Nachrichten vom Höllenhund


Delius
28. September 2013, 15:06
Filed under: - Belletristik

Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes

delius_papstDer Erzähler stellt sich vor als Archäologe und “Nebenerwerbs-Fremdenführer”, will sich “nicht zum Scheinfachmann für Kirchengeschichte aufspielen”. Sein “spärliches Wissen ist angelesen, wie man allzu abfällig sagt, aufgelesen, zusammengelesen, aber immerhin gelesen. Manches habe ich von meiner an­getrauten Historikerin Flavia. Viel zu selten gelingt es mir, bestimmte Einzelheiten im Gedächtnis zu be­halten, wie diese Einzelheit mit den Zuchthengsten, vor zwanzig Jahren in dem Buch einer Religionswis­senschaftlerin über die Theologie der Sünde und der Erbsünde entdeckt”. Das ist natürlich nur Topos, unbescheidene Herabsetzung und zugleich Absicherung: Andere können manches anders wissen.

Erzählt wird fast nichts. Nur ein paar Bilder, die im Gedächtnis blieben, flüchtige Episoden von Stadtführungen und, aktuell, die Beobachtung eines alten Mannes, der ein paar Plätze weiter auf der Bank der protestantischen römischen Christuskirche sitzt: der Papst. Das unerhörte Ereignis, doch Delius macht keine Novelle daraus. Benedikt, nahezu unbewegt, nur seine linke Hand ballt sich einige Male, fremd hier, “verirrt auf dem Weg zum Himmel”, bescheiden in Zivil, unprätentiöser Kontrast zu den vielen Vorgängern, in protzendem Ornat gemalt von Raffael, Tizian, Velazquez.

Der Papst ist zunächst nur die Figur, die im Erzähler Fragen evoziert, rhetorische Fragen, ungestellt, beantwortet vom Erzähler selbst, dessen Wissen, wie sich zeigt, beileibe nicht “spärlich” ist. Es folgt eine Brandrede, eine taumelnde Philippika (vom griechischen φίλιππος Phílippos „Pferdefreund“ – das ist wichtig). Delius’ Erzähler verstrickt alles aufs Furioseste  und Dichteste miteinander: die Kirchengeschichte mitsamt ihrer Mythen und Legenden – die meisten davon werden als Priester- und Potentatentrug entlarvt -, die servile Beziehung zwischen Klerus und Faschisten, die Deutschen und ihre Vereinnahmung Italiens in „Sehnsucht“ und Besetzung bis hin zum „regierenden Haremshäuptling“ und seinem Gesinnungsgenossen Gaddafi, dem „Öldiktator“, der Berlusconi anlässlich eines Staatsbesuchs mit Pferde- und Mädchenbeinen blendet und beglückt. Pferde waren es auch, weiß der Erzähler, achtzig „numidische Zuchthengste“, mit denen Augustinus den Kaiser bestach, um die Erfindung der Erbsünde durchzusetzen.

