Nachrichten vom Höllenhund


Williams
21. Februar 2014, 16:56
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John Williams: Stoner

stoner

Ein Mann in den 40ern, unglücklich verheiratet, die Tochter ist 12, verliebt sich in eine Jüngere: ein Traumpaar. Zuneigung und gegenseitiges Verständnis sind grenzenlos, doch die Gesellschaft hat für das Glück keinen Platz.

Er, William Stoner, ist Dozent an der University of Missouri in Columbia im Mittleren Westen der USA. Sie, Cathrin Driscoll, sitzt in seinem Kurs und es entwickelt sich d i e Romanze. Edith, Stoners Frau, toleriert die Beziehung, um in Ruhe gelassen zu werden. Das ist John Williams’ Roman Stoner“ und er bietet die Voraussetzungen für triefenden Kitsch. Doch Williams ist meilenweit davon entfernt.

John Williams erspart William Stoner nichts. Er ist unbarmherzig, auch mit den Lesern. Er nötigt Stoner zu der Erkenntnis: „Er war er selbst.“ Er braucht ein Leben, um zu dieser Einsicht zu gelangen. Der Leser lebt mit Stoner, fast möchte er auch mit ihm sterben. Weder für den Leser noch für Stoner gibt es ein Entkommen, auch wenn Stoner in zwei Parallelwelten lebt, in die er von der jeweils anderen flüchten kann. John Williams konzentriert Stoner auf diese beiden Räume, die Schilderung ist äußerst intim, was eigentlich gar nicht zu Stoner passt, sie ist gleichzeitig sehr respektvoll. Der Autor bleibt neutral und mischt sich doch ein, weil er extrem präzise und nahe bei Stoner ist, weil er ihn nie unbeobachtet lässt. Er braucht keinen Kommentar. Ob Stoner wirklich so ist, weiß man natürlich nicht, der Autor verlässt ihn nicht, hat keine Außensicht. So wird man zur Sympathie mit Stoner gedrängt, ohne es zu merken oder gar zu bedauern. Die anderen Personen zeigen sich nur so, wie Stoner sie wahrnimmt, sie haben im besten Fall Verständnis – wie „Freund“ Gordon Finch, der Dekan der Universität – im schlechtesten drangsalieren sie ihn – wie sein „Kollege“ Lomax oder seine Frau Edith. John Williams lässt den Leser ausführlich daran teilhaben.

Es gibt keine Außenwelten. Nur die beiden Weltkriege werfen ihre Schatten ins amerikanische Hinterland, die Prohibition verführt zu kleinen Schmuggeleien, Stoners Schwiegervater verliert in der Weltwirtschaftskrise Job und Geld. Stoner hat damit nichts zu tun. Er will nur Lehrer, Mann (und Vater) sein. Religion, Konsum, Politik, Verwaltung sind nicht Stoners Themen, er ist, das muss man auch sehen, ein beschränkter Mensch. Seine Herkunft erklärt dabei nicht alles.

Stoner stellt sich die Frage, ob sein Leben geglückt ist. Er beantwortet sie positiver als das der Leser tun würde. So leidet der Leser möglicherweise mehr als Stoner, möchte ihm helfen, ihn bewahren, ihn ins Herz schließen. Der Leser lässt sich rühren, kann dagegen nichts tun, so eindringlich ist John Williams‘ Stil. Die Kritiken fallen euphorisch aus: „»›Stoner‹ ist ein literarischer Schatz“, „ein Leseglück!“, „eines der besten Bücher im Jahr 2013“, „ein kleines Meisterwerk“, „Ich habe lange kein Buch gelesen, das mich emotional so bewegt hat“, ein „Meilenstein amerikanischer Literatur“. Die Kolumnen hymnischer Ausrufe beziehen sich nicht nur auf den Autor John Williams, sondern mindestens ebenso sehr auf die mitleiderregende Person des William Stoner.

