Nachrichten vom Höllenhund


Melandri
21. Januar 2014, 15:46
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Francesca Melandri: Eva schläft

melandrieva

Cover zielen auf Lesergruppen. Mich schreckt der Umschlag der deutschen Ausgabe von Francesca Melandris „Eva schläft“ ab. Das Foto hat nichts mit dem Inhalt dieses Buches zu tun, ist beliebig, einfalls- und gedankenlos, bloßer Kundenfänger. Auf der italienischen copertina ist immerhin eine Gebirgslandschaft zu sehen, im Vordergrund sitzt unscharf und versonnen eine Frau, eine grobe Einordnung ist möglich. Was auf der deutschen Hülle das Bild, ist auf der italienischen der Text: Un grande melandri_eva-dormeamore impossibile. Una bambina senza padre. In una terra lontana, vicinissima. Unsäglich, indicibile. Ich habe den Roman gelesen, weil ich die Information hatte, dass sich der fatto vor dem Hintergrund der Geschichte Südtirols abspielt.

Francesca Melandri platziert ihre Personen in den Kampf um Südtirol zwischen derdeutschsprachigen Mehrheit der Bevölkerung und der italienischen Verwaltung zwischen 1961 und 1979. Die Verknüpfung der Einzelschicksale mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund wird in vielen Romanen versucht, in wenigen gelingt das so gut wie bei „Eva schläft“. Es wird gezeigt, wie die Personen durch die Macht von Geschichte und Tradition ge- und verbogen, ge- und vertrieben werden, wie sich sich auflehnen, scheitern, fliehen oder Refugien suchen. (Die geschichtlichen Hintergründe allein könnte man auch auf wenigen wikipedia-Seiten lesen.) Die Sympathie der Erzählerin gehört durchaus den Südtirolern, die sich für die Autonomie ihrer Region einsetzen, zuvörderst dem Landeshauptmann Silvius Magnago, der es 1969 mit Verhandlungen schafft, Südtirol zu einem Autonomiestatus zu verhelfen, der allerdings erst 1992 endgültig völkerrechtlich ratifiziert wurde. Melandri beurteilt ihr Personal aber nicht nach „Volksgruppenzugehörigkeit“, sondern nach ihrer Menschlichkeit.

Im Mittelpunkt steht die verzweigte Familie von Gerda Huber, die sämtliche Handlungsmöglichkeiten und Verwicklungen aufzeigt, von den nationalistischen Attentaten über die traditionalistischen Lebensweisen in den Tälern und am Rand der Städte („Shanghai“) bis zur Entwicklung durch den Fremdenverkehr. Die Titelperson Eva ist Südtirolerin, aber sie geht „aussi“ aus den Tälern, aussi aus der lebenswirklichen und der weltanschaulichen Enge in die Welt. Sie hat die Grenze für sich überwunden.

Seine Frau blickt mich an und fragt dann plötzlich, wie aus dem Hinterhalt:
»Entschuldigen Sie die Frage …, aber fühlen Sie sich eher als Deutsche oder als Italienerin?«
Noch nicht mal die Tasche hat sie abgestellt, bevor sie mich das fragt!
Ich hole Luft. Natürlich ist meine Antwort wohldurchdacht und hat sich oft bewährt.
»Mein Reisepass ist italienisch, meine Sprache Deutsch, mei­ne Heimat ist der südliche Teil Tirols, dessen übrige Teile, Nord­- und Osttirol, allerdings in Österreich liegen. Für uns heißt dieser Teil Südtirol, doch im Italienischen sagt man >Alto Adige<, oberes Etschland, denn das ist ja der eigentliche Unterschied: Entschei­dend war immer, von wo aus man das Land betrachtet, von oben oder von unten.«
Meine Antwort lässt die Frau verstummen. Sie blickt zu ih­rem Ehemann.
»Aber in Ortisei haben sie doch ladinisch gesprochen, nicht wahr?«, fragt sie ihn.
»Ja.«
»Das sich allerdings«, werfe ich ein, »von jenem Ladinisch unterscheidet, das im Val Badia, für uns Gardertal, gesprochen wird.«
»Eine komplizierte Gegend.« »Das können Sie laut sagen.«

Bis vor einigen Jahren wurde man noch für eine Terroristin ge­halten, wenn man angab, eine deutschsprachige Südtirolerin zu sein. Oder zumindest wurde man gefragt: Warum hasst ihr die Italiener eigentlich so?

Eva ist Event-Managerin. Sie ist die uneheliche Tochter der Aushilfsköchin Gerda, sie wird zu Bekannten in Obhut gegeben, während ihre Mutter arbeitet, sie fühlt sich vaterlos. Einen Ersatzvater findet sie vorübergehend in Vito, einem Süditaliener aus Reggio, der als Carabiniere in Bozen Dienst tut und sich in Gerda verschaut. Die Beziehung hat aber kaum Dauer, Gerda ist aufgrund ihrer Biografie für längere Beziehungen nicht geeignet, sie blickt nach oben und nicht, wie es sich ziemt, zu Boden. Zu sehr würdigt und überhöht Melandri die Lebensleistung Gerdas;  schon als kleines Mädchen ist sie unglaublich schön und bleibt es, wie die Erzählerin unaufhörlich – und nervend – betont.

