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Ferenc Molnár: Liliom
Inszenierung: Stephan Kimmig
Ferenc Molnárs „Liliom“ stammt von 1909 – und man merkt der „Vorstadtlegende“ ihr Alter an. Liliom ist ein Strizzi, einer, der nirgends hineinpasst, der wenig kann und keinen gescheiten Beruf hat – was alles zusammengehört. Er ist Ausrufer beim Ringelspiel von Frau Muskat, doch weil die Madeln auf den Liliom stehen, wirft ihn Frau Muskat hinaus, sie will ihn für sich haben.
Julie ist Dienstmädchen. So viele andere Berufe hat es seinerzeit nicht gegeben für die Madeln. Die Zukunft bestand im Alte-Jungfer-Werden, es sei denn, man fand einen Burschen, der einen beschützt und durchbringt und – möglichst – nicht zu viel schlägt. Wie’s so kommt in den Legenden, treiben der atttraktive Nichtsnutz Liliom und Julie aufeinander zu, er hält sie um die Hüfte und sie kriegt das Kind. Der Liliom aber ist „kein Hausmeister“, also auch kein Familienmensch und Geld hat er auch keins. Er lässt sich von einem zwielichtigen Bekannten zum Raubmord am Kassierer Linzmann überreden. Doch das kann Liliom ebenso wenig und aus Verzweiflung auch darüber bringt er sich um und kommt in den Vorhimmel. Julie ist allein – mit dem Kind.
Liliom muss noch einmal auf die Erde. Nach 16 Jahren trifft er seine Tochter und bringt ihr einen Stern als Geschenk. Die Tochter aber weist ihn zurück: Sie darf von Fremden nichts annehmen.
Das Stück wurde viel gespielt, Liliom und Julie gelten als Paraderollen, Rodgers und Hammerstein haben ein Musical draus gemacht („Carousel“*). Henning Rischbieter nannte 1972 „Liliom“ anlässlich der Aufführung im Schauspielhaus Bochum ein „Rühr- und Effektstück“, das Rainer Werner Fassbinder als ahistorisches Melodram inszenierte, das aber einen „himmelweiten Unterschied zu des Halbungarn Horváths Volksstücken“ aufweise“. Molnárs Liliom ist weniger sozial angebunden, harmloser in Ausdruck und Geste, schnulzig. Der Schluss im Himmel ist nicht untypisch, auch Horváths „Der jüngste Tag“ findet keine andere Lösung. Heute probiert man, die Schmonzette den „kritischen Volksstücken“ der Fleißer, Horváth, Sperr, Kroetz anzuverwandeln und damit das Repertoire zu ergänzen. Kritik ist in die zweite Reihe gerückt. „Liliom“ hat keine Sozialkompetenz; es bleibt ein Schaustück.
Das Geschehen ist als genretypisch bekannt. In den Kammerspielen lässt es Stephan Kimmig nicht realistisch auf dem Jahrmarkt nachspielen, sondern hähert sich den „Schicksalen“ bedächtig. Steven Scharf steht am Anfang bloß da, allein, macht dann ein paar Tanzschritte, wartet, bis die Musik einsetzt. Erstaunlich moderne, funkige Disco-Musik, die immer wieder die Aktion übernimmt. Großes Theater wie schon bei Tennessee Williams‘ „Orpheus steigt herab“. Die übergroße Discokugel hängt als glänzender Stern am Bühnenhimmel, spiegelt das Ringelreihen und erdrückt die armen Liebesuchenden immer mehr. Liliom und die Madeln und die Polizei und Frau Muskat ziehen ihre Bahnen um dieses glitzernde Zentrum und auch das Publikum lässt sich von den Blitzen blenden. Liliom ist kein Filou mehr, sondern selbst ein sprach- und auswegloser Bursch, kein bisschen schmierig, man nimmt ihm fast die Liebe ab. Er grummelt, wo er keine genauen Worte hat, er weiß sich vor dem Ganoven Ficsur nicht zu helfen und auch Frau Muskat drängt ihn an die Wand. Steven Scharf darf Romantiker sein, wenn er sich vor seiner Julie hinkniet und ihr zärtlich die Schuhe bindet. Dann legen sie die Hände ineinander und fangen an zu tanzen. Ganz langsam, wie überhaupt die Inszenierung sich viel Zeit lässt, oft fast zum Stillstand kommt, kleine Gesten ausspielt („Theater(kunst)handwerks-Szenerien“ nennt das Christine Dössel in der SZ – aber schön ist es doch.) Anna Drexler ist als
Julie durchaus berechnend, sie sagt nicht zu allem gleich Ja, sie spielt mit Liliom „auf Augenhöhe“. Als ihre Tochter Luise tritt sie am Ende mit Shorts auf die Bühne und raucht Marlboro. Liliom hat bei ihr keine Chance. Sie verweigert den versöhnlichen Schluss, sie weist Lilioms Disco-Kugel-Stern zurück und dass Liliom beichtet, ein „Hallodri“ zu sein, lässt sie unbeeindruckt. Regisseur Kimmig streicht die Szene, wo Liliom auch die Tochter schlägt und es ihr vorkommt, als habe man sie gestreichelt. Das Stück wird aber nicht überzeugender, wenn man den ärgsten Kitsch herausnimmt.
Wie immer heitert man die Vorführung durch originelle Zutaten auf. Stefan Merki rollt mit dem Segway um die Bühne und schlurft als Frau des Fotographen slapstickmäßig ein paar Mal durch die Szene, Wiebke Puls verbiegt sich als notgeile Frau Muskat, Christian Löber und Marie Jung heiraten als beamtenanwärteriges spießiges Kontrastpaar im Lamettakostüm. (Als Julie seinen Namen hört: Wolf, erstickt sie fast in Lachen.) Nur Katja Bürkle, die sonst den Ficsur spielt, überließ ihre Rolle Wolfgang Pregler. Wenn man sich auf das gekonnte Spiel einlässt und das Thema nicht ganz ernst nimmt, findet man durchaus Gesprächsstoff.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 10. Oktober 2014
* Aus dem Musical „Carousel“ stammt der schnulzige Song „You’ll never walk alone”, den 1963 Gerry & The Pacemakers populär machten und den die Fans des FC Liverpool als Vereinshymne bei jedem Spiel anstimmen und der heute auch in der Bundesliga – etwa in Dortmund – gern zu Gehör gebracht wird. (When you walk through a storm | Hold your head up high | And don’t be afraid of the dark | At the end of the storm | There’s a golden sky | And the sweet silver song of a lark | Walk on through the wind | Walk on through the rain | Though your dreams be tossed and blown | Walk on walk on with hope in your heart | And you’ll never walk alone | You’ll never walk alone)
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