“William Stoner, Anfang des 20. Jahrhunderts als Sohn armer Farmer geboren, sollte Agrarwissenschaften studieren, doch stattdessen entdeckte er seine Leidenschaft für Literatur und wurde schließlich Professor an einer Universität im Mittleren Westen der USA.” (Klappentext) Er heiratet die hübsche Bankierstochter Edith, sie haben eine Tochter, Grace. (Ein Kapitel für sich)

Stoner studiert Naturwissenschaften und Bodenanalyse, muss aber neben diesen Nutzen versprechenden Fächern auch Anglistik belegen. Ein Shakespeare-Sonett wühlt ihn auf und er wechselt das Studienfach und tritt damit in eine neue Welt und beginnt einen Beruf, der für einen wie ihn nicht vorgesehen war. Langsam findet er sich in die Tätigkeit als Lehrer, sein Spezialgebiet ist der Einfluss des Lateinischen auf die englische Literatur der Renaissance. Der Mikrokosmos der Universität bleibt ihm fremd, er findet wenig Freunde, bleibt Einzelgänger, wird von den Studenten akzeptiert und beharrt in einer Auseinandersersetzung mit dem intriganten Fachbereichsleiter auf den Prinzipien der Gerechtigkeit. Stoner ist kein Mann für den schnellen Wandel, für die neue Zeit der Oberflächlichkeit; man könnte auch sagen, er ist stur, ungesellig. Stoisch, von frugalem Ernst. Seine erste Liebe bleibt die Literatur.

Sein zweiter Lebens(t)raum sollte die Familie sein. „Scheinbar blind für nur allzu deutliche Warnsignale (Man möchte Stoner warnen, muss ihn aber in sein Unglück stolpern sehen), heiratet er die fragile Bankierstochter Edith, in deren Elternhaus der Permafrost gutbürgerlicher Sitten herrscht: «Ärger bedeutete Tage höflichen Schweigens, Liebe war ein Wort höflicher Zuneigung» – stärkere Gefühlsregungen werden ebenso eisern totgeschwiegen wie allfällige Bedürfnisse des Körpers. Krankhaft überspannt und aus ihrem Kokon behaglicher materieller Verhältnisse gerissen, wirft sich Edith in einen verzweifelten Kampf gegen die Welt ihres Ehemanns“ (Angela Schader, NZZ) Immer wieder heißt es, ihr Gesicht sei eine Maske. Sie sieht Stoner nicht an, ein Motiv, das sich durch den Roman zieht: Der Blick ins Abseits. Stoner ist hilflos, wehrlos, zu schwach, er zieht sich zurück, auch, und das spricht nicht für ihn, als ihm Edith die Tochter entzieht.

 Und plötzlich, kaum hatte er die Worte gesagt, war es tatsächlich nicht weiter wichtig. Einen Moment lang spürte er, es stimmte, was er gesagt hatte, und zum ersten Mal fühlte er sich vom Gewicht einer Verzweiflung befreit, deren Schwere ihm gar nicht bewusst gewesen war. Fast schwindlig und beinahe lachend wiederholte er: »Es ist wirklich nicht weiter wichtig.«
Doch mit einem Mal waren sie verlegen und konnten sich nicht mehr so ungezwungen unterhalten, wie sie es gerade noch getan hatten. Bald darauf erhob sich Stoner, bedankte sich für den Kaffee und verabschiedete sich. Sie begleitete ihn zur Tür und klang beinahe schroff, als sie ihm eine gute Nacht wünschte.
Draußen war es dunkel und recht kühl an diesem Frühlingsabend. Tief atmete er ein und spürte, wie ihm die frische Luft einen Schauder über den Rücken schickte. Hinter den scherenschnittartigen Umrissen der Mietshäuser schimmerten die Lichter der Stadt im fahlen Dunst. An der Straßenecke wehrte sich matt eine Laterne gegen die Dunkelheit, und aus dem umgebenden Schwarz durchbrach der Widerhall eines Gelächters abrupt die Stille, hing eine Weile in der Luft und verklang. Vom Müll, der in Hinterhöfen verbrannt wurde, mischte sich Rauch in den Dunst, und während er langsam durch den Abend ging, diesen Geruch einatmete und auf der Zunge den scharfen Geschmack der Nachtluft schmeckte, war ihm, als genügte ihm dieser Augenblick, durch den er ging, als bräuchte er nicht viel mehr.

So begann seine Liebesaffäre.

