Leon de Winter: Ein gutes Herz
Theo van Gogh ist von dem Marokkaner Mohammed Bouyeri ermordet worden. „Nach seiner Ermordung wurde Theo von etwas davongetragen, was sich als »der Wind« bezeichnen ließ, und er kam hier an. Es war eine Reise durch die Dimensionen, durch alle Universen. Er war in diesem Orkan aus Luft und Licht und Destruktion und Konstruktion außer Bewusstsein. Nichts war er, und doch erlebte er Geburt und Tod und Verfall und Wiederauferstehung.
Nach einer Reise, die keine Zeit kannte, gelangte er in eine Umgebung, die er am ehesten als Kaserne beschreiben konnte.
Grau wie Amsterdam an einem Novembertag.” Das Totenreich, eine Art Vorhölle, “er hatte keinen Körper mehr. Er hatte nur noch seinen entwurzelten Kopf. Dank dieses Scheißmarokkaners”. Im Totenreich bekommt man einen “Berater” zugewiesen, denn es ist noch nicht zu Ende, sein “jetziger Berater hieß Jimmy Davis. Er war hartnäckiger als die ganze Batterie von Vorgängern, die Theo schon verschlissen hatte. Jimmy Davis. Ein attraktiver Schwarzer”. Jimmy teilt ihm mit, dass es “Möglichkeiten der Heilung” gebe.
“Wenn du Wert darauf legst, wieder eins zu werden mit deinem hässlichen Körper, wenn du dich wieder als geheilt erfahren möchtest, musst du dich dafür ins Zeug legen.”
»Ihr behandelt mich, als wäre ich ein Verbrecher.«
»Du warst unmoralisch.«
»Amoralisch. Das ist was anderes«, korrigierte ihn Theo. »Unmoralisch, finden wir«, beharrte Jimmy. »Du hast das eine und andere zu berichtigen. Unten. Also gestatten wir dir zu kommunizieren.«
»Kommunizieren?«
»Du darfst Kontakt herstellen.«
»Kontakt herstellen? Zu … zu unten?«, stammelte Theo. Jimmy nickte.
»Und unten wissen sie das?«
Jimmy schüttelte den Kopf: »Nein. Es wird eine Kommunikation geben. Aber keine direkte. Du sollst unten etwas Gutes tun.«
Theo wird zum SE, zum Schutzengel, und er darf sich eine “Kontaktperson” aussuchen: Ayaan Hirsi Ali, Leon de Winter (“ein Scharlatan”) oder Mohammed Bouyeri, seinen Mörder. Er lehnt alle drei ab und Jimmy weist ihm daraufhin Max Kohn zu, einen ehemaligen Drogenboss. Jude.
Jetzt wird’s ein bisschen schwierig. Max Kohn erhält ein neues Herz, der Spender ist Jimmy Davis. Er will sich bei Jimmys Familie erkenntlich zeigen, doch gerade ist Jimmys Schwester gestorben, Max verspricht, sich um die Kinder zu kümmern. Max fliegt in die Niederlande, um seiner ehemaligen Geliebten Sonja zu zeigen, dass das Herz des Franziskaner-Paters einen besseren Menschen aus ihm gemacht hat. Es stellt sich heraus, dass Sonja eine Zeitlang auch die Geliebte von Jimmy Davis war, jetzt lebt sie in Amsterdam mit Leon de Winter zusammen, einem “etwas stressige(n) Mann, der sich mit Phantomen herumschlug und zu allem eine Meinung hatte. Letzteres war ganz bequem, denn es entband sie davon, sich eine eigene Meinung zu bilden, sei es nun über die Palästinenser oder den US-Präsidenten, über Putin oder Angela Merkel. Leon war das komplette Gegenbild zu Max”. Sonja hat einen Sohn, Nathan, von wem, wird zunächst nicht verraten.
