Nachrichten vom Höllenhund


McCann
30. September 2014, 19:19
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Colum McCann: Transatlantik

mccann

Der Amerikaner Frederick Douglass, ehemaliger Sklave und späterer Abolitionist und Schriftsteller, besucht 1845 Irland, um für seine Ideen und sein Buch zu werben und Geld zu sammeln. In Irland wütet neben Bürgerkriegen und Finanzkrisen gerade die Great Famine, die Große Hungersnot, welche auch eine Dienstmagd des Verlegers Webb, bei dem Douglass wohnt, zum Auswandern drängt. Lily Duggan findet in Amerika ein Auskommen und einen Mann, ihre Tochter Emily lernt Schreiben und Lesen, und wird Journalistin, die Tochter Lottie geht wieder nach England bzw. Irland zurück; die vierte Generation beschließt mit Hannah den Roman, als alt gewordene Frau blickt sie auf ihren Lebensweg und den ihrer Vorfahren zurück. Der Roman rundet sich. Eingefügt in dieses fiktive transatlantische Familienportrait ist der erste Non-Stop-Transatlantikflug von Arthur Whitten Brown und John Alcock 1919 und der Besuch des US-Diplomaten George J. Mitchell, dem Vorsitzenden der Friedensverhandlungen im Nordirlandkonflikt (Karfreitagsabkommen) von 1999 bis 2009.

Douglass, Brown/Alcock und auch Mitchell sind Personen der Zeitgeschichte, Colum McCann interessiert sich aber bevorzugt für das Innenleben und dieBefindlichkeiten. Das ist spannend, wenn man mit den Atlantikfliegern in ihrer offenen Kabine sitzt und sich durch die Wolken kämpft, das ist interessant, wenn man mit dem schwarzen Kämpfer gegen die Sklaverei die irischen Sitten kennenlernt, das passt weniger bei den Gedanken des Diplomaten, die weitgehend losgelöst vom Inhalt der Verhandlungen sind. Den Iren muss McCann da wohl nichts erzählen, aber mir hilft nur der Klick zum Lexikon.

Die Geschichte der vier Frauen-Generationen fängt mit der Auswanderin Lily dramatisch an.

Sie fühlte sich wie aufgeschlitzt. Die Duggan in ihr, jener längst vergangene Teil ihrer selbst, war nie auf den Gedanken gekommen, sie könnte irgendetwas besitzen, geschweige denn ein Gemälde. Sie war achtundvierzig. Sie lebte jetzt seit mehr als dreißig Jahren in diesem Land. Sie war Amerikanerin geworden. In welchem wirbelnden Augenblick hatte sie innegehalten und sich, ohne es zu bemerken, in eine andere Richtung gewandt? Zu welchem Zeitpunkt hatte ihr Leben seinen Sinn enthüllt? Sie konnte es nicht sagen. Sie war ein einfaches Mädchen gewesen, ja. Ein Dienstmädchen. In einem Haus voller schwieriger Dinge. Sie hatte seltsame Gespräche gehört. Über Demokratie, Glauben, Sklaverei, Güte, das Empire. Es waren Dinge, die sie nicht ganz begriffen hatte, doch sie hatten auf ein Anderswo gedeutet. «Und so bin ich fortgegangen. Ich wusste nicht, wohin. Ich hatte keinen Plan, Jon. Ich bin einfach fortgegangen. Und jetzt sieh mich an. Ein Gemälde. Du bringst mir ein Gemälde. Du legst mir ein Bild in die Arme.»
Wieder drückte sie ihr Gesicht an seine Brust. Er wusste nicht, wie er mit ihrem Weinen umgehen sollte. Sie schmiegte sich an ihn und fiel in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung.

Bei der Urenkelin Hannah verliert sich das Thema aber doch sehr in die Berichte vom Altern und den zunehmenden privaten Verlusten. Der Hund heißt Georgie. Der irische Rahmen ist lose gespannt, auch die drei Anfangskapitel sind zwar raffiniert, doch auch gezwungen mit der Chronologie der Frauen verknüpft. Ein über Jahre aufgehobener und vergessener Brief spielt hier den künstlich eingewobenen roten Faden.

Alle Personen sind sehr sympathisch, Mäner und noch mehr Frauen, die Neuland betreten, sich im Fremden zurechtfinden, sich übern den Ozean wagen. Die durchgehende Freundlichkeit lässt den Roman aber auch etwas eindimensional werden. „It’s hard to fault McCann’s fine sentiments, but really memorable fiction requires a little more ambiguity – some more grit in the oyster.” (Theo Tait, The Guardian)

Gewöhnen muss man sich an den Stil McCanns. Er reiht kurze und kürzeste Hauptsätze wie ein Mosaik aneinander, fast pointilistisch. Hat man sich einmal eingelesen, merkt man, dass sich auch mit den kurzen Blicken viel beobachten und trefflich beschreiben lässt.

Browns Frau Kathleen begrüßte sie an der Tür. Sie war dunkelhaarig und ernst. Hübsch – auf eine vorsichtige Art. Sie führte Emily in ein getäfeltes Wohnzimmer.
Er trug einen guten Anzug, doch sein Körper schien damit nicht vertraut zu sein.
Ein Hauch von Verfall, ja, aber nicht mehr als bei ihr selbst, dachte sie.
Er legte die Hand leicht an ihren Ellbogen und führte sie zum Sofa, bat sie, sich zu setzen, und zog einen Flechtstuhl heran. Er beugte sich über den niedrigen Glastisch, schenkte Tee ein und wies auf die Kanne, als könnte darin die Antwort enthalten sein.

2013 380 Seiten

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