Nachrichten vom Höllenhund


Rathgeb
22. September 2014, 18:59
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Eberhard Rathgeb: Kein Paar wie wir

rathgeb

2 Schwestern, Ruth und Vika, sind am Ende ihres Lebens angelangt. Sie können nicht mehr viel tun, nur noch wenig essen und sie brauchen wenig. Abends sitzen sie nebeneinander auf dem Sofa in Buenos Aires, hören Musik. Allein zu zweit, vergleichbar mit zusammen alt gewordenen Ehepaaren. Aber sie fühlen sich anders, halten an der Illusion fest, es gebe „Kein Paar“ wie sie, ohne Männer, ohne Kinder, zwei Frauen.

Ihr Denken kreist um die Markierungspunkte ihres Lebens: die Versuche, von den Eltern loszukommen, der depressiven Mutter, dem herrischen Vater. Sie sind Mitte der 30-er Jahre mit den Eltern nach Südamerika ausgewandert, fanden Arbeit in New York, reisten um die Welt, abweisend nach außen, immer sich selbst genug. Die Worte, in denen die Erinnerungen gefasst sind, sind oft gesagt, Ruth und Vika kennen sie auswendig. Da sie kaum noch Zukunft haben und eine kleiner werdende Gegenwart, brauchen sie diese Vergangenheiten, um weiterleben zu können. Begründet wird diese symbiotische Beziehung, als Vika noch als Kind lebensbedrohlich erkrankt und sich nur Ruth sich um sie kümmert und ihr ihr das Leben erhält. „Ich werde dich nicht loslassen, wer immer dich mir wegnehmen will“, flüstert Ruth der kranken Vika zu.
Man könnte auf wenigen Seiten davon berichten, doch setzt sich Autor Eberhard Rathgeb neben die Schwestern und unterbricht ihre Sätze und Gedanken kaum, auch wenn sie redundant werden, die Kreise enger auf das Ende zulaufen. Das Denken und das Reden sind das Leben, sind Versuche, dem Gelebten eine Struktur und einen Sinn zu geben. Auch zu rechtfertigen, weshalb sie so eigen wurden, zu so vielem Nein gesagt haben.

Sie schwiegen.
Der Vater, dachten sie, unterwarf sich die Mutter. Zuerst die Mutter, dann uns. Aber wir waren zu zweit, wir rebellierten, als wir alt genug geworden waren. Zwei junge Frauen. Wir ließen uns von ihm nicht alles gefallen. »Sie war nicht besser als er«, begann Ruth erneut, »sie war auf ihre Weise auch ein Tyrann.«
Er unterwarf sie, und sie ließ es uns büßen, dachte sie. Er nahm ihr die Heimat, und sie schloss sich mit uns ein. »Sie hat uns malträtiert.«
»Sie sperrte uns wie zwei Kanarienvögel in einen Käfig. Die braven Töchter. Fleißig und ordentlich. Hübsch und klug.« »Ich durfte in den ersten Jahren nicht in die Schule gehen«, sagte Vika. »Sie verbot es mir.« »Ah non. «
Ruth hatte die Geschichte vergessen, und als sie sich jetzt wieder daran erinnerte, empörte sie sich erneut. »Ich musste bei ihr zuhause bleiben, weil sie sich allein gelassen fühlte. Du durftest in die Schule gehen, ich nicht. Ich beneidete dich. Du durftest rausgehen, ich musste drinnen bei ihr bleiben. «
»Unvorstellbar.«
Sie bewachte uns wie eine Gefängniswärterin, dachte Ruth. Wasser und Brot. Tagsüber Gebote und abends Gebete. Ein Leben auf den Knien. Aber die Eltern kriegten uns nicht klein.

Man muss sich auf Rathgebs Methode einlassen, aus den ständigen Neuansätzen, die doch nur Gesagtes und Gedachtes wiederholen, das Lebenswichtige heraushören. Dazu braucht es Geduld, man muss den Schwestern die Zeit geben, die sie noch haben. Die vom Leser mit Sorge erwartete Katastrophe bleibt aus. Nicht das Lebensschicksal erweist sich als Zentrum, sondern die lähmenden und doch lebenserhaltenden Versuche, damit zurechtzukommen.
2013 185 Seiten

Seite des ZDF zum aspekte-Literaturpreis 2013

Leseprobe des Hanser-Verlags

Eberhard Rathgeb liest auf zehnseiten.de


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