Nachrichten vom Höllenhund


McEwan
19. Oktober 2013, 19:37
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Ian McEwan: Honig

mcewanhonig

Jetzt hab ich den Roman schon zur Hälfte gelesen: Wann beginnt denn nun die eigentliche Geschichte? Der Klappentext spricht ja vom MI5, dem britischen Inlandsgeheimdienst, der die Erzählerin als „Rekrutin“ aufnimmt. Klar, der Geheimdienst kommt vor, aber er spielt keine erkennbare Rolle als Geheimdienst. Ich lese weiter, denn die Erinnerungen der Serena Frome könnten ja im Verlauf der Handlungsentwicklung wichtig sein oder werden. Nach zwei Dritteln des Textes und weiterem Warten kommt der Verdacht: Das, was ich bisher gelesen habe, ist der Inhalt des Romans. Die Geschichte der 22-jährigen, schönen, klugen, aber auch recht unbedarften Serena, die eher durch Zufall zum Geheimdienst gerät, sich aber so gut wie nicht für die Geheimdienste oder die politisch-ideologischen Hintergründe interessiert, aber so gut wie allein für die Männer, denen sie begegnet. Ein bisschen spielt das „Geheime“ schon in ihr Leben, da sie ja nicht alles, was sie erfährt, erzählen darf und das kann die Liebe schon beeinträchtigen.

Serena Frome, Tochter eines Bischofs, jetzt um die 60, erzählt von ihrer Jugend, ihrem Mathe-Studium in Cambridge und hauptsächlich davon, wie sie, mehr aus Versehen, um ihren Eltern einen Beruf vorschwindeln zu können, zum Geheimdienst MI5 als Registratur-Tippfräulein geht. Angeworben wird sie von Tony Canning, dreißig Jahre älter als Serena, doch es kommt zu Liebe, Serena zögert da nicht lange, Tonys Motive bleiben eher im Dunkeln. Bei ihrer Arbeit in den Schreibstuben des MI5 freundet sie sich mit Shirley Shilling an, die ihr ein bisschen was vom Leben der frühen Siebziger zeigt: Musik (Bees Make Honey – Ian McEwan gefällt das) und Pubs und Jungs. Serena hat es lieber mit älteren Männern, sie „hatte eine Schwäche für eine bestimmte Sorte schlechtgekleideter, altmodischer Männer (Tony zählte nicht), grobknochig, hager und auf sperrige Weise intelligent. Wie untadelig mir Max erschien, wie un­nahbar. Verglichen mit seiner selbstverständlichen Be­herrschtheit kam ich mir unbeholfen und vorlaut vor. Ich machte mir Sorgen, dass er mich vielleicht gar nicht mochte und das nur aus Höflichkeit nicht sagte. Ich malte mir aus, er habe alle möglichen privaten Regeln, heimliche Vorstel­lungen von korrektem Verhalten, gegen die ich fortwährend verstieß. Dieses Unbehagen fachte mein Interesse an ihm bloß noch weiter an“. Nach Jeremy findet sie beim MI5 Max Greatorex, auch diese Beziehung bleibt sperrig.

Es wundert einen ein bisschen, wie genau sich Serena nach 40 Jahren an alle Einzelheiten erinnert, an jedes Wort der Gespräche, an die Blicke der Männer, an die Tücken der Arbeit, aber auch an IRA-Bomben, Ölkrise, kalte Wohnungen, Bergarbeiterstreiks. Aber, das darf man wohl verraten, es ist ja nicht Serena Frome, die erzählt, sondern Ian McEwan. Als der Geheimdienst ein Projekt plant, um politisch genehme Schriftsteller zu Public Relation einzuspannen, wählt man Serena als Kontaktperson für Tom Haley, einen noch wenig bekannten Schreiber von Kurzgeschichten. Das Projekt wird „Sweet Tooth“ (Leckermaul, Naschkatze, auf Deutsch: Honig) genannt, Serena ist die Idealbesetzung. Sie ist, wie gesagt, sehr hübsch, miniberockt, liest viel und schnell, ist etwas naiv, Haley beißt an. Da er mit seinem ersten kurzen Roman schon im nächsten Jahr – überraschend – den Jane-Austen-Preis gewinnt, interessieren sich auch die Medien für ihn und seine Beziehungen. Serena hat sich natürlich bedingungslos in Tom Haley verliebt, aber sie darf ihm nichts davon erzählen, dass sie seine „Führungsperson“ ist. Das wird nicht leicht.

