Nachrichten vom Höllenhund


Pleschinski
5. Oktober 2013, 13:37
Filed under: - Belletristik

Hans Pleschinski: Königsallee

pleschinski

Die Königsallee liegt in Düsseldorf und sie steht für den Wiederaufbau und das frühe Wirtschaftswunder in Deutschland. Klaus Heuser ist eben aus dem fernen Osten zurückgekehrt, wo er die Jahre des zweiten Weltkriegs als Handelsattaché verbrachte, und er ist überrascht vom aufblühenden Leben in der deutschen Großstadt, das er so nicht erwartet hatte. Noch fremder zeigt sich Deutschland für Heusers Gefährten und Geliebten, Anwar Batak Sumayputra, der als Außenstehender stellvertretend für den Leser das Deutschland des Jahres 1954 bestaunen darf. Pleschinski zeigt in groben (Haupt-)Sätzen, aber feinverästelt die Facetten des Lebens: Speis und Trank, Sitten und Normen, Zerstörungen, die nicht nur das Stadtbild bestimmen, sondern auch Kultur und Politik verworfen haben.

Brennpunkt des Geschehens ist das Hotel Breidenbacher Hof, (Eigenwerbung: 1950 wird er in kürzester Zeit ein weiteres Mal zum Domizil für Könige und Wirschaftsmagnate und etablierte sich nicht nur als bevorzugter Treffpunkt der Reichen und Schönen, sondern dient auch als Ausstellungsort berühmter Kunstsammlungen.). In diesem Hotel bekommen nicht nur Klaus Heuser und sein Begleiter ein Zimmer (im 5. Stock), am selben Tag mietet Thomas Mann, 1952 wieder nach Deutschland bzw. in die Schweiz zurückgekehrt, eine Suite für sich, seine Frau Katia und Tochter Erika. Der 79-jährige Nobelpreisträger ist auf Lesereise und leicht enrhumiert. Das Pikante: Klaus Heuser war, 17-jährig, als Freund der Mann-Kinder zu Besuch bei der Familie und Thomas Mann hatte sich in ihn verschaut und nach seinem „Augenstern“  Romanfiguren gezeichnet: „Joseph und seine Brüder“ sowie „Felix Krull“. (Im Hotel Breidenbacher Hof arbeitet als Liftboy ein Armand, ein Nom de Plume von Felix Krull.)

Seine Familie hat beschlossen, dass es zu keiner Begegnung Thomas Manns mit dem jetzt mitte-40-Jährigen Klaus Heuser kommen soll. Es würde den Alten zu sehr aus dem mühsam von Frau und Tochter balancierten Gleichgewicht bringen. Diese Konstellation hätte sich für eine Novelle angeboten. Doch Pleschinski wollte – oder konnte – das nicht, und es stellt sich heraus, dass das Konzept Novelle nicht getragen hätte, denn die schließliche Wieder-Begegnung zwischen Dichter und Dichterliebe nach fast 30 Jahre verläuft zu harmonisch, zu verständnisvoll, hat nicht die Potenz zum – tragischen – Konflikt. (Thomas Mann, nebenbei, stirbt ja auch erst ein Jahr später, 1955.) „Das Schwerste tut not: Beschränkung.“ (Thomas Mann). „Dieser schwersten aller schriftstellerischen Aufgaben hat Pleschinski sich nicht gestellt, und so lässt er denn die genannten Herrschaften uferlos ihr Leben, ihre Gesinnungen und Stimmungen ausbreiten, als befände man sich in einer Fernsehserie mit dem Titel ‚Die Manns’“. (Ernst Osterkamp, FAZ)

Also finden sich im Roman Kapitel, die ohne Thomas Mann oder ohne Klaus Heuser auskommen. Stattdessen geht es um die Entwicklung der neuen Bundesrepublik mit ihren braunen Flecken bzw deren brauner Grundierung. Der Generalfeldmarschall Albert Kesselring, notdürftig „entnazifiziert“, logiert im Hotel Breidenbach und muss mühsam von einer Begegnung mit Thomas Mann abgehalten werden; der ästhetisierend-elitäre Stefan-George-Adept und Propagandist der Bücherverbrennung Ernst Bertram, einst Brief-Freund von Thomas Mann, bedrängt Klaus Heuser und dessen Freund in ihrem Zimmer, erbärmlich banal irrlichternd und zum Teufel gewünscht; Golo Mann, der nichtswürdige, unglückliche Sohn, schleicht sich an, er hat gerade seine Schrift „Vom Geist Amerikas“  fertiggestellt und bittet Klaus Heuser, sie seinem Vater zu übergeben. Auch Tochter Eri findet sich im Zimmer ein, belehrt über Mutter (Mielein) und Vater (der Zauberer) und darf ihre fortschrittlichen Gedanken zu Politik und Geschlechterverhältnissen vorstellen, begleitet von etlichen Gläsern Jägermeister. Klaus ist ratlos, Anwar weiß nicht, wie ihm ist.

