Nachrichten vom Höllenhund


Wagner
1. August 2014, 12:26
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Jan Costin Wagner:
Tage des letzten Schnees

wagnerschneeEs geht Jan Costin Wagner „nicht um den Tod, sondern um die Leere, die er bei den Lebenden hinterlässt“, schrieb Sandra Kegel in der FAZ zum Romanvorgänger. Auch in den „Tagen des letzten Schnees“ sinnieren die Personen über das, was sie verloren haben, hindern sie ihre Gedanken am Handeln. Auch hier läuft die Aufklärung gebremst. Kommissar Joentaa begleitet die Erkundungen mehr als dass er selbst tätig wird. Denn auch er hat seine Leerstellen, seine Verluste. Seine Frau Sanna ist tot, seine Gefährtin „Larissa“ entzieht sich und lässt Joentaa allein. Sein Vorteil ist, dass er sich in die Opfer und Täter einfühlen kann und gleichzeitig Distanz wahrt. Das Wetter bestärkt die Kälte nordischer Einsamkeit.

56
Ende Juli fuhr Kimmo Joentaa wieder zu einer Beerdigung. Bevor er ging, schaltete er das Licht an und sah unter dem Apfelbaum nach. Der Schlüssel lag noch dort, nicht mehr unter Schnee, sondern in der trockenen Erde. Larissa würde ihn an sich nehmen und ins Haus gehen können, falls sie zurückkehrte.
Es war ein warmer Tag, und während er fuhr, dachte er an Sundström und Grönholm, die sich ein Lachen nicht hatten verkneifen können, als er sofort die Hand gehoben und gesagt hatte, er werde nach Helsinki fahren, er werde das übernehmen.
»Sei nicht böse, Kimmo, aber sind Beerdigungen inzwischen ein Hobby von dir?«, hatte Sundström gefragt.
Grönholm hatte leise gekichert, und Joentaa hatte nicht geantwortet, war aber auch nicht böse gewesen. Es war wieder ein warmer, klarer Tag, und Joentaa dachte über die Ermittlung nach, die im Sand verlaufen oder sich irgendwo in Kompetenz- und Zuständigkeitsfragen, im luftleeren Raum zwischen Finnland, Rumänien und Ungarn verloren hatte.
Auf der Prioritätenliste waren die beiden unbekannten Toten, die vermutlich gerade aus den Kühlräumen der Gerichtsmedizin abgeholt und zur Beisetzung transportiert wurden, längst in die zweite Reihe gewandert, aber immerhin war der Tag der Bestattung ein geeigneter Anlass, um nach Helsinki zu fahren und noch einmal über diese Ermittlung nachzudenken, und sei es nur, um einzugestehen, dass man gescheitert war.
Als er ankam, hatte, aus heiterem Himmel, leichter Nieselregen eingesetzt, aber es schien noch wärmer zu werden. Westerberg und Seppo standen am Eingang zum Friedhof, auf der Schwelle, als seien sie noch unschlüssig, ob sie hineingehen oder doch umkehren sollten. Westerberg winkte ihm zu, Seppo drehte sich um und hob ebenfalls den Arm, und Joentaa freute sich, die beiden, nach diversen Skype-Telefonkonferenzen, tatsächlich mal wiederzusehen.
»Kimmo«, rief Westerberg. »Pünktlich wie immer. Hast du einen Regenschirm dabei?«
»Hei, Kimmo«, sagte Seppo.

Bei einem Verkehrsunfall ist die elfjährige Anna als Beifahrerin ihres Vaters ums Leben gekommen. Ein Banker verschaut sich in die junge Ungarin Réka, für die er aber nur ein “Liebeskaspar” ist, von dem die Prostituierte Geld nimmt. “Larissa”, die vielleicht nicht so heißt, arbeitet ebenfalls für Männer und kann Joentaa so entscheidende Hinweise geben. Viele Personen verschwinden, werden ermordet, sind nicht die, als die sie sich ausgeben. Der Leser braucht Geduld, bis er erfahren darf, dass die einzelnen Handlungsstränge zusammenführen, Wagner steigert routiniert die Spannung, auch durch seine bewusst verzögerte Preisgabe von Informationen. Routinierte Leser kennen das, erkennen auch die Klischees wieder, wissen, dass manches nicht gesagt wird. Wagner hat den Stil für den deutschen Finnland-Krimi gefunden. Unter der kontrollierten Oberfläche brechen die Emotionen auf.

Was stört: Unter den Kapitelnamen “IN EINER ANDEREN ZEIT, AN EINEM ANDEREN ORT” flicht Wagner ein geplantes Killer-Attentat auf Jugendliche „nach Art“ des Norwegers Anders Breivik ein. Die Stränge überschlagen sich, treffen auch auf Joentaa. Für mich ist das zu konstruiert.

WDR Podcast: Rezension

Jan Costin Wagner liest  – schlecht – aus dem Roman (youtube – 4 Minuten)


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: