Nachrichten vom Höllenhund


Smith
19. Juni 2014, 19:50
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Zadie Smith: Von der Schönheit

zadiesmith

Howard Belsey, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wellington, einem fiktiven Ort nahe Boston, Spezialist für Rembrandt, weiß, liberal, politisch korrekt. Er zeigt seinen Studenten einen Rembrandt, „der weder Regelverletzer war noch Originalgenie, sondern Konformist. Hatte sie aufgefordert, den Begriff »Genie« zu hinterfragen, und in der nachfolgenden Stille das bekannte Bild vom Rebellen gegen das ihm wahrscheinlichere vom guten Kunsthandwerker gesetzt, der malte, was von reichen Kunden verlangt wurde. Howard hatte sie aufgefordert, sich die Schönheit als die Maske der Macht vorzustellen und die Ästhetik als wahrhaft »erlesene« Sprache der Diskriminierung. Er versprach ihnen ein Seminar, das alle ihre Glaubenssätze von der humanen Erlösungskraft dessen, was gemeinhin als »Kunst« bezeichnet wird, infrage stellte. »Die Kunst ist der große Mythos des Abendlands«, verkündete er – etzt schon im sechsten Jahr hintereinander. »Ein Mythos, mit dem wir uns sowohl trösten als erschaffen.« Alle schrieben das mit.”

Howards Gegenspieler ist Monty (Montague) Kipps, wie Howard Rembrandt-Experte, protestantisch-britisch, konservativ-religiös. Er ist schwarz, doch er sieht keinen Anlass, die Hautfarbe als politische Kategorie einzusetzen. Wie’s Zadie Smiths Zufall will, kommt Monty Kipps für ein Jahr an die Universität Wellington, die Familie zieht in die Nachbarschaft der Belseys. In Wellington wird er als homophob und rassistisch gemobbt, hinter den Intrigen stehen aber, wie immer, persönliche Gereiztheiten. “Howard hatte Monty noch nie leiden können, was allerdings auch kein Wunder war. Montys rechtslastige Bilderstürmerei musste jedem liberal gesinnten Menschen sauer aufstoßen. Doch wirklich gehasst hatte er ihn erst, als ihm vor drei Jahren zu Ohren kam, dass Kipps ebenfalls an einem Rembrandt-Buch schrieb.” “Erst zwei Tage zuvor hatte Kipps im Wellington Herald Howards Affirmative Action Committee scharf angegriffen. Das heißt, er war nicht nur mit den Zielen des Komitees ins Gericht gegangen, sondern hatte geradezu sein Existenzrecht bestritten. Hatte Howard und »seiner Anhängerschaft« vorgeworfen, nur liberale Positionen gelten zu lassen und konservative systematisch vom Campus zu verbannen.” Die Positionen, das ist eine der Künste Zadie Smiths, sind ironisch vertauscht.

Howards Frau Kiki, eine üppige Schwarze – Howard ist auch da tolerant -, gelernte Krankenschwester, “noch mehr als Schönheit strahlte sie diese essenzielle Weiblichkeit aus”,. Kiki zweifelt an ihrer Rolle, als Howard sie hintergeht: “Im Augenblick versuche ich, mir darüber klar zu werden, wofür ich eigentlich gelebt habe und wofür ich in Zukunft leben soll. Howard wird die gleiche Frage für sich beantworten müssen. Trennen wir uns? Trennen wir uns nicht? Manchmal denke ich, es ist fast schon egal.« Kiki ist der bodenständig mütterliche Typ, als einzige Figur ohne Arg. Kiki geht auf die leptosome, kränkelnde Carlene Kipps zu. Carlene hat kein Bewusstsein als Schwarze. “»Ich frage mich nie, wofür ich lebe«, sagte Carlene entschieden. »So fragt nur ein Mann. Ich frage mich, für wen ich lebe.« »Das glaube ich dir nicht.« Doch ein Blick in ihre ernsten Augen sagte ihr, dass sie offenbar genau das glaubte, was Kiki empörte. Niemand konnte so dumm sein, das eigene Leben so zu vergeuden. »Ehrlich, Carlene, das nehme ich dir nicht ab. Ich weiß, dass ich nicht für jemanden gelebt habe. Das wirft uns alle, zumindest uns schwarze Frauen … wirft uns glatt um dreihundert Jahre zurück. «”