Klaus Heuser setzte sich auf eine Bank in der Jägerhofallee. Es war ein Fehler gewesen, Asien zu verlassen. Daraus hatte sich der Kurzaufenthalt bei den Eltern ergeben, die Flucht ins Hotel, wobei kein Prophet hätte menetekeln können, daß unangemeldete Besucher die Mansardenzimmer überrennen würden, um zu singen, zu betteln, niederzuknien und mindestens ein Jahrhundert Revue passieren zu lassen.

“Dieser Roman beruht, soweit ich es erkunden konnte und es mir erforderlich schien, auf tatsächlichen Gegebenheiten. Im Sommer 1954 unternahm Thomas Mann eine seiner letzten Vortragsreisen. Zu dieser Zeit kehrte Klaus Heuser nach achtzehnjähriger Abwesenheit in seine Heimat zurück.” Bei seinen Nachforschungen übergab die Düsseldorfer Nichte Klaus Heusers Pleschinski bisher unbekannte, noch nicht veröffentliche Briefe. „Als ich diese Dokumente bekam, war es einfach eine Pflicht, einen Roman zu schreiben.“ – „Die Äußerungen und manche Gedankenfolgen der handelnden Personen halten sich vielfach an deren Notizen, Tagebücher und Schriften.” Die Tagebücher sind auch Grundlage des “Siebenten Kapitels”, in dem Thomas Mann sich mit sich selbst unterhält über seine Befindlichkeiten, seine politischen Haltungen, seine Bedeutsamkeit. Zitate und deutliche Anklänge gibt es auch zu Thomas Manns „Lotte in Weimar“. Viel Recherche. Was Thomas Mann ist, kann ich, Hans Pleschinski, auch.

Der Roman ist amüsant, lehrreich, geschickt komponiert, ersetzt fast eine Biografie von Thomas Mann und der Mann-Familie, ist „ein eindrucksvolles Sittengemälde der jungen Bundesrepublik“, zu voll mit Themen, Motiven und Personen, abschweifend, stilistisch bemüht, was kein Lob sein soll. Die Redeeinleitungen klingen nach Schreibwerkstatt, vielleicht ist das aber auch Thomas-Mann-like. In den Beschreibungen der Stadt und ihrer Honoratioren dominieren die Hauptsätze. 50-er Jahre Ton? Ironie? Beschränktheit?