Damit erfüllt „Honig“ alle vordergründigen Erwartungen an den Geheimdienstroman. Da McEwan als Erzähler aber in die junge Serena schlüpft – und er tut das überzeugend -, bleiben die wirklich geheimdienstlichen Themen der 70-er Jahre aufgesetzt, Serena hat ja nur die Männer im Visier. Ausführlich lässt McEwan Serena ihre Mädchen-Sorgen erinnern, nur über das Thema Schriftsteller finden Liebe und Spionage letztlich doch noch zusammen. In präzisen Inhaltsangaben berichtet Serena den Inhalt der Kurzgeschichten von Tom Haley, der Bezug der Thematiken zum „Honig“-Roman ist nicht zwingend, McEwan sagt, Tom Haley habe viel von ihm, es seien seine, McEwans, Geschichten. Das Spiel mit den Geheimhaltungen ist amüsant, man liest McEwans – augenzwinkernd mädchenhafte – Sprache gern und schnell.

Toms Zärtlichkeiten hatten etwas Sehn­suchtsvolles, was mich dahinschmelzen ließ. Es grenzte an Leid und weckte in mir mächtige Beschützerinstinkte, auf einmal ging mir, während wir auf dem Bett lagen und er meine Brüste liebkoste, der Gedanke durch den Kopf, ob ich ihm irgendwann vorschlagen sollte, die Pille abzusetzen. Aber ich wollte kein Kind, ich wollte ihn. Als ich sein fes­tes, kompaktes Hinterteil packte und ihn zu mir heranzog, erschien er mir wie ein Kind, das mir gehören und das ich verhätscheln und niemals aus den Augen lassen würde. Ähnliche Gefühle hatte ich vor langer Zeit bei Jeremy in Cambridge gehabt, aber damals hatte ich mich getäuscht. Jetzt hingegen tat diese Empfindung, Tom ganz und gar zu besitzen, fast weh, als liefen alle guten Gefühle, die ich je­mals gehabt hatte, in einer extrem scharfen Pfeilspitze zu­sammen.

Am Schluss kippt die Perspektive, lädt ein zu trügerischer Reflexion, wendet sich die Handlung escherisierend, schlägt eine überraschende Volte. Das macht viel vom Reiz des Romans aus, der zu lang an einem erwarteten Thema entlangschleicht. Interessant sind natürlich auch die vielen Bezüge zu den englischen 70er-Jahren und Gedanken zur Literatur und zum Lesen. Die Encounter-Affäre etwa war mir nicht – mehr? – geläufig. Da McEwan bevorzugt englische Autoren nennt, muss ich mich erst informieren, um manches zu kapieren. Von Martin Amis, einem Freund McEwans, etwa habe ich noch nichts gelesen. Auch Serena liebte andere Romane.

