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Sabine Peters: Narrengarten
Ein Staffellauf durch deutsche Biografien. Der Mitläufer rückt ins Blickfeld, Leben kreuzen sich, man kämpft allein weiter. Wie Dominosteine legen sich die Lebensabschnitte aneinander, was auf einem Stein liegt, passt nicht zueinander, muss aber aneinander halten. Es entsteht die gewundene Strecke durch die Viertel der Stadt, Sporthallen, Demenzheime, Berufsstress, geschlängelte Biografiestückchen, repräsentativ auch fürs ganze Land. Förderschule und Vernissage, zur Kunst zieht’s Peters mehr als in die Randbezirke, die höheren Schichten werden ausgespart. Die Lebensränder zerren, die Bindungen bestehen nicht, was innen ist, wird zerfurcht. Immer verglüht ein Funken Erwartung.
Die Namen der Stationen, Kupfermühle, Bargteheide, Gartenholz. Das klingt alles nach Ferien und nach Vergangenheit, nach Kindheit aus Filmen. Station Hasselbrook, ich bin zu müde, um hier umzusteigen und weiterzufahren, könnte im Barmbeker Stadtpark romantische Baumwipfel rauschen hören, dann weiter zum Airport, Reisende gucken. Zugvögel. Ich habe fünfzehn Euro auf den Kopf gehauen und möchte nichts wie nach Haus. Den Alten geht’s wie immer, im Rucksack drei Stücke von Mutters Kuchen. Zweimal im Jahr bei ihnen aufkreuzen in Fahrenkrug, halbjährlich Telefon, das reicht. Jeder geht seinen Weg. Nach dreizehn Jahren Sendepause wagen die beiden Alten es nicht mehr, groß nachzufragen. Glotze läuft, man schielt danach und bläst in einen Kaffee, alles klar. Mutter hat mich fast sofort erkannt, als ich unangemeldet in der Haustür stand. Wuselt gleich in die Küche, schickt mich zu Vater, in die gute Stube, so sagt sie noch immer.
Hier draußen Baumärkte und Hochhäuser, wer will in Hasselbrook wohnen. Ob die Adresse stimmt, wollten die Alten wissen, und ob ich Mutters Weihnachtspost neulich bekommen habe. Logisch. Nach einem Telefonanschluss hat sie natürlich auch gefragt, den gibt’s nicht, es gibt auch kein Handy. Aus die Maus, und Mutter hat nur noch gesagt, das größte Glück ist die Gesundheit. Damit war man beim Rheuma vom Alten, beim Wetter und konnte so Weiterplätschern. Am Ende muss Mutter natürlich doch ein paar Tränen verdrücken. Weil eine Mutter ihrem Kind ins Herz sieht. Immer noch ein guter Kerl, ihr Fritzchen. Was will sie damit sagen. Wer aus der Reihe fällt, ist automatisch ein Verbrecher?
…. Deutsche Frauen fallen auch nicht schnell ins Bodenlose, kein Schimmer, woran das liegt. Bessere Kontakte. Nicht so hohe Rösser, die sie reiten. Da tut sich dann für Frauen doch immer noch eine Tür auf, wird ein Tischlein gedeckt und ein Bettchen bereitet. Ein männlicher versackter Deutscher holt sich, wenn er Glück hat, einmal monatlich bei einem früheren Kollegen seine Post ab. Seit Mutters Weihnachtskarte kam nichts mehr, woher denn auch. Keine Rechnungen für Möbel, Telefon und Strom. Ich komm zurecht, auch ohne Staatsknete. Fühl mich damit nicht wohl. Wer liegt der Gesellschaft wohl mehr auf der Tasche, die Beamten mit ihren Bezügen, die lebensgefährlich bedrohten Banken oder solche wie wir.
Dein Weltbild ist bisschen einfach gestrickt, hat neulich der zeitungsversessene Lehrer gesagt, der immer gleich dreimal die Hinz & Kunzt abnimmt, der gerne plauscht, das gibt ihm ein gutes Feeling. Besser einfach gestrickt als paar Schrauben locker und ohne den Durchblick. Man muss bei allem die Interessenfrage stellen. Hier am Hauptbahnhof zum Beispiel. Die Musik am Ausgang ist nicht für die Reisenden gedacht, dass die auf Wolken gehen. Mozarts Mucke killt den Punks und Drogies den letzten Nerv, darum geht’s, jetzt halten sie woanders ihre Kaffeekränzchen. Hamburger wissen das, nur das Volk aus Fahrenkrug oder Frankfurt staunt. (aus „Fischers Fritz“)
Die Lebensbilder und “Lebensschläge” finden ihre Schauplätze in Hamburg und so entsteht ein Panoptikum von Stadt und Bewohnern. Wie in jeder Großstadt finden sich Milieus, die Personen und Stadtbezirke wechselseitig strukturieren, man kennt und trifft seinesgleichen, Abweichende irritieren. Der Leser wird in die Person versetzt, erlebt in ihrem inneren Monolog die Welt, Denken und Sprechen sind stilistisch angepasst an Milieu und Viertel.
Die wenigseitigen Kapitel sind in sich abgerundet, verknüpfen sich zu einem Netz von Konfigurationen, Personen werden in verschiedenen Konstellationen durchgespielt. Man kennt die meisten von ihnen aus der Nachbarschaft oder dem Bekanntenkreis, man erkennt sich oft auch selbst wieder. Das liegt hauptsächlich daran, dass Sabine Peters nur Stereotypen im Angebot hat, Bebilderungen soziologischer Beschreibungen, in all ihrer Individualität fehlt es den Personen an Eigenem, sie sind Figuren, scheinen den soziologischen (Sinus-)Milieus entsprungen, die Schicksale auf Seite 3 der Tageszeitung sind näher am Leben. Was Sabine Peters zu sagen hat, ist erwartet, man meint, sie kennt sich aus, doch zugrunde liegt das Klischee, die Recherche. Zunehmend erweist sich das beim Lesen als banal und langweilig. Ein bisschen Französisch und Portugiesisch zeigen das Weltfrauische, ein Zitat von Hermann Hesse, Sabine Peters hat alles verarbeitet, auch den Zwinkersmiley und die “Lehren des Neoliberalismus”. Der Roman einer Studienrätin für Deutsch und Sozialkunde, mit musischen Neigungen, Ergebnis eines erfolgreichen Jahres in der Schreibwerkstatt.
2013 235 Seiten
Leseprobe beim Wallstein-Verlag
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