Nachrichten vom Höllenhund


Kehlmann
23. Dezember 2013, 16:42
Filed under: - Belletristik

Daniel Kehlmann: F

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Als „vielschichtig“ preist man ein Buch (an), das nicht linear aufgebaut ist, das nicht nur ein Thema behandelt oder die Thematik auf mehrere Personen verteilt. Dieses „Lob“ ist aber äußerlich. Wenn man nicht alles gleich offen legt, heißt das „geheimnisvoll“, was die Büchergilde mit „kühn“ meint, weiß ich nicht. „Der neue große Roman“ sei Daniel Kehlmann geglückt – „über Lüge und Wahrheit, über Familie, Fälschung und die Kraft der Fiktion. Ein virtuoses Kunstwerk“.

Gut, die Geschichten Kehlmanns sind gut ausgetüftelt, kunstartig verflochten, routiniert erzählt. Das ist nicht wenig, aber unter Virtuosität verstehe ich noch etwas anderes: neue Sichtweisen etwa, sprachliche Kreativität und Brillianz. Was Kehlmann hier erzählt, ist aber schon oft erzählt worden, und oft kreativer und kompetenter.

Die Geschichte geht so: Ein Mann hat drei Kinder. Söhne natürlich. Die Zwillinge Iwan und Eric, die „Ritter der Tafelrunde“, von der einen Frau, Martin von der anderen. Der Mann heißt Arthur. Arthur F-riedland. Artus. Frauen spielen bei Kehlmann keine Rolle. Der Vater geht mit seinen drei Söhnen in die Vorstellung eines Hypnotiseurs. Vater und Kinder halten sich für immun gegenüber der Zaubershow, doch lassen sie sich aus ihrer Selbstsicherheit vertreiben. Hat der Mensch etwa doch keinen freien Willen, ist er so leicht zu manipulieren, ist er nicht autonom?

«Fatum», sagte Arthur. «Das große F. Aber der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war. Irgend­ein Zufallsschicksal. So etwas passiert schnell.» Am lustigsten ist das Schicksal des Hypnotiseurs, den Arthur mit seiner Enkelin später noch einmal als Wahrsager trifft. Er ist blind geworden. (Was für einen “Seher” aber gar nicht so selten sein soll.)

Die Söhne gehen bei einem Künstler, einem Banker und einem Priester in die Lehre. Am Ende bekommt jeder, was ihm das Fatum zudachte, nämlich Nichts, denn sie haben alle den falschen Beruf gewählt. Wobei natürlich in Frage steht, ob sie selbst gewählt haben.

Sohn Iwan sieht bald ein, «Ich kann nur ich sein. Und das reicht nicht.» «Notfalls kann ich Kunstprofessor werden. Oder Kurator. Würde ich weiter malen … Ich wäre mittelmäßig. Bestenfalls mittelmäßig. Bestenfalls.»
«Wäre das so schlimm? Die meisten sind mittelmäßig. Per definitionem.»
«Du hast schon recht», sagte ich nachdenklich. (…) Zu Beginn denkt man ja bei allem, man ist eine Ausnahme. Aber kaum einer ist eine Ausnahme

Iwan ist schwul, das macht aber nichts, vor allem wenn man in den Kunstmarkt gerät. Er kann nur noch in den Worten des Kunstmarkts „denken“ und reden, immerhin weiß er, dass er nicht Rubens oder Pollock ist. Sein Kapitel im Buch heißt „Von der Schönheit“. Es ist für mich das interessanteste, denn Iwan ist nicht Maler geworden, sondern „fälscht“ Bilder seines alten Freundes Eulenböck und macht damit für einige Zeit Furore, das sind die Brosamen des Geschäfts mit der Kunst. Iwan hat das Thema seiner Dissertation abgewandelt von: Mediokrität als ästhetisches Phänomen zu: Heinrich Eulenböck: Von der Ironie der Tradition zum Realismus der Ironie. Übersetzt: Nicht nur Roman, sondern Kehlmann. Das darf er.