Die Kippsens haben zwei Kinder. Michael, Risikoanalyst bei einer Investmentgesellschaft, spielt im Roman keine große Rolle; Victoria, sie will Vee genannt werden, ist „entsetzlich hübsch“ – „rattenscharf“ übersetzt Marcus Ingendaay – hätte sich fast mit Jerome, dem Sohn der Belseys, verlobt, als dieser, wieder einer dieser Zufälle, sein Jahr als Austauschstudent in England bei den Kipps verbrachte. Später schwenkt Vee auf den Vater Belsey um, was Zadie Smith Gelegenheit gibt, ein paar Sexszenen einzufügen. Vee und Zora, Belseys Tochter, zicken sich, wie es sich für zwei Gören gehört. »Ja, tut mir Leid, aber ich mag sie nicht. Und ich kann nicht so tun, als wäre es anders, wenn es nicht so ist. Sie ist die typische oberflächliche Uni Tusse, die meint, wegen ihres Aussehens gelten die normalen Regeln für sie nicht. Sie versucht es zu verbergen, indem sie dauernd mit einem Buch von Barthes jrumläuft – ewig zitiert sie Barthes, etwas anderes kann sie gar nicht -, aber wenn’s eng wird für sie, verlässt sie sich nur noch auf ihre Schönheit, es ist ekelhaft. Und dann die Jungs, die ihr überallhin nachrennen. Ich meine, ich hab ja nichts dagegen, soll sie ruhig. Obwohl es ja schon ein bisschen arm ist, aber egal, eder hat wohl seine Methode, wie er den Tag rumkriegt … Aber das kann man auch tun, ohne ständig die Gruppendynamik mit doofen Fragen zu stören. Außerdem ist sie eitel. Echt, eitel ist sie, das glaubst du nicht.” Den Gegenschlag führt Zadie Smith selbst und entlarvt satirisch die orientierungslose Jugend, die die “Ideale” ihrer Eltern von sich weist, für sich aber auch keine anderen findet. Die Persiflage trifft wohl bevorzugt, aber nicht nur die amerikanische Universität, die klein, aber für die Beteiligten die ganze Welt, die durch Phrasen oberflächlich zusammengehalten wird. In der Tiefe brodelt’s, aber das muss verborgen werden, auch vor sich selbst. “So ziemlich jeden im Raum betrachtete Zora als enorm wichtig für ein erfolgreiches Sozialleben im kommenden Jahr.” Jeder ist für sich allein. Zora „war jemand, der nie so lange wegblieb, dass man ihn wirklich vermisste.“

Dorthin warf Zora ihre Zigarette, um sich gleich die nächste anzuzünden. Sie fand es nämlich schwierig, so allein auf eine Gruppe zu warten. Um mit ihrem Lieblingsdichter zu sprechen: Sie schuf sich ein Gesicht, um den Gesichtern zu begegnen, denen sie begegnete, ein Vorgang, der allerdings etwas Zeit brauchte. Denn wenn sie allein war, glaubte sie, überhaupt keines zu besitzen … Da half es auch wenig, dass sie auf dem College als eigenwillig und als »starke Persönlichkeit« galt. Denn leider konnte sie diesen Ruf nicht mit nach Hause nehmen, nicht einmal aus dem Seminarraum, jedenfalls nicht richtig. Irgendwie schien sie überhaupt keine echte Meinung zu haben, zumindest nicht so, wie andere eine Meinung hatten. Einmal am Ende einer Stunde fiel ihr ein, wie sie in der Diskussion genauso gut die entgegengesetzte Meinung hätte vertreten können, und das nicht weniger verbissen oder weniger erfolgreich. Jawohl, sie hätte Flaubert auch gegen Foucault verteidigen können, hätte Jane Austen retten und Adorno preisgeben können. Hatte überhaupt jemand eine eigene Meinung? Sie wusste es nicht. Und war sie die Einzige, der das merkwürdig Un-Persönliche an der akademischen Debatte aufgefallen war, oder ging es den anderen ähnlich? Täuschten die anderen auch nur eine Meinung vor? Sie vertraute darauf, dass sie dies eines Tages erfahren würde – wenn sie auf echte Menschen traf. Vorerst jedoch fühlte sie sich existenzialistisch schwerelos und suchte nervös nach möglichen Gesprächsthemen. In ihrem Kopf war wahllos alles versammelt was gewichtig klang und ihr den Anschein von Substanz verlieh. Selbst auf dieser kurzen Reise ins Szeneviertel von Wellington, eine Reise, die sie, weil sie selbst am Steuer saß, nicht lesenderweise hatte verbringen können, selbst hier schleppte sie in ihrem Rucksack drei Romane und eine kurze Abhandlung von Simone de Beauvoir mit sich herum – genug Ballast für ihre schwerelose Existenz, dass sie sich nicht gleich über die Fluten erhob und in den Nachthimmel entschwebte.

