Karen Köhler:
Wir haben Raketen geangelt
(Erzählungen)
„Ich suche meine Koordinaten.” – Wer täte das nicht. Die Koordinaten der Frauen aus Karen Köhlers Erzählungen liegen außerhalb ihrer selbst. Sie gehen weit, oft an den Rand der Welt, an den Rand der Existenz, ins Nirgendwo. “Reach out and touch faith” fordern Depeche Mode und Karen Köhler nimmt sich die Songzeile zum Motto. Aber das Schicksal wartet nicht.
Es sind starke, anlehnungsselige junge Frauen. Frauen, die an Krankheiten (Sick Lit), Liebe, Verlassenwordensein, Einsamkeit leiden und die so stark sind,sich den Malaisen bewusst zu stellen. Frauen, die sich aber auch auf verständnisvolle Partner einlassen, Partner aber meist nur für kurze Lebensabschnitte. „Il Comandante“ verleiht der Krebspatientin neuen „Kampfgeist“ . Er wirkt wie ein Paradiesvogel in der realistisch und derb beschriebenen Klinikwelt.
Ein älterer Mann kurvt im Rollstuhl herein. Eine Wollmütze thront auf seinem Kopf, unter der sich seine schwarzen Locken beulen, seine Augen verdeckt eine große Designer-Sonnenbrille. Er rollert ungeübt, aber zielstrebig auf einen Fenstertisch zu, ein Lächeln findet den Weg durch seinen grauen Rauschevollbart. Was lächelt der, er ist in einem Krankenhaus, warum hat der so gute Laune. Er überstrahlt alles, was ich in den letzten Wochen hier gesehen habe, ach Quatsch, er überstrahlt auch vieles außerhalb dieses Krankenhauses. Kann mich gar nicht Sattsehen. Der kann doch gar nicht krank sein.
»Hello, my friend«, ruft ihm der Cafe Bistro-Chef zu. »Buenos dias, amigo«, sagt er, schiebt umständlich einen Stuhl zur Seite und platziert sich aufwendig am Fensterplatz des Tisches. Rückwärts Einparken in siebenundzwanzig Zügen. »What can you offer me today?« Seine Stimme ist wie ein Instrument, laut und tief.
»Fish and Pommes mit Salad?«, stümpert der Bistro-Chef. »Pescado y patatas fritas, muy bien, Dankeschön«, sagt er und legt sein Smartphone auf den Tisch.
Tom und ich biegen um die Kurve. Er hält meine Hand. Keiner da. Das ist gut. Ich ziehe mir die Perücke vom Kopf, nehme gleich alle Steine aus der Schale, und befülle die Perücke damit, steige auf die runde Holzbühne, hocke mich vor den Altar und lege den Perückensteinbeutel vor mich hin. Nicht nur ein Stein, sondern ein ganzes Nest der Schwere. Hole mein Telefon raus und fotografiere das Nest mit einer Polaroid-App. Ich klicke: Nachrichten. Klicke: Cesar. Klicke auf das kleine Fotosymbol. Lade das Bild und schreibe: I even did my hair for you. I hope they serve Banana Split in heaven. Klicke: Senden. Mache dann Musik an. Interpret: Buena Vista Social Club. Volle Lautstärke Hasta Siempre Comandante. Für immer. Augen zu.
(Il Comandante)
Der Indianer Bill ist der Begleiter für ein paar Tage auf der USA-Tour der Erzählerin. Er sieht aus und verhält sich wie der Klischee-Indianer aus der Kindheit der Erzählerin. Der Indianer ist der Gute. Er tut einem nichts, man kann sich anlehnen. Das taffe Mädchen und ihr Seelenverwandter. Der Stellertreter für den zurückgelassenen oder noch nicht gefundenen Freund. Realität und Traum in einem. Zudem gibt es die Songs (Enter Sandman) und die Smartphones (KlickKlickKlick). Karen Köhlers Frauen sind von heute.
Vor mir steht ein Indianer. Ich bin nicht in der Einkaufsstraße einer mittelgroßen deutschen Stadt. Ich höre auch keine Panflöten, kein El Condor Pasa. Ich bin im Death Valley und sitze auf einem Stein neben einer Tankstelle, der einzigen an diesem Highwayabschnitt, und vor mir steht ein Indianer. Er trägt eine Federhaube, ein Gewand mit einem Brustschmuck aus Knochenstäbchen, die ein Muster ergeben, er trägt perlenbestickte Mokassins und eine Pilotensonnenbrille, in der ich mich spiegeln kann. Ich denke, dass ich spinne, ich denke, dass der Indianer nur in meinem Kopf ist. Ich schließe meine vom Wüstenstaub wunden Augen. Verschwinde, Indianer, sage ich, du bist nur in meinem Kopf. Aber der Indianer verschwindet nicht, der Indianer spricht. Er sagt, dass mein Kopf krank von der Sonne ist, und dass ich trinken soll. Ich öffne die Augen und der Indianer hebt seine Hand, ich erwarte ein Howgh, aber er reicht mir nur eine kleine, halbvolle Wasserflasche.
Trink es langsam, sagt der Indianer.
Okay, sage ich.
Wo willst du hin?, fragt der Indianer.
Nach Hause, sage ich.
Wo ist das?, fragt der Indianer.
Das wüsste ich auch gerne, sage ich.
Bist du allein hier?, fragt der Indianer.
Ja, sage ich.
Dann schweigen wir. Ich im Sitzen, langsam trinkend, der Indianer im Stehen, schauend. Heißer Wind weht. Ein Dornengestrüpp wird über die Ebene gerollt. Kakteen stehen in der Landschaft. Irgendwo schreit ein Raubvogel. Der Highway kommt zu uns ins Tal gekrochen wie eine flimmernde Schlange. Ich habe mit ihr gerungen und bin ihrem Würgegriff entkommen.
(Cowboy und Indianer)
Die Erzählerin will ihre Gefühle für den Ex-Freund loswerden und arbeitet als Animateuse auf einem Nordmeer-Kreuzfahrtschiff. Sie verliert sich im Grau des Inselgestrüpps. “Ein Regenbogen spannt sich auf. Ich schlage meine Wurzeln in den Boden. Ich bin Unkraut.
Drei Mal tutet das deutsche Schiff. Und fährt.” Der Stil ist nicht ohne Attitude. Weiß ich auch nicht mehr weiter, so bin ich doch nicht so wie die Masse: “Verwöhnte, meist übergewichtige, weiße Menschen, die alles in sich reinstopfen, weil es hier auf dem Schiff all inclusive ist.”
(Starcode Red)
Einige der Ezählungen sind Einträge in das Tagebuch, Texte auf Postkarten, meist muss man auf Reisen sein, um ankommen zu können. Die Themen sind natürlich nicht ganz neu, die Schreibweisen frisch. „Weit entfernt von aufgesetzt lakonischer Befindlichkeitsprosa sind ihre Erzählungen emanzipatorisch engagiert und verteidigen die Idee der romantischen Liebe.“ (Jochen Rack, SWR2) „Das Ungeheure kann noch in der allergrößten Schwere befreiend wirken.“ (Peter Czoik, Literaturportal Bayern) Die Rezensionen loben das „Debut“ hoch, man wird abwarten. Karen Köhler ist immerhin schon 40.
Karen Köhler liest auf zehnseiten.de
Schöne Rezension mit Textproben von caterina
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