Alle Museen sind voll von Fälschungen, na und? Die Herkunft von allem und jedem in dieser Welt ist unsicher, bei der Kunst ist kein Zauber im Spiel, und keines Engels Flügel hat die großen Werke gestreift. Dinge der Kunst sind Dinge wie alle anderen: Man­che sind äußerst gelungen, aber keines stammt aus einer höheren Welt. Dass einige mit dem Namen die­ses oder jenes Menschen verknüpft sind, dass einige teuer verkauft werden und andere billig, dass einige weltbekannt sind und die meisten nicht, das unter­liegt vielen Kräften, aber keine davon ist überirdisch. Und auch Fälschungen müssen nicht gelungen sein, um ihren Zweck zu erfüllen: Perfekte Nachahmun­gen können entlarvt, unvollkommene aufgehängt und bewundert werden. Fälscher, die stolz auf ihre Arbeit sind, überschätzen genau wie alle Laien die Bedeutung des soliden Könnens: Handwerk kann jeder lernen, der nicht ganz ungeschickt ist und sich bemüht. Es hat schon seine Richtigkeit, dass es in der Kunst an Bedeutung verlor, es hat Sinn, dass die Idee hinter dem Werk wichtiger wurde als dieses selbst; Museen sind sakrale Institutionen, die sich überholt haben, das sagt die Avantgarde seit langer Zeit und seit langer Zeit zu Recht.

Schade, dass ich ähnliche Gedanken zum Kunstmarkt schon besser gelesen habe. Bei Michel Houellebecq zum Beispiel in seinem Roman „Karte und Gebiet“. Aber Eulenböck ist ja auch nicht Houellebecq. Oder ist die Ähnlichkeit ein Kunstgriff Kehlmanns, den ich weder bemerkt noch verstanden habe?

Eric ist Investmentbanker geworden, also auch Betrüger. Er weiß nichts, das macht aber nichts, das ist ein Merkmal der Branche. Er spricht viel, ohne etwas zu sagen, es fehlen ihm nicht nur die Worte für seinen Job, sondern auch die für die täglichen und familiären Banalitäten. Er verzockt sich, versucht sich durchzuhangeln, merkt aber nicht einmal, dass er medioker ist, auch dafür fehlen die Gedanken. Erics Kapitel heißt entsprechend schlicht „Geschäfte“. Das Kapitel ist geschwätzig und hohl, trifft damit wohl den Slang; wer mehr über die lebensverwerfenden Aporien der Wirtschaft lesen will, findet Fulminanteres bei Rainald Goetz’ Roman „Johann Holtrop“.

Martin weiß auch nicht, was aus ihm werden soll, er ist dick geraten, er geht ins Priesterseminar. Nicht verwunderlich bei seinem Namen, sein Kapitel heißt „Vom Leben der Heiligen“. Heuchler auch er, an Gott glaubt er nicht, auch nicht an sich. Er will die Zauberwürfel-Meisterschaften gewinnen.

Vater Arthur, erfolgloser Schriftsteller, macht sich bald davon, später wird entdeckt, dass er doch einen Erfolg hatte: das Bekenntnisbuch „Mein Name sei Niemand“. Ein Nichts. Das Thema ist, dass aus dem Nichts ein Etwas werden soll. Auch Vater Arthur, der Erfinder der Tafelrunde, des „Runden Tischs“, kriegt sein Kapitel. „Familie“. Vererbt sich möglicherweise auch das Schicksal in Form von Beruf, Lebenslauf, Erfüllung?

Ein Jahr war es her, dass in seinem letzten Erzählband seine merkwürdigste Geschichte erschienen war. Sie hieß Familie, und es ging darin um seinen Va­ter, seinen Großvater, seinen Urgroßvater, es war die Geschichte unserer Vorfahren, Generation um Gene­ration, bis zurück in ein vage umrissenes Mittelalter. Das meiste ist reine Erfindung, denn über das Ver­gangene, so Arthur zu Beginn, weiß man nichts: Man meint, die Verstorbenen wären irgendwo aufbewahrt. Man meint, dem Universum blieben ihre Spuren einge­schrieben. Aber das stimmt nicht. Was dahin ist, ist dahin. Was war, wird vergessen, und was vergessen ist, kommt nicht zurück. Ich habe keine Erinnerung an meinen Vater. Seltsamerweise hatte ich mich be­stohlen gefühlt. Es waren auch meine Vorfahren.