(…)In seinem dreiundvierzigsten Jahr erfuhr William Stoner, was andere, oft weit jüngere Menschen vor ihm erfahren hatten: dass nämlich jene Person, die man zu Beginn liebt, nicht jene Person ist, die man am Ende liebt, und dass Liebe kein Ziel, sondern der Beginn eines Prozesses ist, durch den ein Mensch versucht, einen anderen kennenzulernen.
Sie waren beide sehr scheu und lernten einander nur langsam kennen, behutsam; sie kamen sich nah und trennten sich, berührten sich und wichen zurück, wollten beide dem anderen nicht mehrzumuten, als erverkraften konnte. Tag für Tag fielen Schutzhüllen, bis sie schließlich wie so viele, die außergewöhnlich schüchtern sind, füreinander offen waren, ungeschützt, vollkommen und gänzlich unbefangen sie selbst.
Fast jeden Nachmittag kam er nach dem Unterricht zu ihr. Sie liebten sich und redeten und liebten sich erneut wie Kinder, die in ihrem Spiel nicht müde wurden. Die Tage wurden länger, und sie freuten sich auf den Sommer.
(…) Er träumte von Vollkommenem, von Welten, in denen sie immer zusammenbleiben konnten, und halb glaubte er an die Möglichkeit des Geträumten. »Wie«, sagte er, »wäre es, wenn«, um dann eine Phantasiewelt zu schaffen, die kaum schöner als jene war, in der sie lebten. Unausgesprochen galt für sie beide, dass die möglichen Welten, die sie sich ausmalten, Liebesbeweise und eine Feier ihres jetzigen Daseins waren.
Das Leben, das sie zusammen führten, hatte sich keiner von ihnen ausgemalt. Sie steigerten sich von Leidenschaft zu Lust zu einer tiefen Sinnlichkeit, die sich von Augenblick zu Augenblick erneuerte.
»Lust und Lernen«, sagte Katherine einmal. »Mehr gibt es doch eigentlich nicht, oder?«
Und Stoner fand, sie habe absolut recht, gehörte dies doch zu dem, was er gelernt hatte.

„Stoner“ ist ein altmodisches Buch, es stellt eine vergangene Welt dar mit ihren überkommenen Konventionen, ihren langsamen Reaktionen, ihrem ruhigen Dulden und weitgehend vergessenen Prinzipien, auch mit dem „neurasthenischen“ Leiden der Frauen. „Stoner“ ist ein leises Buch, zurückhaltend, in sich vertieft wie sein Protagonist Willian Stoner.

„Stoner“ erschien erstmals 1965. „On July 5, addressing the nation on the Today programme, the novelist Ian McEwan instructed listeners to pack, along with their swimwear, the novel Stoner – the beach book for 2013.” (John Sutherland, The Telegraph)

350 Seiten. – “Stoner” war mein erster Versuch mit einem Hörbuch. Burghart Klaußner liest einfühlsam und mit angenehmer, angepasster Stimme. Der Roman bietet sich zum Hören an, da er nur eine Perspektive einnimmt, da er nicht von der Chronologie abweicht und da John Williams ruhig und innig erzählt.

Hör-Ausschnitt bei youtube

Stoner-Seite beim dtv

Luzia Stettler stellt dasBuch im SRF vor (Audio – 9 Minuten)

The New York Review of Books : Reading Group Guide

1-

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„Den späten Herbst kannst Du in mir besehen:
Die letzten gelben Blätter eingegangen
An Zweigen, die dem Frost kaum widerstehen,
Und Chorruinen, wo einst Vögel sangen.
In mir siehst Du den späten Tag sich neigen,
Das Dunkel in die graue Dämmrung dringen,
Die Nacht mit ihrer Schwärze langsam steigen
Und Todes Bruder, Schlaf, die Welt umschlingen.
In mir siehst Du die Glut von alten Bränden,
Gebettet auf die Asche bessrer Zeiten –
Ein Sterbelager, wo sie muss verenden,
Verzehrt vom Brennstoff eigner Lustbarkeiten.
Siehst Du all dies, wird’s Deine Liebe steigern:
Denn was Du liebst, wird Tod Dir bald verweigern.“


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