Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs
Der Verlag hängt die Erwartung hoch. „Gibt es den perfekten Roman, in dem keine Figur überzeichnet, kein Adjektiv zu viel ist, kein Gedanke ins Leere läuft? Es gibt ihn, er heißt Zeiten des Aufruhrs und stammt aus der Feder des Vergessenen: Richard Yates. So ungeheuerlich seine Themen, so gnadenlos seine Analyse des amerikanischen Alltags, dass Leser und Kritik den Autor gleichermaßen ablehnten.” Der Zweifel an der Glückseligkeit der Vorstadt und – vor allem – des amerikanischen Traumes scheint so virulent, dass man ihn überwältigen muss. Richard Yates’ “Zeiten des Aufruhrs” stammt von 1961. Ob die Elogen für damals zutreffen, kann ich nicht beurteilen. Ich finde im Roman keinen schlechten Satz, keinen falschen Satz. Yates führt seine Personen wie ein Regisseur durch die Handlung, legt das Augenmerk auf die Gesten und die Gefühle, die durch sie gezeigt werden, auf die Worte, mit denen Mann und Frau versuchen, sich verstehen zu geben und sich zu verstehen. Die Sprache ist aber doch bloß nichtig, eigensinnig, im rechten Moment fehlen die Worte und werden ersetzt durch Schreien und Schweigen.
»Ich weiß. Und es wär mir wahrscheinlich auch nicht egal, wenn ich dich lieben würde, aber ich liebe dich eben nicht. Ich liebe dich nicht, und ich hab dich nie geliebt, eigentlich bin erst diese Woche richtig dahintergekommen, und drum möcht ich jetzt auch gar nicht mehr reden. Verstehst du?« Sie nahm ein Staubtuch und ging damit ins Wohnzimmer, eine müde, tüchtige Hausfrau, die noch zu tun hatte. »Und nun passen Sie mal auf«, sagte eine aufdringliche Stimme im Radio. »Jetzt, während des großen Sommerschlußverkaufs, ist Robert Halls gesamter Vorrat an Herrenshorts und Freizeitjeans drastisch heruntergesetzt!« Er stand unbeweglich da und starrte auf sein unberührtes Glas Eistee hinunter, in seinem Kopf herrschte eine solches Durcheinander, daß nur ein einziger klarer Gedanke durch diesen Wirrwarr hindurchkam: Jäh fiel ihm ein, um welchen Sonntag es sich heute handelte, und das erklärte auch, weshalb die Kinder bei den Campbells waren, und bedeutete darüber hinaus, daß nicht mehr viel Zeit zum Reden blieb. »Also jetzt hör mal zu«, sagte er; er wirbelte herum und folgte ihr mit entschlossenen, langen Schritten ins Wohnzimmer. »Du legst jetzt einen Moment das verdammte Staubtuch weg und hörst mir zu. Hör mir zu. Zunächst mal weißt du verdammt gut, daß du mich liebst.«
Frank Wheeler wird im Laufe des Romans 30, er hat einen Job bei einer Werbefirma, der ihn nicht fordert, durch den er sich aber das Häuschen in der Vorstadt in Connecticut leisten kann, für das er auch kein Interesse aufbringt. Die Träume seiner Frau April, Schauspielerin zu werden, enden mit der Geburt der beiden Kinder und bei einer Laientheatergruppe. Mit der missglückten Aufführung der Laurel Players beginnt der Roman symptomatisch. Frank und April nehmen ihre Rollen ein und können die Erwartungen der Umgebung und auch ihre eigenen nicht erfüllen.
Sie hatte einen hysterischen Anfall. Als er sie beobachtete, wie sie, bald an diesem, bald an jenem Möbelstück Halt suchend, von einer Wand zur anderen schwankte und dabei pausenlos lachte, fragte er sich, was er tun sollte. Wenn in Kinofilmen die Frauen hysterisch wurden, gaben ihnen die Männer so lange eine Ohrfeige, bis der Anfall vorüber war, doch die Männer in diesen Filmen waren stets gelassen genug, um klarstellen zu können, wozu die Ohrfeigen dienten. Er war nicht gelassen. Ja, er war zu nichts anderem imstande, als mit offenem Mund angewurzelt dazustehen und sie zu beobachten.
