Patrick de Witt: Die Sisters Brothers
Sie reiten von Oregon hinunter nach an Francisco, 1851, Goldrausch. Zwei Brüder, Charlie der eine, döskopfig, ein Schießer, wenn er nicht schießt, schläft er, und Eli, leibesvoll, an Geld kaum interessiert, eher an Frauen, aber die sind wiederum nur an seinem Geld und nicht an Eli interessiert, etwas reflektierter als sein Bruder, deshalb darf er auch der Erzähler sein. Ein Schießer auch er, denn das ist ihr Job. Sie haben wieder mal einen Auftrag des „Commodore“: Ein gewisser Hermann Kermit Warm soll beseitigt werden, wegen Diebereien, aber das ist nicht so wichtig. Auf ihrem Ritt killen sie jeden, der ihnen im Weg steht oder auch nur im Weg steht, Charlie ohne, Eli mit ein wenig Skrupeln, das führt zu Streit, aber nicht zur Trennung. Wichtiger als Menschen sind die Pferde, der Branntwein bremst ihr Vorankommen.
»Hören Sie auf, mir Ihr Gewehr ins Bein zu rammen.«
Er stieß mich gleich wieder. »Das gefällt dir wohl nicht?« Und stieß mich noch einmal.
»Ich möchte nur, dass Sie damit aufhören.«
»Und du glaubst, mich kümmert es, was du willst?« Noch einmal stieß er zu, und mein Bein tat schon tüchtig weh davon. Da knackte irgendwo in der Nähe ein Zweig, und ich spürte, wie der Stahl von mir abließ, als sich der Goldsucher nach dem Geräusch umdrehte. Mir den Lauf zu schnappen und ihm damit zugleich das ganze Gewehr zu entwinden, war eine Kleinigkeit. Worauf der Goldsucher die Flucht ergriff und in den dichten Wald rannte. Ich hingegen brauchte ihn nur ins Visier zu nehmen und abzudrücken, doch dieser Schießprügel war nicht einmal geladen. Ich griff daher zu meinem Revolver, im selben Moment trat Charlie aber hinter einem Baum hervor und schoss den Goldsucher seelenruhig über den Haufen. Es war ein Kopfschuss, der dem Mann den gesamten Hinterkopf absprengte, etwa so, als hätte der Wind ihm die Kappe vom Kopf gerissen. Ich stieg von meinem Pferd Tub und humpelte zu dem zuckenden Körper. Mein Bein brannte vor Schmerz, weswegen ich innerlich kochte. Wutentbrannt hob ich meinen Fuß an und trat mit dem Absatz und mit meinem ganzen Gewicht auf das klaffende Loch, wodurch der ganze Schädel einbrach und plattgedrückt wurde und als solcher nicht mehr zu erkennen war. Als ich meinen Stiefel wieder zurückzog, war da nichts als nasser Matsch. Dann entfernte ich mich von der Leiche, aber ohne bestimmte Absicht außer der Flucht vor meinem eigenen Zorn.
Die Sisters Brothers ziehen ihre Spur bis Kalifornien, wo sie auf Hermann Kermit Warm und seinen Kompagnon Morris treffen. Warm hat eine „Formel“ gefunden, mit deren Hilfe die Goldkörnchen kurz aufleuchten, sodass man sie leichter in ihren Flüssen aufspüren kann. Die Handlung beschleunigt etwas, weil sie stationär wird, wieder gibt es viele Tote. Und dann reiten Charlie und Eli bzw. das, was von ihnen und ihrem Geld und ihren Pferden übergeblieben ist, wieder „heim“ zu Mami nach Oregon City.
Die Geschichte hat einige amüsante Momente und auch das Personal ist schrullig. Doch lässt sich, wie man weiß, der „Western“ nur noch als Parodie erzählen. „Die Spätwintertage waren kurz, und wir hielten in einem ausgetrockneten Flussbett, um dort unser Nachtlager aufzuschlagen. So eine Szene kommt oft in Groschenromanen vor: zwei hartgesottene Reiter, die sich am Lagerfeuer ihre Weibergeschichten erzählen oder sentimentale Lieder singen, in denen es um Tod und Spitzenmieder geht.” Doch auch die Parodie ist verschlissen, im Film versuchen’s die Coen-Brothers noch mit einigem Erfolg, aber im Roman finde ich keinen Sinn, den sowieso nicht, aber auch kaum Unterhaltung. Von Moral muss natürlich nicht gesprochen werden, es gibt ja nicht mal mehr die “Guten” in Form von Sheriff oder anderen edlen Wilden. Ironie könnte sich aus dem Stil lesen lassen, doch verstehe ich nicht, wie Marcus Müntefering (Spiegel) “aus der Diskrepanz zwischen Stil und Story eine groteske Komik“ erkennen will. Der Stil ist für einen Unbedarften zu elaboriert, Ansätze zur Analyse des eigenen Verhaltens und Naivität passen nicht zusammen, es kommt zu keinem Ach-So-Erlebnis.
Wenn ich meine eigenen Gefühle zum Maßstab nehme, waren Minuten und Sekunden nicht nur unwichtig geworden, sie existierten nicht mehr. Das lag einerseits sicher an dem stetig wachsenden Haufen Gold, mehr noch aber an der Überlegung, dass all das, was wir gerade erlebten, von einem einzigen Mann ersonnen worden war. Ich hatte vorher noch nie über den Menschen an sich nachgedacht oder darüber, ob ich gerne einer war oder nicht. Doch damals am Leuchtenden Fluss empfand ich unbändigen Stolz angesichts des menschliches Geistes und seines Forscherdrangs, seiner Zielstrebigkeit. Ja, ich war ausdrücklich stolz darauf, am Leben und genau derjenige zu sein, der ich war. Aus unseren Eimern strahlte Gold wie aus einer großen Lampe, und selbst die umstehenden Bäume waren in den Schein des glühenden Flusses gebadet. Ein lauer Wind durchströmte das Tal, küsste mein Gesicht und ließ meine Haare tanzen. Dieser Moment, ein Punkt ohne Ausdehnung, war wohl der glücklichste, der mir in meinem ganzen Leben widerfahren wird. Seitdem will es mir so vorkommen, dass er zu glücklich war, dass der Mensch zu dieser Art Erfüllung eigentlich keinen Zugang erhält. Zumindest lässt sich sagen, dass die Erinnerung daran später jeden weiteren Glücksmoment ordentlich relativiert hat. Es war ebenjenes Absolute, woran kein Mensch dauerhaft festhalten kann. Zumal sich kurz darauf alles in sein Gegenteil verkehrte und so entsetzlich schiefging, wie man es sich kaum vorstellen kann. Alles danach war auf die eine oder andere Weise Tod und Untergang.
“The Sisters-Brothers” stand 2011 auf der Shortlist des Man-Booker-Preises. Aus der Begründung: “Told in deWitt’s darkly comic and arresting style, The Sisters Brothers is the kind of western the Coen Brothers might write – stark, unsettling and with a keen eye for the perversity of human motivation. (…) It is a novel about the things you tell yourself in order to be able to continue to live the life you find yourself in, and what happens when those stories no longer work.
It is an inventive and strange and beautifully controlled piece of fiction and displays an exciting expansion of Dewitt’s range.”
Der Roman ist Nachzügler, straggling-novel, de Witt reizt das Motiv nochmal aus, mehr als ein Märchen kommt dabei aber nicht heraus.
2011 345 Seiten
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