Belseys Ältester, Jerome, ist meist außer Haus, „muss seinen Eltern als glatter Reinfall erscheinen, denn er fühlt sich zu pietistischer Frömmigkeit berufen“ (Tobias Heyl, SZ). Auch Levi, der jüngere Bruder, sucht eine Identität, mit der sich von den Eltern abgrenzen könnte. Er fühlt sich zu den „Brothers“ hingezogen, aber er lebt in der falschen “hood”, “street” zu sein, ist bloß ein Wunsch. “Noch den Abgang gestaltete Levi als coolen Auftritt.” Aber die echten “Brothers”, aus Haiti etwa, durchschauen seine Attitüden, Levi hat’s nicht leicht, Zadie Smith hat fast Mitleid mit ihm, setzt ihre Satire aus.

Tobias Heyl zieht in der SZ die Essenz: „In sehr komischen Szenen zeigt dieser Roman, dass, wenn es sie denn jemals gab, die Zeiten vorbei sind, in denen uns unsere politischen, moralischen und sonstigen Präferenzen in die Wiege gelegt wurden. Die einst sicher geglaubten Ordnungen existieren nicht mehr, vielleicht weil sie auf dem Irrtum basierten, die Gesellschaft bewege sich, wie langsam und umständlich auch immer, von Generation zu Generation auf bessere Zeiten zu“.

Der Roman bietet in wechselnder Besetzung angehäufte Dialoge zwischen den beteiligten Figuren. “Kiki suchte nach einer unverfänglichen Antwort – Doch ein Blick in die ernsten Augen dieser Frau zwang sie unwillkürlich zur Wahrheit. ! – Als sie sah, dass Carlene sie immer noch anblickte, als sei jedes Wort von entscheidender Bedeutung, hörte sie auf. – Das wiederum konnte Kiki so nicht stehen lassen. – »Nein, überhaupt nicht, ich … ich glaube, es geht darum, worauf man sich geeinigt hat«, sagte Kiki und bestrich ihre Lippen mit dem farblosen Glibber. Nun war es an Carlene, ein Lächeln anzubringen.»Habe ich dir das eigentlich schon erzählt?«, sagte Carlene, um das Schweigen zu durchbrechen. Kiki lächelte, erleichtert darüber, dass sie nicht weiter ausführen musste, wovon sie keine Ahnung hatte.” – Zadie Smith beobachtet genau und steuert die Gespräche mit ihren Kommentaren. Sie durchschaut die Mechanismen und offenbart sie dem Leser. Sie sollte aber sehen, dass es genügt, Small Talk und “Sozialgedöns” als solche zu präsentieren, die häufige Wiederholung schlägt mit zunehmender Seitenzahl in Gewöhnung, nachlassendes Interesse und Langeweile um. Zu viele Themen und Motive werden aufgefahren und überlagern die Konzentration auf die Campus-Novel, den Konflikt zwischen aufgeklärtem Liberalismus und konservativem Establishment und deren gegenseitiger Anbindung an die Hautfarbe. “Das komplette Personal der geisteswissenschaftlichen Fakultät einer Ostküsten-Uni kann man nun in ihrem Roman wiederfinden – mit allen Klischees: Da gibt es die feministisch angehauchte Dozentin für kreatives Schreiben mit dem Herz für Randgruppen aller Art, den ergebenen Assistenten und den speichelleckenden Nachwuchs. Lähmende Institutssitzungen, in denen die Anschaffung eines neuen Kopierers verhandelt wird. Und im Mittelpunkt: die Debatte darüber, ob schwarze Studenten besonders gefördert werden sollten. Oder ob, im Gegenteil, diese Förderung eine Form der Diskriminierung darstellt.“ (Andrea Ritter, Stern) „Die Zeiten sind vorbei, in denen uns unsere politischen, moralischen und sonstigen Präferenzen in die Wiege gelegt wurden.“ (Tobias Heyl) Die Familiengeschichte ufert aus, zu viele Nebenfiguren bevölkern das Umfeld der Universität. Vieles aus dem 3. Kapitel wirkt auf mich wie Appendices, wie Geschriebenes, das die Autorin noch unterbringen wollte. “Von der Schönheit” wird oft gesprochen, Rembrandt, Mozart, Hiphop, Haitische Kunst, doch erklärt sich mir damit nicht der Titel. Auch in dieser Hinsicht hätte eine stärkere Fokussierung dem Roman gut getan.