Jetzt sind die wichtigen Spielfiguren zusammen, die Leon de Winter, der Schriftsteller, braucht, um sein Thema in den Griff zu kriegen: Marokkanische Muslime, schwarze Katholiken, jüdische “Kaufleute” und Literaten, Tote wie Theo van Gogh und Lebendige. Der Roman dockt auf der Erde an, in Amsterdam. Max Kohn ist gerade angekommen, als Terroristen die “Stopera” in die Luft jagen, anschließend ein Flugzeug mit Geiseln kapern und die Freilassung von Mohammed Bouyeri verlangen und kurz darauf auch noch eine Schule besetzen und auch dort Geiseln nehmen. Das ist der Inhalt des Romans: Verbohrte junge Moslems – „Bartaffen“ (Theo van Gogh) – versetzen eine Stadt in Aufruhr.
Es gab 2009 einen Anschlagsversuch auf Königin Beatrix, bei dem 6 Menschen ums Leben kamen. Das Attentat muslimischer Terroristen hat Vorbilder in London 2005 und Madrid 2004, die Anschläge in Amsterdam sind fiktiv, Leon de Winter berichtet mitreißend von den Ereignissen. Dadurch, dass de Winter Fiktion mit realen Geschehnissen und Personen mischt, wirkt die Szenerie authentisch. Bürgermeister Job Cohen gibt es, ebenso den Autor de Winter, Max Kohn ist Erfindung, im Roman ist er ein Halbbruder von Job Cohen, Theo van Gogh sendet als SE einen Lichtblitz und hilft so, die Geiselnahme zu beenden. Man merkt dem Roman die Mühe der Verknüpfungen an und die Wut des Autors. De Winter kriegt gar nicht genug, die Schrecken des Anschlags auf die Stopera zu schildern, immer wieder beschreibt er die Zerstörung der Fassade und die Verwüstungen in der darunterliegenden Parkgarage. Man könnte auf den Gedanken kommen, de Winter evoziert das Attentat, wünscht es sich, um dem Terror der Muslime ein Bild zu geben, ihn auch für Amsterdam zu beanspruchen. Andererseits werden die Attentäter nicht als „Bartaffen“ vorgeführt, es sind 11 marokkanische Jungs, die sich als begabte Fußballspieler fit halten, von abstrusen Ideen aus „Asianstan“ getrieben und von den Jungfrauen im Jenseits erwartet. Jedenfalls, so die Tendenz, sind „Islamisten“ keinem Argument zugänglich und deshalb nur zu verdammen. Auch der holländische „Rechtspopulist“ Geert Wilders tritt im Roman auf; er bietet sich aus partei- und wahltaktischen Gründen an, sich für die Geiseln in der Schule eintauschen zu lassen. Alle halten Wilders’ Position für diskussionswürdig, es wird nur die radikale Verbalität moniert. Widerspruch gegen den islamophoben Populismus Wilders’ kommt nur von der eigenwilligen Außenseiterin Sonja.
Sie blieb neben dem Sofa stehen. Wilders blieb ebenfalls stehen und wartete ab.
Sie sagte mit unverhohlener Geringschätzung: »Der Wahnsinn, der hier ausgebrochen ist, hat zum Teil auch mit Ihnen zu tun.«
Wilders wollte sie unterbrechen, aber sie machte eine entschiedene Gebärde, dass er warten und den Mund halten solle.
