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Gunther Geltinger: Moor
Dion ist dreizehn, er lebt bei seiner Mutter Marga, doch beide wissen nicht, wie sie miteinander umgehen sollen. Marga hat ihr Leben nicht in den Griff gekriegt, sie versucht sich erfolglos als Malerin. Ihr wichtigstes Sujet ist ihr Sohn, den sie immer wieder als Modell und Motiv benutzt, oft in Verbindung mit dem Moor, dessen Farben und Mysterien. Symbolhaft steht dafür die Libelle, Dion soll darüber in der Schule ein Referat halten.
Auch der erste Flugversuch, der Jungfernflug, ist unbeholfen, das Insekt ein gefundenes Fressen für Vögel, denn in dieser Phase ist die adoleszente Libelle, Imago genannt, ganz auf die Erprobung ihres neuen Körpers konzentriert, den sie noch kaum beherrscht. Doch je höher sie in die Luft steigt, umso sicherer und eleganter werden ihre Kreise, schon bald schlägt sie um den Vogelschnabel gekonnt einen Haken, schraubt sich in den Himmel und fliegt lautlos ins Moor, wo sie, so lautet der letzte Satz des Referats, herkommt und hingehört.
Dion fühlt sich von seiner Mutter erdrückt, erkennt immer mehr, dass er Zeuge und Kompensation der nicht gefundenen Liebe ist, doch er kann sich nicht wehren. Er wird zum Stotterer, schon sein Name, Dion Katthusen, ist schier unaussprechlich,das Referat baut sich wie eine Mauer vor ihm auf. „Unfähig, erzählend das Chaos in ihm und um ihn zu ordnen, leiht er seine Stimme einem Gegenüber, das ihm von allen am nächsten scheint: seiner Kindheitslandschaft. Und lässt so das Moor für ihn sprechen.” (Klappentext)
Das Thema des Romans ist nicht neu. (Julia Franck greift es in ihrem Roman Rücken an Rücken auf.) Geltinger versucht es durch die Gestaltung neu zu fassen und damit tiefer einzudringen in die Personen. Zum Erzähler in der 1. Person wird das Moor – was ich erst recht spät gemerkt habe – und das Moor redet zu Dion, dem Du des Romans. Das wirkt etwas manieriert, ist es auch, doch man liest sich ein. Zum Problem wird die Gestaltung, weil Geltinger versucht zu schreiben, wie ein Maler malt. In vielen sich überlagernden Pinselstrichen werden Personen und – reduzierte – Handlung skizziert. Beim Bild aber entsteht beim Ansehen ein Gesamteindruck, beim Text müssen die Schichten nacheinander gelesen werden, was Zeit braucht: Stunden, Tage. Immer wieder setzt Geltinger an, variiert, wiederholt, aber es geht nicht voran. Der Leser ermüdet, wird gelangweilt.
Das blutig-schmierige Gemisch erzeugte einen Zustand der Enge in deiner Brust, ließ dein Herz schneller schlagen und eine Hitzewand wie Fieber in dir aufsteigen. Du gabst dem Gefühl die Farbe Braun, denn Moor- oder Colabraun war, unter all den schmutzigen Umbratönen, die einzige Farbe auf dem Bild, die in das Gewirr eine Art Licht flocht, wie in den Tümpeln, wenn ein Sonnenstrahl in die Tiefe dringt und das Wasser bernsteinfarben färbt, so dass du dort, wo die Schichten weggekratzt oder mit dem Drahtschwamm abgeschliffen waren, eine zarte, pergamentartige, stellenweise fast durchsichtige Struktur entdecktest.
Wieder einmal zeigt sich, dass die Beschreibung präziser sein kann, kohärenter ist als die Reproduktion. Man quält sich nicht mit Dion, sondern beim Lesen. Geltingers Methode ist ein interessanter Versuch, der vielleicht gelungen wäre, wenn er den Text um ein Drittel gekürzt hätte. Christoph Schröder (FR): “Das Überbordende, Ausufernde gehört zu Geltingers Ästhetik. Er will sich nicht beschränken. (…) Was Gunther Geltinger seinen Lesern an Zumutungen abverlangt, ist exakt das, was die Welt und das Dasein darin den Menschen abverlangen. Es gibt keinen Zwang, so etwas zu lesen. Aber es gibt auch keinen Grund, einem Autor vorzuwerfen, dass er um das Leben, um sein Leben schreibt.”
Mir waren die 440 Seiten zu viel. Der Titel: MOOR birgt Erwartungen, die sich leider erfüllen, das Motiv wird überstrapaziert. Die Natur ist Seelenlandschaft, überhöht, beim Moor müsste man wohl sagen: vertieft. Vielleicht in seiner mythischen Absicht auch trivial.
Sie dreht Röckers Gesicht ins Kissen und seinen Blick von dir weg, dann beginnt sie zu stöhnen, lauter, zuletzt fast schreiend, wobei sie dich mit Augen fixiert wie eine ihrer unsichtbaren, in Gedanken aber schon vollkommenen Figuren auf dem blanken Papier, bis sie ihren jungen fast weiß vor dem schwarzen Flur sieht, wie auf einer Art Röntgenaufnahme, die das vorher Verborgene und vom Fleisch Geschützte aus dem Inneren herausschält. Nur hier unten bei mir, in der Tiefe des Moors, wo der Körper sich in entgegengesetzter Richtung zum Tod, nicht von der Haut, sondern vom Herzen her auflöst, findest du plötzlich eine Stimme für das, was dir bisher unaussprechbar im Hals gesteckt hat.
Die Rezensenten loben die “pralle Sprache” und sind von der Perspektive fasziniert. Nur Anja Hirsch (FAZ) meint: “’Zum Durchschiffen zu trocken, für den Fußmarsch zu nass’, heißt es über das Moor. Das Gleiche ließe sich über diesen ambitionierten Roman sagen, der seinen Mitteln nicht vertraut. Man hätte sich diesen Mutter-Sohn-Konflikt als konzise Erzählung gewünscht. Ein paar Nebenfiguren und Adjektive weniger, weil sie sich in der Häufung gegenseitig schwächen; entschiedenere Wechsel zwischen den Tonarten: Dann wäre der Text nicht überladen, sondern vielleicht ein gelungenes Kammerstück.
2013 440 Seiten
“Das Moor als Spiegel der Seele” – 3SAT- Kulturzeit (mit Video)
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