Pferde, achtzig numidische Zuchthengste, der Preis für das Dogma der Erbsünde! Es ist hier nicht der Ort, die Jugendzeit eines Bremer Beamtensohnes aus­zuleuchten, aber allgemein darf gesagt werden: Wer viele Jahre mit christlicher Körperfeindlichkeit und augustinischen Sündendiktaten eingeschüchtert wur­de, kann sie nicht vergessen, diese Fußnote aus der Kirchengeschichte. Ich vermute, es war die kölnische Schwägerin Monica, die mich auf das Buch hingewie­sen hat. Die ganzen unnötigen Qualen der christlichen Menschheit mit der Sexualität sind dem Kirchenvater Augustinus aus Nordafrika, dem Bischof aus Hippo bei Karthago und einem oder zwei Schiffen voll Rös­sern zu verdanken. Was für ein Blitz der Erleuchtung, was für eine Fügung, was für eine Delikatesse!
Nachdem die Pferde des Öldiktators über den Bild­schirm gesprungen waren, hatte ich das Buch über die Erbsünde herbeigeholt und mir noch einmal die Ge­schichte des Pelagius erzählen lassen. Der hatte, sich auf den frühen Augustinus berufend, ein humanitäres Christentum haben wollen und damit den Zorn des alten Augustinus auf sich gezogen. Vereinfacht gesagt, meine Damen und Herren, würde ich als Fremden­führer erklären, statt auf Armut und Ethik wollte der spätere Heilige die Kirche auf Reichtum und Macht bauen, eingeschlossen die Macht über die Seelen. Sein Gott will Unterwerfung und nicht, dass alle Menschen selig werden, wie es in der Bibel steht. Komplizierte Streitfragen, die der Meister des Schwarzweißdenkens da lostrat, der Verächter der Frauen und Verteufler des Geschlechtsverkehrs, der zuerst ein fleißiger Liebhaber gewesen war und seine Mätressen hatte, dann, kaum bekehrt und Bischof geworden, die Frauen zu Min­derwertigen und den Menschen zum Sündenklumpen erklärte mit der Begründung: Da jeder Mensch in Fleischeslust gezeugt sei, fleischliche Begierde schon mit dem Samen übertragen werde, müsse folglich die ganze Menschheit bereits im Mutterschoß mit dem Makel der Sünde behaftet sein, jeder habe in Adam mitgesündigt.

Delius musste das nochmal erzählen lassen. Er hat sich mit dem Papst gezankt, im Traum, im Traum versteht sich, der Papst saß ja nahezu unbewegt. Der Erzähler  stellt sich vor, die linke Hand des Papstes würde zucken und den regierenden „Hurenböcken“ die gebührenden Ohrfeigen verpassen. Ein Traum der Ohnmacht. Delius hätte ihn fast rückgemeindet in die „feste Burg“, der Papst zitiert Luther, alles Fiktion natürlich. Der Papst ist ja auch ein Deutscher. Den Heiligen Benedikt, übrigens, gab es gar nicht.

Selbst wenn man mir die Erlaubnis gäbe, dem Papst eine einzige Frage zu stellen, überlegte ich, nicht hier auf den Kirchenbänken, sondern bei einer offiziellen Pressekonferenz mit vorher schriftlich eingereichten Fragewünschen, dann wäre ich nicht gierig auf eine Antwort zu den Problemen mit pädophilen oder antisemitischen Frommen, über die genug Worte gemacht wurden. Wenn ich eine Frage frei hätte, dann würde ich mich nicht auf das Tollhaus der Gegenwart, sondern auf die Komödien der Geschichte einlassen, überlegte ich. Dann läge es nahe, uralte, immer wieder beiseitegeschobene Fragen hervorzukramen, etwa die nach Helenas Reliquienfindekunst im Sinn der italienischen Kölnerin Monica. Oder ich würde wissen wollen, ob und wann und in wie viel hundert Jahren der Heilige Stuhl zuzugeben bereit sein könnte, dass der berühmte heilige Benedikt nicht mehr und nicht weniger als eine literarische Figur, eine Erfindung des heiligen Gregor oder seines Adlatus ist. Es würde mich auch interessieren, wie vielen Menschen im Vatikan bekannt ist, dass der Kult um Maria erst dank zweier Übersetzungsfeh­ler möglich wurde.

“Hier macht sich ein freier Geist Luft gegen das schwere Parfüm der römischen Geschichtsübermacht” (Gustav Seibt, SZ) Aufklärung auf gut Deutsch, “das wäre läppisch und rechthaberisch, hätte Delius es nicht gebrochen als Kopfgeschwurbel eines sympathisch versponnenen und hochgebildeten älteren Herren” (nochmals Seibt).

2013       123 Seiten

 Homepage von F. C. Delius

 Leseprobe beim Rowohlt-Verlag

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Nur ein Hinweis: In der heutigen Literaturbeilage der FAZ (5.10.13) ist eine Rezension, die mit dem Buch nicht so gnädig umgeht wie der Gustav Seibt

Kommentar von Josef




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