»Es ist nicht Ihre alleinige Schuld, aber Sie haben erheblich zu dem Ganzen beigetragen. Ich kenne mich mit dem Islam nicht aus. I don’t care. Aber man kann die Leute nicht ungestraft Jahr für Jahr in ihrer tiefsten Überzeugung beleidigen. Das hätten Sie anders anstellen müssen. Klüger. Charmanter. Überzeugender. Aber Sie sind ein gnadenloser Rhetoriker. Und damit sind Sie nicht nur für sich selbst, sondern für uns alle Risiken eingegangen. Im Grunde für die gesamte Gesellschaft. Sie haben Extremisten provoziert. Die werden nicht weniger extremistisch, wenn man Reden über sie hält, wie Sie es tun. Und jetzt ist mein Sohn, mein Sohn, nicht der Ihre, denn Sie haben keinen, in dieser Schule gefangen. Eine Gruppe junger Glaubensfanatiker, von ihnen, Herr Wilders, frustriert, bis aufs Blut gereizt und zur Weißglut getrieben, hält Waffen auf ihn gerichtet, auf meinen Sohn! Und ich verspreche Ihnen, hören Sie gut zu, was ich sage, und ich weiß, dass auch die Polizei gut zuhört…« – sie schaute sich kurz zu den beiden Männern vom DKDB um, die keine Regung zeigten und ihrem Blick auswichen-, »und das ist mir ehrlich gesagt scheißegal, ich verspreche Ihnen, Herr Wilders, dass ich Sie, wenn Sie nicht tun, was Sie gerade gesagt haben, wenn Sie sich nicht im Austausch für die Kinder zur Verfügung stellen, die ein paar hundert Meter von hier als Geiseln gehalten werden, dass ich Sie, wenn Sie das nicht tun und die Sache außer Kontrolle gerät, höchstpersönlich töten werde. Und ich könnte mir vorstellen, dass ich ein paar hundert Väter und Mütter auf meiner Seite hätte. Wir lynchen Sie, haben Sie gehört? Ich bin keine Islamistin, Herr Wilders. Ich habe sogar ein gewisses Verständnis für Ihre Standpunkte, wenn man einmal von Ihrer Hysterie absieht. Aber dass die Ihre Auslieferung gefordert haben, kommt nicht von ungefähr. Sie haben nicht nur mit Ihrem eigenen Schicksal gespielt, sondern auch mit dem unsrigen. Und die Folge davon ist der Irrsinn von gestern und heute. Mein Kind wird jetzt gefangen gehalten, und wissen Sie was? Dafür mache ich diese Verbrecher verantwortlich! Und wissen Sie was? Dafür mache ich auch Sie verantwortlich! Wann melden Sie sich in der Schule?«
Sie keuchte vor Wut und Erregung. Wilders sah sie fest an.
Leon de Winter weicht dem aktuellen Thema nicht aus. Er bietet ihm in seinem überkonstruierten Roman ein Podium. Dabei setzt er sich auch literarisch dem Verdacht aus, islamophobischen Gedanken nahezustehen und sie dadurch zu befördern, dass er sich selbst in den Roman schreibt und sich dabei nicht verbiegt, dass er zu seiner Einseitigkeit steht, aber gerade dadurch glaubwürdiger wirkt. Ein durchaus faszinierender Versuch, Politik in Literatur zu verwandeln. Spannend, komisch, ironisch, vielleicht aber auch ekelhaft, politerarische Pornographie.
Viele Kritiken greifen etwas kurz, wenn sie den Zwist zwischen (dem echten) de Winter und (dem echten) Theo van Gogh in den Mittelpunkt stellen und Leon de Winter attestieren, er habe den Roman zu „keine(r) bittere(n) Abrechnung“ genutzt. „Der Grat zwischen zynischer Ironie und erbittertem Ernst fällt bei dem niederländischen Schriftsteller Leon de Winter meist schmal aus. In seinem jüngsten Roman „Ein gutes Herz“ ist das nicht anders.“ (Piotr Dobrowolski, Wiener Zeitung) „Gegen den Islamismus, im Grunde freilich gegen die in seinen Augen sich in Parallelgesellschaften verpuppenden muslimischen Migranten-Communities schreibt de Winter mit einer Verve an, die mitunter den schmalen Grat, der den Warnruf von der rassistischen Hetze trennt, überschreitet.“ (Robert Misik, taz)
Leon de Winter lässt sich in Deutschland im Umfeld der WELT vernehmen, wo er ein Blog betreibt/betrieb und sucht auch den Kontakt mit bekennenden Islamophoben wie Henryk M. Broder.
2013 500 Seiten
Leseprobe beim Diogenes-Verlag
Kurzartikel zu Leon de Winter auf wikipedia, auch zu de Winters “Meinungen zu Islam und Islamismus“
Robert Misik: Leon de Winter ist “Einer, der lieber übertreibt“
Leon de Winter im Gespräch mit der FAZ
Gespräche und Lesungen: Leon de Winter – Ein gutes Herz
(youtube)
Der Tag, an dem Theo van Gogh ermordet wurde
– Fernsehfilm – in 6 Teilen auf youtube
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