Wolfgang Schorlau: Rebellen
Wolfgang Schorlau schreibt in seinem Schlusswort: “Vieles aus der beschriebenen Zeit erscheint aus der heutigen Perspektive wunderlich und sonderbar. Aber ich wollte nicht nur an eine vergangene Periode erinnern. Manchmal ist es notwendig, etwas Spezifisches zu erzählen, um etwas Allgemeines auszudrücken.”
Schorlau erzählt von Alexander Helmholtz und von Paul Becker, Unternehmersohn der eine, abgeschoben ins Heim der andere. Dazu kommt Toni Dreyer, sie darf selbst erzählen, wie sie sich zwischen den beiden entscheiden musste. Toni gibt auch den Kommentar zu den politischen Haltungen, sie soll als eine Art neutrale Instanz dem Leser bei der Urteilsbildung beistehen.
Erst im Rückblick verstand Alexander, was sie beide in diesem Moment wohl nur instinktiv erfassten: Es standen sich zwei Jungs gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein konnten, Klassenbester am Kepler-Gymnasium der eine, ein mittelmäßiger Schüler in der 7. Klasse der Hauptschule in der Karlstraße der andere, Denker und Träumer, reich und arm, sportlich und träge. Jeder von ihnen erkannte in diesen ersten Blicken die offensichtlichen Unterschiede, und doch ahnten sie bereits, dass etwas Gemeinsames in ihnen steckte, beide waren sie Suchende, und bereits bei dieser ersten Begegnung hegte jeder von ihnen den Verdacht, dass der andere im Überfluss besaß, was der eine schmerzhaft vermisste.
»Komm rein!«
Alexander und Paul politisieren sich im Freiburg der späten 6oer Jahre im Streik um Fahrpreiserhöhungen, die Musik der Stones liefert den Katalysator. Schorlau schreibt von Pauls Erfahrungen im Betrieb, von den Auseinandersetzungen im KBW, vom Wandel zu “Alexander heute”. Für wen Schorlau erzählt, wird mir nicht klar. Für Ältere mag ein wenig Nostalgie aufkommen, sie erfahren aber nichts, was sie nicht schon wüssten. Jüngere dürfte das Thema wenig interessieren, auch wenn Schorlau in einer Sprache schreibt, die auch für 13-Jährige geeignet ist, hölzern und holprig, banal und kein Klischee auslassend. Emotionen lesen sich so: “Das süße Gefühl der Überlegenheit machte sich in ihm breit. Warm und wohlig.” Die Personen wirken in all ihren Äußerungen wie Abziehbilder der “Rebellen” der Zeit, ihre Individualität, ihr “Spezifisches” ist unglaubwürdig und damit verliert der Text mein Interesse als “Roman”. Alles ist so exemplarisch, dass alles kommt, wie erwartet. Auch das Politische wirkt authentisch, aber gestelzt. Schorlau will “etwas Allgemeines” ausdrücken und benutzt die Figuren nur als schematische Identifikationsfiguren, nahe an der Karikatur. Nirgends überrascht hier ein Gedanke, bricht eine Figur aus der Schablone aus oder schlägt die Handlung mal einen Haken – uninspiriert wird etwas heruntererzählt, was man für repräsentativ hält. (Jan Schmelcher, hr-online) “Schorlau ist kein Erzählkünstler, sondern Rebell.” (Martin Halter, Stuttgarter Zeitung)
Dieser Aufstieg hatte etwas Beruhigendes für ihn, so als würde er nun von dem Makel seiner bürgerlichen Abstammung befreit. Diese hatte ihn belastet, denn nur das proletarische Element schien immer den richtigen Weg zu kennen oder ihn auf geheimnisvolle, instinktive Weise zu gehen.
Er erinnerte sich noch auf den Sturm auf den Bauplatz in Wyhl. In der Gegend direkt um den Bauplatz, auf dem das Kernkraftwerk entstehen sollte, war ein Demonstrationsverbot verhängt worden. So hatten die Bürgerinitiativen zu einer großen Kundgebung nach Sasbach aufgerufen, und Zehntausende strömten zusammen. Am Ende der Kundgebung hieß es, es sei zwar verboten, am Bauzaun zu demonstrieren, aber dort spazieren zu gehen könne niemandem untersagt werden. Alexander war mit Toni und Reintraud in deren altem R4 zur Kundgebung gefahren. Gemeinsam spazierten sie dann mit einigen Zehntausend Menschen zum Bauzaun.
Plötzlich sahen sie Paul.
Er war mit einer Gruppe Gewerkschafter aus Freiburg da. Alexander sah, wie er und seine Kollegen Gestrüpp, Reisig, Äste und Ähnliches aus dem Wald anschleppten und neben dem Zaun auftürmten, bis dieser Turm den Zaun überragte. Dann kippten sie weiteres Gestrüpp auf die andere Seite des Zauns. Vor ihren Augen entstand eine Art Brücke, eine sehr komfortable, leicht begehbare Brücke über den Zaun. Toni hatte sofort mitgeholfen und Äste aus dem Wald gezerrt. Alexander sah, wie auch an anderen Stellen derartige Brücken entstanden. Die Demonstranten strömten darüber auf den Bauplatz und besetzten ihn. Warum war er nicht auf diese Idee gekommen? Warum Paul? Lag das an seinem legalistischen bürgerlichen Klassenbewusstsein? Wahrscheinlich. Er fühlte sich klein und gedemütigt vor dem wahren revolutionären Bewusstsein, das Paul an den Tag legte.
Infos, Playlists (youtube) und Leseprobe auf der Homepage von Wolfgang Schorlau
„der Freitag“ hat viel Material zum Buch gesammelt
2013 330 Seiten
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Interessant, weil politisch immer noch brisant, ist Schorlaus Krimi über das Oktoberfest-Attentat von 1980: Das München-Komplott: Denglers fünfter Fall
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