Es sind die Themen der 50-er Jahre: Spätestens mit 30 darf man kein Kind mehr sein; die Träume sind vom Alltag überdeckt, doch der erscheint trist und endlos. Im Original heißt der Roman “Revolutionary Road”, aber die Straße führt ins Nichts. Aprils Idee, nach Europa auszuwandern, um dort so etwas wie Kultur, Echtheit zu finden, bleibt ebenso stecken wie Franks Traum, Mann zu werden. Suburbia erweist sich als Gefängnis, an dessen Ende nur der Tod stehen kann.
Du warst zu gut, zu jung und zu ängstlich; du hast einfach mitgespielt, und so fing alles an. So sind wir beide dieser gigantischen Täuschung erlegen – das ist es nämlich, eine gigantische, furchtbare Täuschung -, der Vorstellung erlegen, daß man sich aus dem wirklichen Leben zurückziehen und sich >niederlassen< muß, sobald man Familie hat. Das ist die große sentimentale Lüge der Vorstädte, und ich hab dich dazu gebracht, diese Lüge die ganze Zeit über gutzuheißen. Ich hab dich dazu gebracht, von dieser Lüge zu leben! Mein Gott, ich hab diese kitschige Schmierenkomödie sogar selbst inszeniert – und dadurch ist mir das Ganze wahrscheinlich erst richtig bewußt geworden -, dieses Bild von mir als ein Mädchen, das die Schauspielerin hätte werden können, wenn es nicht schon so früh geheiratet hätte. Und dabei weißt du sehr gut, daß ich nie eine Schauspielerin war und auch nicht werden wollte; du weißt genausogut wie ich, daß ich bloß auf die Akademie gegangen bin, um von daheim wegzukommen. Mir war das immer klar. Und dann bin ich hier drei Monate lang mit diesem über alles erhabenen bittersüßen Gesichtsausdruck rumgelaufen – wie weit kann so ein Selbstbetrug eigentlich gehen? Merkst du, wie neurotisch das alles ist? Ich wollte beides. Es hat mir nicht gereicht, daß ich dir dein Leben ruiniert hab; ich wollte den ganzen Spieß einfach umdrehen und es so aussehen lassen, als würdst du mein Leben ruinieren und als wär ich das Opfer. Ist das nicht furchtbar? Aber es ist wahr! Es ist wahr!« Bei jedem »wahr!« schlug sie sich mit der geballten kleinen Faust aufs nackte Knie. »Weißt du jetzt, was du mir verzeihen sollst? Und warum wir hier weg und so schnell wie möglich nach Europa gehen müssen? Es geht nicht darum, ob ich >süß< oder großzügig oder sonstwas bin. Ich will dir ja keinen Gefallen tun. Ich will dir bloß das geben, worauf du immer Anspruch gehabt hast, und es tut mir nur leid, daß mir diese Einsicht so spät gekommen ist.« »Gut. Darf ich jetzt auch mal was sagen?«
Die Idee, einfach nach Europa abzuhauen?« Er war in übermütiger Stimmung, auf einem Couchtisch zu sitzen erschien ihm originell und wundervoll. »Das ist, wie wenn man aus einem Zellophanbeutel kommt. Wie wenn man jahrelang und ohne es zu wissen in Zellophan eingewickelt war und sich plötzlich daraus befreit. So ungefähr hab ich mich gefühlt, als ich zum erstenmal an der Front war, im Krieg.
Seltsam lesen sich heute die Versuche, die Geschlechtsrollen zu finden und sie gleichzeitig leise in Frage zu stellen.Frank muss sich zwanghaft sein Mannsein beweisen, jeder Versuch Aprils, ein Selbst zu eintwickeln, wirft ihren Mann aus der Bahn. “Immer wieder hatte er etwas beweisen müssen; und nur deswegen, weil er verheiratet war mit einer Frau, die es irgendwie geschafft hatte, ihn für immer und ewig in die Defensive zu drängen, die ihn liebte, wenn er nett war, die stets so lebte, wie es ihr just in den Sinn kam, und der es – und das war das Verfluchte daran – zu jeder Tages- und Nachtzeit einfallen konnte, ihn zu verlassen. Das Ganze war ebenso lachhaft wie einfach.”
»Oh, das weißt du nicht?« Sie führte seine Hand sanft an ihrer Hüfte hoch und über den Bauch und drückte sie noch einmal. »Das weißt du nicht? Du bist das Kostbarste und Wundervollste, was es auf dieser Welt gibt. Du bist ein Mann.« Von allen Niederlagen seines Lebens war dies die einzige, die ihm fast wie ein Sieg erschien. Noch nie hatte ihn ein Hochgefühl so machtvoll ergriffen, noch nie war Schönheit so rein aus der Wahrheit erwachsen, nicht einmal beim Beischlaf mit seiner Frau hatte er jemals so vollständig über Zeit und Raum triumphiert. Er konnte über die Vergangenheit verfügen, ebenso wie über die Zukunft, ebenso wie über die Wände dieses Hauses und über die ganze einengende Ödnis dahinter, die Städte und Bäume. Er war nun der Herrscher des Universums, weil er ein Mann war und weil das wundervolle Geschöpf, das sich zärtlich und entschlossen für ihn öffnete und bewegte, eine Frau war.