Die beiden Frauen maßen einander nicht mit Freude; Thomas Mann schickte sich an, auf den Balkon zu treten.
«Hast du’s ihm etwa gesagt?» zischte die Tochter leise. Katia Mann schüttelte minimal den Kopf: «Die alten Heusers kommen, falls wir sie erreichen.»
«Mehr verträgt er nicht», kam es energisch zurückgeflüstert. «Er braucht den Kopf frei für den Abend und für Luther. Das wird schwer genug. Und nicht für alten Herzensschmus.»
«Ohne Augenweide fällt ihm nichts ein. Lebt er nicht auf.»
«Arg viel Duldsamkeit, schon immer», bedachte die Tochter. «Aber das ist nicht mein Sorbet. Und dieser Klaus ist schon über vierzig.»
«Schluß!» befahl die Hausherrin so deutlich, daß die mögliche Beendigung eines erneuten Zwists auch auf dem Balkon vernommen werden konnte.
Diesmal klopfte es. Unnötig leise schob sich Golo Mann herein und grüßte mit: «Guten Morgen.» Die Stimme klang verkratzt. Ähnlich wie bei seiner Schwester, allerdings ohne milderndes Make-up, wies sein Gesicht Spuren einer strapaziösen Nacht auf. Stirnfurchen waren eingekerbter, und trotz Morgentoilette blieben Pfeifenqualm und Alkoholdunst spürbar: «Hast du’s ihm gesagt, Mielein? Seine Hauptfigur ist da», ging das Geflüster weiter.
«Hauptfigur, so ein Unsinn», wurde er von der Schwester zu­rechtgewiesen, «Heuser war nur einer im Parademarsch seiner Menschenbeute.»
«Aber sie haben sich geküßt. Er hat auf ihn den allergrößten Einfluß.»
«Mit seinem Gspusi vertreibt er sich die Zeit in Asien.»
«Er hat den Zauberer in seiner Empfindungswelt bestärkt.»
«Noch größere Unsicherheit in ihn gesät. Männerliebe, wer­ter Herr Bruder, das geht nicht gut.»
«Andere auch nicht.»
«Sappho und ihre Priesterinnen lebten einvernehmlich.»
«Warst du auf Lesbos dabei? Kümmere du dich, Eri, um den Film.»
«Und du komm mit deinem Amerikabuch zu Potte.»
«Schneller, als du dachtest.»
«Und fahr uns nicht unangemeldet hinterdrein.»
«Das Amerikabuch willst du gar nicht, Schwesterherz, es preist die Freiheit und nicht die sozialistische Gängelung.»
«Imperialismus und Machtmißbrauch auf dem Rücken kleiner Leute!»
«Amerika ist unser Modell im Schlechten wie im Guten.»
«Ach ja. Zähmung der Banken und Linderung von Not?»
«Mein Denken steht für Tradition und Ehrgefühl.»
«Über Bord damit, Beißer, was die Katastrophen nicht auf gehalten hat.»
«Ich will, Madame Revolution, glaubwürdige Eliten und die gewahrte Form.»
«Ich will die Menschenrechte, uneingeschränkt.»
«Stil und Bildung garantieren die wahre Freiheit.»
«Gerechtigkeit und Frieden sind das Muß.»
«Edler Sinn, Madame.»
«Eher Menschlichkeit. Die Liebe zu den Geschändeten.»
«Begriffsgetöse!»
«Hör dich doch selbst.»
Katia Mann stand starr am Tisch: «Schluß», befahl sie laut und mit dem größten Nachdruck. «Ich verbiete jedes weitere Wort. Wir sind auf einer Lesereise. Und was getan und gesagt wird, das bestimme ich. – Essen», ordnete sie an, «das ist ja wie die Tölzer Kirmes. Das habt ihr in Ruhe zu erörtern, was förderlicher ist, das ungebundene, edle Gemüt, das aristokratische Prinzip oder die Menschlichkeit per Gesetz, das moderne Regulieren aller Unebenheiten. Ich glaube, ohne die würdige Aufsicht hakt es bei beidem.»
Die erwachsenen Kinder staunten einander an.
«Der Mensch ist doch zu gerne ein wildes Tier.»
Wie so oft wurde die Mutter unterschätzt, in ihrer Zählebig­keit wie in ihrem finanziellen Know-how und womöglich noch in manch anderem. Allein ihre Schlüssel blieben fortwährend un­auffindbar. «Tommy», drang ihre dunkle Stimme bis nach drau­ßen: «Du stehst im Schatten! Gottfried und deine Tochter haben Hunger.»
«Hier entgleist etwas», hörte sie Erika.
«Was denn?» vernahm die nicht sehr großgewachsene ge­borene Pringsheim vom Sohn. Die Perlen schmückten ihre geprüfte Brust.
Zögerlich, mit gesenktem Blick, näherte sich der Dichter seinen Nächsten. Appetit hatte er nicht. Bisweilen stützte die familiäre Entourage, wärmte, vielleicht öfters noch hielt sie einen gefangen, höhlte die Kräfte aus und definierte mit ihren Leben wie unentrinnbar das eigene, das doch auch völlig anders hätte verlaufen können. Wie klug war Goethe gewesen, als gera­dezu erschreckend freier Geist nicht einmal der Beisetzung der eigenen Mutter und der Ehegefährtin beizuwohnen. Was sie miteinander zu schaffen gehabt hatten, im Wohl und in wechsel­seitiger Zerreibung, war im Irdischen abgetan und durch den letzten Herzschlag besiegelt. Danach am Grabe nur zusätzliches quälendes Sentiment, das niemandem half und Kräfte für die eigene Erdenrunde verschliss, die Gedanken jenseitig nebulös machte, auf ein Wiedersehen im Paradiese, in der Hölle oder als Schwaden weit hinter den erkennbaren Milchstraßen sinnen ließ.
Hienieden hieß es praktisch sein!
Schwer genug.

2013      390 Seiten

Leseprobe beim Verlag C.H.Beck

Homepage von Hans Pleschinski

 Hans Pleschinski liest aus dem Roman (youtube – zehnseiten.de)

Hans Pleschinski in den “Lesezeichen” des BR

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