(…) Der Urgroßvater meines Vaters war Arzt gewesen, wenn auch kein guter. Er hatte nur Medizin studiert, weil auch sein Vater Arzt gewesen war. Er betrieb eine kleine Praxis, viele Kranke starben ihm, manche konnte seine Frau behandeln, die klüger war als er. Oft wusste sie, welche Kuren halfen. Dann starb sie ihm auch. Damit sich jemand um die Kinder kümmerte, heiratete er ein zweites Mal. Die neue Frau machte ihn traurig, und noch mehr Kranke starben.
Wann immer er Gelegenheit dazu bekam, erzähl­te er, dass er als junger Mann Napoleon begegnet sei. In Wirklichkeit hatte er nur einen gebauschten Mantel über einem Pferderücken gesehen, dazu eine Hand in weißem Handschuh. Als er sich endlich zur Ruhe setzen durfte, kam es ihm vor, als hätte der große Feldherr weniger Menschen getötet als er, der schlechte Arzt. Dann starb auch seine zweite Frau. In seinen letzten Lebensjahren war er vollkommen glücklich.

So beginnt der Roman: “Jahre später, sie waren längst erwachsen und ein jeder verstrickt in sein eigenes Unglück …”. Und so endet er: «Der Herr sei mit euch», sagte Martin. Seit er begriffen hatte, dass der Glaube nicht mehr zu ihm finden würde, fühlte er sich frei. Da half nichts: In diesem Leben würde er nicht mehr schlank werden, und er würde der Vernunft nicht entkommen.
«Und mit deinem Geiste», nuschelte die Ge­meinde. (…)
«Und jetzt», sagte er, «das Bekenntnis des Glaubens. »

Schicksale, aus der Zeit gegriffene Themen, artifiziell verschlungen, ein Kunst-Werk. Verspielt, wahrscheinlich eher belanglos im Inhalt. Die Aussage verliert sich in fingierter Ironie. Zur Erkenntnis “hohen philosophischen Niveaus“ (Jörg Magenau, taz) gelange ich nicht. Für mich ist der Roman spätpostmodern. Sebastian Hammelehle spricht im SPIEGEL von “erzählerischen Zirkustricks: Dieses Buch ist Firlefanz“. „Aber auch Taschenspielertricks haben ihren Reiz.“ (Kristina Maidt-Zinke, SZ)

Leseprobe beim Rowohlt-Verlag

 Video-Lesetipp von Ijoma Mangold (ZEIT)

Video-Gespräch des BuchZeichen des SRF

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Hm! Jetzt geb‘ ich dem Beckmesser in mir das Wort: „Schade, dass ich ähnliche Gedanken zum Kunstmarkt schon besser gelesen habe.“ Nochmals „hm“! Warum ist das schade? Weil du die Gedanken bei Kehlmann weniger gut findest oder weil du sie weniger gut, sprich weniger aufmerksam, gelesen hast?
Und warum machst du den Goetz so nieder (4-5) in deiner Rezension, wenn er, im Gegensatz zu Kehlmann, „Fulminanteres“ über die Finanzwelt geschrieben hat. Wahrscheinlich, weil die guten Gedanken (bei Goetz) den Roman auch nicht gerettet haben. Vielleicht kommt es doch nicht so sehr auf den Inhalt an? Ich fand gerade das Eric-Kapitel gespenstisch, und zwar gespenstisch gut. Nicht das Kapitel „ist geschwätzig und hohl“, sondern der Protagonist und das zeigt Kehlmann sehr eindringlich. Finde ich. Ich hab erst die Hälfte des Buches gelesen, weil ich das Buch an der Stelle weggelegt hab, um zu verschnaufen, um nicht zu sehr in diese Wahnwelt hineingezogen zu werden. Wenn du magst, kannst du mein Statement zum Eric-Kapitel heute Abend beim Lesekreis einfließen lassen. Komme wahrscheinlich nicht, denn ich hab das Buch, wie geschrieben, erst halb gelesen und mich dummerweise auch bei den Schuberts nicht angemeldet.

Kommentar von Josef




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