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Jean Genet: Die Zofen
Inszenierung: Stefan Pucher
Madame ist außer Haus, das Personal ist desolat. Freiheit will gelernt sein. Ins Spiel mit den Kleidern der Herrin schleichen sich Mordphantasien. Aber die Gnädigste ist unerreichbar und so wird die Aggression aufs Selbst gerichtet.
Es müssen zwei sein, zwei Schwestern, in sadomasochistischer Symbiose. Die Zofen zoffen sich, spielen Herrin und Knecht, wett eifern um den besseren Plan zur Rache. Immerhin haben sie den Hausherrrn ins Gefängnis gebracht, aber er kommt schon wieder frei. Als die Gnädigste zurückkehrt, zeigt sie sich zu gnädig. Haben die Zofen es nicht besser als sie selbst? Sie muss ihre Kleider bezahlen, Solange und Claire dürfen sich mit ihren abgelegten Teilen schmücken. Großmut demütigt. „Mord ist etwas Unbeschreibliches.“ Das Gift im Lindenblütentee ist angerührt, Madame hat aber etwas Besseres zu tun, als ihn zu trinken. Die Zofen bleiben mit ihrer ausweglosen Verzweiflung zurück, der Mordplan schlägt um in Autoaggression. Wenn sich die Herrin nicht umbringen lässt, willigt der Knecht in den eigenenen Tod ein. Besser der tödliche Tee als so ein Leben.
Annette Paulmann und Brigitte Hobmeier sind Solange und Claire, im Rollenspiel tauschen sie auch ihre Namen, sie sind aber schon durch ihre Maske auf ihre Funktion reduziert. Stark überschminkt, die Haare vom Netz geplättet, auch die Sexualität ist symbolisch erstarrt. Im Video werden sie verdoppelt und herangezoomt, wie sie sich gegenseitig Zigarettenrauch in den Mund blasen, die Münder kommen sich lasziv nahe, als sie am Salatblatt züngeln, dann würgen sie sich. Wiebke Puls stöckelt champagnerselig an den Malaisen der Zofen vorbei. Mühelos tragen die drei „Weiber“ (Brigitte Hobmeier) den Abend, singen, gurren, tanzen, zanken, besonders Brigitte Hobmeier wechselt „blitzschnell von süß-naiv auf knallhart“, vom kieksigen Kinderbetteln zum tiefvulgären Gebell.
Die sozialen Abgründe haben sich in die Personen verlagert. Die Herrin ist in ihrer arglosen Gutmütigkeit unangreifbar, sie hat nichts zu befürchten, weil sich die gesellschaftlichen Spannungen in den Untergebenen selbst bekämpfen. Claire kriecht der Herrin sogar unter den Rock. Politik war in den 1940er Jahren im Theater noch nicht wieder spielbar, sie wurde ins Existenzialistische umgedreht, das Absurde wurde zum Stil. Heute hat das Alles seinen Stachel verloren, Genet regt niemanden mehr auf. Wichtig ist der Schöne Schein, die Oberfläche, der Kult, der Bilderrausch.
Stefan Puchers Inszenierung ist schön anzusehn. In einer ausweglosen Röhrenbühne (Barbara Ehnes) agieren Herrin und Zofen. Die ansteigenden Ränder können sie nicht erklimmen, wie Insekten am Glas rutschen sie wieder ab. Die Videoprojektion (Ute Schall ) verstärkt die Farbkontraste zwischen den Zofen, schwarz und weiß, und der Herrin, der Farbe erlaubt ist. Ihr Kleid in einem seltsamen Pink demonstriert ihre Abgehobenheit, kein Wunder, dass sich Claire – ungeübt – ihr Kleid überstreift, als die Herrin nicht da ist. Und als sie wieder auftaucht, kriecht sie ihr sogar unter den Rock. Der Bühnenhintergrund wechselt seine Farben wie ein LED-Spielzeug, das ist wohl bloß schön. Im Hintergrund ist eine Art Altar aufgebaut, er könnte mit seinem Flackerfeuer auch ein virtueller Kamin sein, nur zum Schein heimelig.
In den Kritiken ist die Rede von einem „Höchstmaß an Stilisierung“ (Christine Dössel, SZ), „zu viel Artifizialität“ (Gabriella Lorenz, Münchner Abendblatt). Aber wie, wenn nicht stilisiert, soll man ein Stück von 1947 sonst spielen? Die Aktualität muss in der Abstraktion gesucht werden. Das schließt komische Szenen nicht aus. Bernd Noack moniert in seiner harmlos geschmackigen SPIEGEL-Rezension, Stefan Pucher habe „die garstigen ‚Zofen’ im harmlos schrägen Fummel-Reich inszeniert“. Das sagt nichts, harmlos ist heute alles, wie denn sonst. Der SPIEGEL müsste das wissen. Christine Dössel sieht „kalte Perfektion in Top-Besetzung“ und bezieht ihr Lob nur auf die Darsteller. Mich hat die Vorstellung überrascht und überzeugt. Viele Bravos.
Münchner Kammerspiele
Aufführung am 27. Juni 2014
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