Ich lechzte nach naivem Realismus. Besonders aufmerksam reckte ich meinen Leserhals, wenn eine Londoner Straße erwähnt wurde, die ich kannte, oder ein Kleid mit einem bestimmten Schnitt, ein real existierender Mensch, eine Automarke. Das gab mir, so dachte ich, einen Maßstab für die Qualität eines Textes, ich konnte beurteilen, wie genau die Schilderung war, bis zu welchem Grad sie mit meinen eigenen Eindrücken übereinstimmte oder diese gar übertraf. Zu meinem Glück ging es im Großteil der englischen Literatur jener Zeit formal eher anspruchslos darum, die Gesellschaft widerzuspiegeln. Kalt ließen mich jene Autoren, die in Süd- und Nordamerika grassierten und sich selbst unter das Personal ihrer Romane mischten, fest entschlossen, die armen Leser daran zu erinnern, dass alle Figuren und sogar sie selbst reine Erfindung waren und dass es einen Unterschied zwischen Fiktion und dem Leben gab. Oder im Gegenteil klarzustellen, dass das Leben ohnehin eine Fiktion war. Nur Schriftsteller, dachte ich, gerieten je in Gefahr, das eine mit dem anderen zu verwechseln. Ich war eine geborene Empirikerin. Schriftsteller wurden meiner Ansicht nach dafür bezahlt, anderen etwas vorzuspielen, und an geeigneter Stelle sollten sie ruhig von der realen Welt, die uns allen gemeinsam war, Gebrauch machen, um ihren ausgedachten Geschichten Plausibilität zu verleihen. Also bitte kein listiges Schachern um die Grenzen ihrer Kunst, keine Illoyalität dem Leser gegenüber, indem sie unter irgendwelchen Masken zwischen realer und imaginierter Welt hin und her wechselten. In den Büchern, die mir gefielen, war kein Platz für Doppelagenten. Zu jener Zeit prüfte und verwarf ich Autoren, die mir intellektuelle Freunde in Cambridge dringend ans Herz gelegt hatten – Borges und Barth, Pynchon und Cortäzar und Gaddis. Kein Engländer darunter, fiel mir auf, und keine Frau, egal welcher Herkunft. Da war ich skeptisch wie manche Leute aus der Generation meiner Eltern, die nicht nur Geruch und Geschmack von Knoblauch verabscheuten, sondern auch allen misstrauten, die ihn verzehrten.

Das ist nicht Serena, das ist ihr Ghostwriter McEwan, der hier sein Spiel treibt. Serena klingt eher so:

„Bis hierher hatten alle meine Ausführungen der Wahr­heit entsprochen und ließen sich leicht nachprüfen. Jetzt tat ich den ersten vorsichtigen Schritt in die Lüge. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein«, sagte ich. »Manchmal kommt es mir so vor, als hätte >Freedom International< zu wenig Pro­jekte für das viele Geld.«
»Wie schmeichelhaft für mich«, sagte Haley. Vielleicht sah er, wie ich errötete, denn er fügte hinzu: »Das war nicht unhöflich gemeint.«
»Sie verstehen mich falsch, Mr. Haley…«
»Tom. «

Aber auch das ist natürlich ironisch und doppeldeutig. Wenn man den Roman nochmals liest (läse), wird man aus McEwans Spiel noch mehr Gewinn ziehen. Spricht das für den Roman? – Passende Hinweise liefert das Cover-Foto.

 2012    460 Seiten

Leseprobe beim Diogenes-Verlag

 Rezension von Martin Ebel im Schweizer Tages-Anzeiger

 ZEIT-Lesetipp von Ijoma Mangold (Video)

Johan Schloeman’s Auslese in der SZ (Video)

Ian McEwan auf Youtube (Englisch)

2-

 

Im Oktober wurde auch McEwans Geheimdienstroman „Unschuldige“ von 1992 als Taschenbuch wiederveröffentlicht.

Leonard Marnham, ein junger Engländer, wird nach Berlin geschickt, um bei einem Geheimdienstprojekt von CIA und SIS gegen die Russen mitzuarbeiten, dem “Gold-Projekt”, einem Spionagetunnel. 1955, die Russen sollen abgehört werden, das ging damals noch nicht so leicht wie heute, also grub man in der Nähe der Zonengrenze einen Tunnel bis unter „russisches“ Gebiet, stellte Mikrofone hinein, Leonard war für die Einrichtung der Aufzeichnungsgeräte – „Tonbänder“ – zuständig. Er verliebt sich, wie es sich bei einem Spionroman gehört,  in die etwas ältere deutsche Maria. Es gibt zwar einen Mord, doch ist nicht die Aufklärung wichtig, sondern dessen Vertuschung. McEwan schildert das in einem skurrilen Slapstick. In einem sentimentalen Schluss kommt Leonard 1987 nach Berlin zurück und liest einen Brief von Maria. Kein Krimi im üblichen Sinn, aber schön. McEwan nennt den Roman im Untertitel “Eine Berliner Liebesgeschichte”.


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Zur abschließenden Frage des Textes über „Honig“: Natürlich spricht das für den Roman.

Kommentar von Josef




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