„Von der Schönheit“ ist als Satire zu lesen, im Gehalt eher konventionell, in der Beschreibung subtil, fein komponiert mit erheblichen Redundanzen, vital geschrieben. Ihr Augenmerk legt Zadie Smith auf die Lingo, mit der sie jede Person markiert. Die Darstellung ist dezent ironisch, doppelt gebrochen, sie kennt ihre Schauplätze, sie stellt ihre Figuren aus, aber nicht bloß. Ein bisschen voyeuristisches Vergnügen kann man schon entdecken.

Kurz vor Thanksgiving passierte etwas sehr Schönes.
Zora war in Boston und kam gerade aus einem Antiquariat, in dem sie noch nie zuvor gewesen war. Es war Donnerstag, ihr freier Tag, und trotz der Unwetterwarnung war sie spontan in die Stadt gefahren. Dort hatte sie einen dünnen Band mit irischer Lyrik gekauft. Ihren Hut festhaltend, trat sie gerade aus dem Laden, als ein Überlandbus am Straßenrand hielt. Und aus dem Überlandbus stieg Jerome. Einen Tag früher wegen Thanksgiving. Er hatte niemandem mitgeteilt, wann und wie er kommen würde. Sie fielen sich um den Hals und hielten sich aneinander fest, aus Wiedersehensfreude ebenso wie auch, um nicht umzufallen, denn eine gewaltige Bö riss an ihnen, wirbelte das Laub in die Luft und warf eine Mülltonne um. Aber bevor sie noch etwas sagen konnten, hörten sie hinter sich ein lautes »Yo!«. Es war Levi, den der Wind hergetragen hatte.
»Nee, ne?«, sagte Jerome, und während sie sich umarmten und dabei den Bürgersteig blockierten, fiel auch den anderen nichts anderes ein als ebendiese beiden Wörtchen. Es war eiskalt und der Wind stark genug, um ein kleines Kind wegzupusten. Sie hätten irgendwo hingehen können, vielleicht einen Kaffee trinken, aber den Ort ihrer wundersamen Begegnung zu verlassen, hätte auch das Wunder selbst beendet, und das wollten sie noch nicht. Am liebsten hätten sie allen Leuten erzählt, was gerade passiert war. Aber wer hätte es ihnen geglaubt?
»Mann, Wahnsinn. Normalerweise komme ich gar nicht mit dem Bus, sondern mit der Bahn.«
»Krass, ey. Das ist ja gespenstisch«, sagte Levi, der gern an Verschwörungstheorien und paranormale Phänomene glaubte. Und alle zusammen schüttelten sie den Kopf, lachten und erzählten dann, wie sie an ebenjene Stelle gelangt waren, wobei sie ausdrücklich nach natürlichen Erklärungen suchten, um dem Gespenstischen daran nicht allzu viel Raum zu geben.

2005          516 Seiten

Grundthema und Handlung des Buches hat Zadie Smith E.M. Forsters »Wiedersehen in Howards End« (1910) entnommen. Ich kenne das Buch nicht und kann mich auch an den Film nicht erinnern.

Patrick Mahoney’s reading guide to the novel (mit den Bildern zum Roman)

Reading Guide Questions (Please be aware that this discussion guide may contain spoilers!)

2-3

2-3

 

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