Auslöser der Katastrophe sind die dritte Schwangerschaft Aprils und ihr Gedanke, das Kind abzutreiben. »Und ich glaub, vor allem ging’s einfach darum, daß ich das Gefühl hatte, meine – na ja, meine Männlichkeit wär durch diese Abtreibungsgeschichte irgendwie in Gefahr, wahrscheinlich wollt ich mir irgendwas beweisen, keine Ahnung.” John, Sohn der Nachbarn und –als “geistesgestört” gebrandmarkter Narr darf als Außenstehender die Wahrheit sagen. Er ist damit auch der Vertreter des Autors Yates, der 1961 mit seinem Roman noch Anstoß erregte. Yates inszeniert ein tröstlich ironisches Ende. Man streut Gras über die Katastrophe. Alles ist wieder gut. Ins Suburbia-Häuschen zieht das neue Paar. „Ach, und das sind ja so nette junge Leutchen, die Braces. Sie ist ganz hinreißend, und es macht richtig Freude, mit ihr zu reden, er ist eher ein bißchen reserviert. Er hat, so scheint es, eine tolle Anstellung in der Stadt.” – Mit genau denselben Worten hatte Mrs. Givings zu Beginn auch die Wheelers eingeführt: »Sie sind einfach süß«, sagte sie zu ihrem Mann. »Die junge Frau ist absolut hinreißend, und der junge Mann hat, so scheint es, eine tolle Anstellung in der Stadt – er ist sehr nett, wenn auch ein bißchen reserviert -, jedenfalls tut es richtig gut, mit solchen Leuten Geschäfte zu machen.«
1961 360 Seiten
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Richard Yates:
Elf Arten der Einsamkeit
(Short Stories)
Und von da an ließ ihm die Kindheitserinnerung keine Ruhe mehr, denn plötzlich kam ihm die Erkenntnis – und ihre Wucht ließ ihn den Daumennagel tief in das versteckte Streichholzbriefchen bohren -, daß es in gewisser Weise ein Muster seines Lebens war, Dinge geschehen zu lassen und sie mit Anstand hinzunehmen. Er konnte gewiß nicht in Abrede stellen, daß ihn die Rolle des guten Verlierers stets übermäßig angezogen hatte. Während seiner Jugend hatte er sich darauf spezialisiert, er hatte bereitwillig Kämpfe mit stärkeren Jungen verloren und schlecht Football gespielt in der geheimen Hoffnung, verletzt und auf dramatische Weise vom Platz getragen zu werden (»Eins muß man dem alten Henderson jedenfalls lassen«, hatte der Trainer in der Highschool gesagt und dabei in sich hineingelacht, »er ist wirklich ein kleiner Masochist«). (…)
»Gut«, hatte Walter gesagt. »Das ist es, wonach ich suche.« Als er diesen Teil des Gesprächs seiner Frau schilderte, sagte sie: »Oh, wunderbar«, und daraufhin waren sie in eine teure Wohnung in der Upper Eastside gezogen. Als er in jüngster Zeit niedergeschlagen nach Hause kam und dunkel andeutete, daß er bezweifle, ob er noch lange durchhalten könne, schärfte sie den Kindern ein, ihn nicht zu belästigen (»Papa ist heute abend sehr müde«), brachte ihm einen Drink und beruhigte ihn mit umsichtigen, ehefraulichen Beteuerungen, tat ihr Bestes, um ihre Angst zu verbergen, und hatte keine Ahnung oder zeigte es zumindest nicht, daß sie es mit einem chronischen, zwanghaften Versager zu tun hatte, mit einem merkwürdigen kleinen Jungen, der in die Pose des Zusammenbruchs verliebt war. (…)
»Setzen Sie sich, Walt«, sagte er. »Zigarette?«
»Nein, danke.« Walter setzte sich und schlang die Finger zwischen den Knien fest ineinander.
