Nachrichten vom Höllenhund


Lermontov
13. August 2014, 18:54
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Michail Jurjewitsch Lermontow:
Ein Held unserer Zeit

lermontovheld

Lermontows « Ein Held unserer Zeit » erschien 1840. Russland, hier der nördliche Kaukasus, lag wie heute weit weg von den europäischen Zentren, war aber angebunden an die mentalen und literarischen Traditionen. Die Romantik ist durchschaut; ihre Träume und Versprechungen haben sich nicht eingelöst, es ist Zeit, damit abzurechnen. Man leidet, nicht an der Realität, sondern an seinen existenzialistischen Flausen. Darauf fokussiert der junge Offizier Petschorin sein Leben. Er soll als russischer Soldat helfen, die Bergvölker im Kaukasus zu befrieden, doch zeigen sich die Tscherkessen selten. Er hat Muße, ihm ist langweilig, ihn quält der Ennui. Doch das Leben und speziell die Liebe erscheinen bloß als billiger Abklatsch der „italienischen Oper“, als Spiel mit den Gefühlen, als “Romanhelden nach neuestem Geschmack”. Die Frauen sind die Spielfiguren, “ Prinzeß Mary mit geschmeidigen Hüften, nach dem Spiel werden sie abgeräumt. “»Mon cher«, erwiderte ich und versuchte dabei möglichst seinen Ton nachzuahmen, »je méprise les femmes pour ne pas les aimer, car autrement la vie serait un mélodrame trop ridicule.«“ Wortgewandte Sentimentalität, hohle Melancholie, selbstverliebte Wehmut: „Im Grunde sind wir, um die Wahrheit zu sagen, gegen alles recht gleichgültig, außer gegen uns selbst.” Lermontow wollte ein »Portrait schreiben, das sich aus den vollausgereiften Lastern unserer gesamten Generation zusammensetzt«.

Den größten Teil des Romans nimmt das Tagebuch Petschorins ein. Das erlaubt dem Autor, einen Blick in den Kopf des Helden zu werfen, wir erleben die Welt in seiner Wahrnehmung und sollen auf die Verdoppelung des Erlebens hereinfallen. Lermontows Petschrorin spielt nicht nur mit sich, sondern auch mit den Vorstellungen des Lesers. Das ist romantisch, doch hat es nicht die sarkastische Heiterkeit des etwas älteren Heinrich Heine.

Wir kennen voneinander fast alle noch so geheimen Gedanken, ein einziges Wort ist für uns eine ganze Geschichte, und wir sehen den Keim eines jeden unserer Gefühle durch eine dreifache Hülle hindurch. Das Traurige mutet uns lächerlich, das Lächerliche traurig an, und im Grunde sind wir, um die Wahrheit zu sagen, gegen alles recht gleichgültig, außer gegen uns selbst. Ein Austausch von Gefühlen und Gedanken kann zwischen uns also nicht zustande kommen, wir wissen voneinander alles, was wir wissen wollen, und mehr wollen wir nicht wissen. Es bleibt nur ein Mittel: Neuigkeiten mitteilen. – Erzählen Sie mir, was gibt es Neues?« Erschöpft von meiner langen Rede, schloß ich die Augen und gähnte.

Petschorin kennt nicht nur keine echten Gefühle mehr, er ist der Liebe überdrüssig, ihn ödet sogar das sSpiel mit den Emotionen an. “Sie ist mit sich unzufrieden – sie macht sich Vorwürfe, sie sei zu kalt! Oh, das ist der erste, der wichtigste Triumph. Morgen wird sie mich entschädigen wollen. Ich kenne das alles schon, es ist so langweilig!” “Endlich trennten wir uns; ich sah ihr lange nach, bis ihr kleiner Hut hinter Büschen und Felsen verschwand. Mein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen wie nach dem ersten Abschied. Oh, wie frohlockte ich über dieses Gefühl!” “Leidenschaften sind nichts anderes als Ideen in ihrem ersten Entwicklungsstadium; sie sind nur dem Jünglingsherzen eigen, und ein Narr ist, der denkt, sie werden ihn sein Lebtag leiten. Viele ruhige Ströme beginnen als tosende Wasserfälle, doch keiner springt und schäumt bis ans Meer hinan. Diese Ruhe ist jedoch häufig das Zeichen einer großen, wenngleich verborgenen Kraft; Reichtum und Tiefe der Gefühle und Gedanken dulden keine rasenden Ausbrüche; während die Seele leidet und genießt.”

Wenn die Seele zu fiebern droht, reitet man in die Natur, um sie abzukühlen. Man wird wieder nüchtern, wenn man in der Schlucht schluchzt. Die Love-Story endet mit dem Duell, aber auch das kann Petschorin nur als Spiel sehen und genießen: “Absichten erraten, Verschwörungen ausheben, so tun, als sei man überlistet, und plötzlich mit einem einzigen Stoß das ganze riesige und mühsam errichtete Gebäude aus Listen und Intrigen einreißen – das ist es, was ich Leben nenne!

pjatigorskLermontov, der 1841 bei einem Duell in Pjatigorsk starb, “verlegt das Geschehen in den Kaukasus, in die Zeit des russischen Eroberungsfeldzugs zur »Befriedung« der Bergvölker. Der Roman enthält nicht nur wunderbare Landschaftsbeschreibungen, sondern benennt die bis heute fortwirkenden großrussischen Vorurteile gegen die angeblich feigen, hinterhältigen und räuberischen Bergvölker, die Asiaten” (wikipedia). Pjatigorsk ist auch heute noch Heilbad. Unnötig zu sagen: Während des Zweiten Weltkriegs war Pjatigorsk zeitweise von der Wehrmacht besetzt. Das Einsatzkommando 12 der Einsatzgruppe D hatte 1942 in der Stadt seinen Sitz. Zahlreiche jüdische Einwohner der Stadt wurden ermordet. (wikipedia)

1840       210 Seiten (TaBu)

Lermontov übersetzte auch Goethe:

Горные вершины
Спят во тьме ночной.
Тихие долины
Полны свежей мглой.
Не пылит дорога,
Не дрожат листы.
Подожди немного,
Отдохнёшь и ты.


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