rausch von alldem verabreden die Sänger einen Wettstreit. Wer am schlechtesten singt, soll sein Leben lassen, der blinde Reinmar soll’s richten. Das ganze Projekt stellt sich als Intrige des Thüringschen Landgrafen Hermann heraus, der damit seine Rache am unbotmäßigen Heinrich von Ofterdingen kaschieren will. Alle erweisen sich als käuflich, korrupt, machtgeil, die Frauen sind Beiwerk.

In der weitläufigen Burg wird gegessen und geliebt, gekämpft und gestorben, ein Schauplan liegt bei, der Belesene kennt sich aus. Winterliche Kälte und Schnee machen die Gelenke steif und verwischen Spuren, treiben aber auch die Leiber zueinander. Die Konflikte sind geläufig, Löhr kann sie neu motivieren, da er die Dichter zu Akteuren macht. So hören wir etwas von der Bedeutung der Sänger auch für die Reputation der weltlichen Herren, wir erfahren von eher realistisch, eher idealistisch dichtenden und von Sängern, die sich mehr dem Publikumsgeschmack öffnen und die Liebe besingen. Löhr lässt die Charaktere der Sänger aufeinander prallen, den derb betörenden Heinrich, den verklingenden Walther, eigensinnige Adjutanten, der Roman lebt und ist lustig.

Schon seit fünf Tagen, seit Sankt Thomas, war der Him­mel über dem Thüringer Wald ununterbrochen bedeckt gewesen, aber jetzt schien es, als würden die Wolken noch einmal finsterer, als wollte die Nacht schon mittags herein­brechen. Anders als Wolfram, der das Leiden seiner Figuren erträglich gemacht hatte durch Humor, versagte Heinrich von Ofterdingen seinem Publikum derlei Entspannung: Die Dunkelheit der Nibelungen war vollkommen. Liebe und Barmherzigkeit suchte man vergebens. Gott wurde nur angerufen, um bei seinem Namen zu fluchen, Priester wa­ren bloß Männer in Ornat und Kirchen Gebäude aus Stein. Ofterdingens Figuren handelten so unerträglich und so un­christlich, dass man keiner von ihnen Mitleid entgegenbrin­gen konnte.
Wolfram hatte seine Helden mit milder Distanz beschrie­ben und durch die Geschichte bewegt wie ein Schachspieler seine Figuren, Ofterdingen hingegen war jeder seiner Kö­nige, Damen und Ritter: Er schlüpfte von Vers zu Vers unter eine andere Tarnkappe; war mal der gutgläubige Siegfried, mal der pragmatische Hagen und mal der verzagte Gunther; konnte leichtfüßig sogar das Geschlecht wechseln und den Kummer und die Gehässigkeit der Königinnen glaubhaft darstellen. Er gab seinen Figuren Stimme, Mimik und Hal­tung, streckte die Fäuste gen Himmel, sank nieder auf die Knie, schritt singend auf und ab und umrundete unzählige Male Konrad, der unermüdlich fiedelnd in der Mitte saß. Im Dunkel, das trotz der Kerzen den Festsaal verschleierte, wurden die Züge von Ofterdingens eigenem Gesicht immer undeutlicher, und die Nibelungen und Burgunder hielten in dieser einen Person leibhaftig Einzug im Saal. Die gelben Kaminfeuer über der roten Glut waren flüchtiges Gold auf einem Bett von Blut.

Je weiter das Geschehen fortschreitet, desto mehr wird aus dem Wettstreit der Sänger ein Verteidigungskrieg der eingeschlossenen Sänger. Sie streiten angesichts der Angriffe der Leibwache des Landgrafen, sie giften sich an, sollten aber zusammenhalten. Ihre Eigenarten bleiben, doch gleitet die interessante Auseinandersetzung der Dichter in den konventionellen Actionroman mit mittelalterlichem Personal. Es könnten aber auch Indianer oder Eroberer sein. Da wird’s für mich langweilig und enttäuschend.

»Herrgott, die blöde Elster nun wieder«, stöhnte Ofterdingen. »Aber bitte: Hören wir, was Walther zu seiner Rechtfertigung zu sagen hat, bevor wir ihm die Haut ab­ziehen.«
Mit einem Seil band Ofterdingen Walthers Hände hinter dem Rücken. Dann nahm er eine Handvoll Schnee von einem der Fenster und rieb sie Walther ins Gesicht. Prus­tend erwachte dieser und erkannte, als der Schnee zerflos­sen war, die Gesichter der drei Männer.
»Was war das?«, stöhnte er und kniff die Augen zusam­men. »Ein Rammbock?«
»Eine Bratpfanne, du Rabenaas«, antwortete Ofterdin­gen. »Erklär uns, wie es so weit kommen konnte, Walther, wenn du nicht willst, dass wir dich zerlegen wie ein Stück Wild.«
»Ich bin ohnehin überrascht, dass ich noch lebe«, entgeg­nete Walther – und berichtete dann wahrheitsgemäß alles, was sich seit seinem Gespräch mit Biterolf zugetragen hatte; wie es dem Landgrafen gelungen war, ihn für seine Seite zu gewinnen, und wie er Walther zuletzt zum Kampf gegen seine Sangesbrüder gedungen hatte.
»Beklag dich nicht«, sagte Ofterdingen. »Du selbst hast dem Teufel die Hand gereicht. Wer sich mit Hunden schla­fen legt, wacht mit Läusen auf.«
»Und jetzt?«, fragte Wolfram. »Willst du wie Sophia uns davon überzeugen, die Waffen niederzulegen?«
»Da wäre vermutlich zwecklos. Ebenso zwecklos wie euer Widerstand gegen Hermann im Übrigen.«
»Also?«
»Ich rate euch zur Flucht.«
»Flucht?«, fragte Heinrich. »Für wessen Partei bist du eigentlich?«
»Ich möchte für gar keine Partei mehr sein«, lamentierte Walther. »Ich bin die Parteien leid. Ich möchte für mich sein und sonst für niemanden. Ihr und die Hermanns und die Atzes dieser Welt, ihr alle treibt mich noch in den Wahnsinn. Ich würde dieser Welt und ihren Plagegeistern allzu gerne entsagen.«

Erzählen lässt Löhr die Geschichte vom “Krieg der Sänger” den Teufel. In der Rahmenhandlung besucht dieser Luther, der gerade an seiner Bibelübesetzung auf der Wartburg sitzt, und versucht ihn – zu überzeugen, die Übersetzung ins Feuer zu werfen, wenn es ihm, dem Teufel, gelingt, ihn, Luther, von der generellen Bosheit der Menschen zu überzeugen. Der Teufel wählt als Beispiel die “lauteren” Sänger.

2012     320 Seiten

5 Fragen an Robert Löhr

 Homepage von Robert Löhr

 Leseprobe und mehr beim Piper-Verlag

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