Crowell schloß die Zigarettenschachtel, ohne selbst eine zu nehmen, schob sie beiseite, neigte sich vor und legte beide Hände flach auf die Glasplatte seines Schreibtischs. »Walt, ich möchte nicht um den heißen Brei herumreden«, sagte er, und der letzte Funken Hoffnung erlosch. Das Komische war, daß es dennoch ein Schock war. »Mr. Harvey und ich haben seit einiger Zeit das Gefühl, daß unsere Arbeit hier nicht so recht Anklang findet bei Ihnen, und wir sind beide widerstrebend zu dem Schluß gekommen, daß es am besten wäre, in Ihrem Interesse und in unserem, Sie gehen zu lassen. Das ist«, fügte er rasch hinzu, »nicht gegen Sie persönlich gemeint … (Ein Masochist)
Einsam ist ein jeder, natürlich. Wäre es nicht so, gäbe es wenig zu erzählen. Bei Yates ist es häufig das Abweichen von Lebensplänen, das Vorlieb-Nehmen mit der schlechteren Lösung, ob im Beruf (der meist nur ein unsicherer Job ist), in der Familie (Mann und Frau passen nur eine bestimmte Zeit zusammen) oder in der Gruppe, etwa beim Militär. Schriftsteller zu werden wäre die Erfüllung, doch es gibt keine Sieger in dieser Zeit, den 50-er Jahren, Reichtum und Reisen sind nur ein Traum, der Krieg ist noch zu präsent und beeinflusst die Gedanken und Lebensentwürfe. Man mus froh sein, wenn man nicht krank ist, und auch dann sollte man Spaß am Leben vorspielen, sich und den anderen.
Zwei Geschichten spielen in der Schule. Der neue Schüler heißt Vinvent (Vinni) Sabellla und “Miss Price wußte von dem neuen Jungen bloß, daß er sein Leben größtenteils in einem Waisenhaus verbracht hatte und daß »Tante und Onkel«, die grauhaarigen Leute, bei denen er inzwischen wohnte, die rechtmäßigen, vom Wohlfahrtsamt der Stadt New York bezahlten Pflegeeltern waren. Ein weniger engagierter oder weniger phantasievoller Lehrer hätte vielleicht auf mehr Einzelheiten gedrängt, aber Miss Price war mit diesem schlichten Überblick zufrieden. Ja, er genügte, um sie mit dem Gefühl eines Auftrags zu erfüllen, was ihre Augen schon am ersten Morgen, beim Eintritt des Jungen in die vierte Klasse, hell wie die Liebe leuchten ließ.” Vincent zahlt es ihr heim. (Doktor Schleckermaul) – Auch Frau Snell hat es schwer: “Den ganzen Sommer wurden die Kinder, die zu Miss Snell in die dritte Klasse kommen sollten, vor ihr gewarnt. »Junge, die wird’s euch zeigen«, sagten die älteren Kinder und verzogen vor boshaftem Vergnügen das Gesicht. »Die wird’s euch wirklich zeigen. Mrs. Cleary ist in Ordnung« – (Mrs. Cleary unterrichtete die andere, vom Glück bevorzugte dritte Klasse) – »sie ist nett, aber Mann, diese Snell – paßt bloß auf.« Und so geschah es, daß die Stimmung von Miss Snells Klasse gedämpft war, noch bevor im September die Schule begann, und zu Beginn des Schuljahrs tat Miss Snell wenig, um sie zu heben.
Sie war vermutlich sechzig, eine große hagere Frau mit männlichen Gesichtszügen, und ihre Kleider, wenn nicht gar ihre Poren schienen beständig die trockene Essenz von Bleistiftspänen und Kreidestaub zu verströmen, die den Geruch der Schule ausmacht. Sie war streng, humorlos und damit beschäftigt, alles auszurotten, was sie für unerträglich hielt: Schwätzen, schlechte Haltung, Tagträumen, häufige Gänge zur Toilette und, am schlimmsten von allem, »ohne die richtige Ausrüstung zur Schule zu kommen«.”
Yates erzählt kleine Geschichten, Banales von einfachen Leuten, Nuancen aus der Gleichförmigkeit des Lebens, Geschichten, die ich schnell wieder vergesse. Er erzählt unprätentiös, wie es zu seinen Personen passt, aber sehr genau, doch bin ich nach dem größeren Entwurf “Zeiten des Aufruhrs” doch leicht enttäuscht., weil man den Stories doch ihr Alter anmerkt, weil selten Fallhöhe aufgebaut wird und weil die Geschichten enden, wie sie beginnen: Das Leben zieht weiter seine Schlingen.
1962 380 Seiten (TaBu)
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