Sie hatte lange Beine, feste, runde Brüste und vor allem herrliche Augen, die sie niemals niederschlug. Das Begehren, das ihr Anblick aus­löste, war zu stark. (…)Was dachte Gerda über die Gelüste, die sie weckte, die sie schon als kleines Mädchen bei den Burschen und Männern ihrer Umgebung erzeugt hatte? Schon als sie damals neben Simon und Michl, ihren Cousins, im Heu auf der Alm schlief, waren ihr die kurzen, unterdrückten Atemzüge aufgefallen, die seltsamen rhyth­mischen Schwankungen der Holzbretter, worauf erstickte, fast vorwurfsvoll klingende Stöhnlaute folgten und dann eine jähe, peinliche Stille. Was da vor sich ging, verstand sie nicht so rich­tig, spürte aber, dass es mit ihr zu tun hatte. Von klein auf war sie daran gewöhnt, Blicke auf sich zu ziehen, vor allem im Som­mer, wenn die leichten Kleider ihre Körperformen nachzeichne­ten.

Weshalb Eva „schläft“, wird mir nicht recht klar, denn eigentlich ist sie die einzige „wache“ Person, die einzige, die den Überblick hat. Vielleicht steckt im Schlafen der Wunsch nach Geborgenheit; die Erwachsenen mögen die Schutzengel sein. Das geht in der archaischen Gesellschaft bloß im Traum.

Zwar verstand Eva nicht alle Worte dieser Sprache voller Vokale und sanfter Laute, aber das war auch unwichtig. Reglos lag sie da und lauschte mit halb geschlossenen Augen, während sich die blonden Härchen an ihren Unterarmen ein wenig aufgerichteten hatten, allein durch die Zärtlichkeit in seiner Stimme.
»Was heißt Sisiduzza?«, fragte sie irgendwann. »Fünkchen«, antwortete Vito.
So lag sie da, von den beiden gekrümmten Körpern wie in einer Muschel eingeschlossen, und strahlte innerlich heller als die »Perle von Labuan«.
Von Vitos Stimme gewiegt, wurden ihre Lider immer schwerer, bis sie sich langsam ganz schlossen.
»Eva schläft«, sagte da ihre Mutter.
Erst jetzt nahm Vito sie sanft auf die Arme und trug sie in ihr Kinderbett hinüber.
Eva schlief tief und fest, so fest wie seit Säuglingstagen nicht mehr.

Francesca Melandri konstruiert den Roman geschickt. Es gibt zwei Erzählstränge und –perspektiven: zeitlich und lokal. Mit beiden erschließt sie Geschichte und Landschaft. Ein neutraler Erzähler verwebt Familien- und Zeitgeschichte, Eva selbst erzählt von ihrer Reise von Südtirol (Kilometer 0) bis zur Südspitze Italiens (Kilometer 1397) zum alten Vito. Allerdings gehen ihre Gedanken auch hier von ihren Beobachtungen im und aus dem Zug oft zurück zur Vergangenheit.

2010        435 Seiten

 Francesco Melandri über ihren Roman „Eva dorme“ –
youtube (italienisch – 5:30)

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Romane aus/über Südtirol und seine Geschichte:

Sabine Gruber: Stillbach
Ines aus Stillbach in Südtirol ist als Zimmermädchen nach Rom gegangen Nach ihrem Tod fährt ihre Freundin Clara nach Rom, um ihre Wohnung aufzulösen und sich um den Nachlass zu kümmern. Dabei findet sie ein autobiografisches Romanmanuskript von Ines. In wechselnder Perspektive kreuzt sich ihre Geschichte mit der ihrer Chefin Emma, auch aus Stillbach. Die Geschichte ereignet sich bei Gruber aber nicht durch die und in den Personen, sondern wird in Erzählungen, Erinnerungen, Gedanken verlagert. Geschichte aus zweiter Hand, oft sind die Informationen und Erinnerungen vage, Gruber lässt ihre Figuren Einträge aus Geschichtsbüchern aufsagen. Der Kampf um Südtirol, der ja gerade auch in den 70er Jahren tobte, bleibt ausgeblendet, die Südtiroler Frauen hat’s ja in die Hauptstädte verschlagen.

Sepp Mall: Wundränder -2004
Der Vater von Paul ist plötzlich nicht mehr da, eingesperrt, heißt es. Als er zurückkommt, wirkt er verstört, apathisch. Eine junge Frau berichtet von ihrem sprachbeschränktem Bruder, der ums Leben gekommen ist. Erst allmählich wird ihr bewusst, dasss auch Alex an den Bombenattentaten beteiligt war, die Südtiroler Nationalisten in den 1960er Jahren verübten, um die Italiener aus „ihrem“ Land zu vertreiben.  Mall „geht es nicht in erster Linie um Zeitgeschichte, er spürt den Wirkungen nach, die die Ereignisse in den Familien hinterlassen, bei den Kindern, die noch nichts verstehen und die, wie Paul, lieber mit der kleinen StellaModigliani befreundet wären, auch wenn diese die falsche Nationalität hat. Mall schildert die „Wundränder“ in klarer Sprache, die immer nahe bei seinen Personen ist. 


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