Nachrichten vom Höllenhund


Haenel
15. Oktober 2014, 17:35
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Yannick Haenel: Die bleichen Füchse

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Jean Deichel ist etwas über 43 hat seine Arbeit verloren, darauf seine Wohnung aufgegeben und ist in ein Auto gezogen, das sein Freund in der Rue de la Chine geparkt hat. Er streift durch die angrenzenden Viertel, trinkt Café und Wein in den Bistros und hält sich gern im Friedhof Père Lachaise auf, vor allem nachts. Der Ich-Erzähler beschreibt seine Tagesabläufe und macht sich Gedanken darüber, was man zum Leben braucht. Er reduziert sich immer mehr, verliert seine Kontakte, vernichtet sogar keine Identitätskarte, Was bleibt, ist Einsamkeit, das letzte Refugium der Freiheit, die Symbolfigur ist Becketts Godot.

So hat mich das Schauspiel dieser ersten Abenddämmerung durch die Windschutzscheibe hindurch aufgerüttelt. Jedes Mal, wenn die Sonne untergeht, wünsche ich mir nur eins: der vernünftigen Welt ein Ende zu machen. Ich möchte zu dieser Weite von Sternen gleiten, die am Himmel lachen und sich an der Dichte der Dämmerung berauschen. Bis zum Nichts will ich dieses rote und schwarze Funkeln trinken. Nur die Trunkenheit der Sterne entreißt mich der Schwere der Erdkugel.
Ich habe es schon gesagt: In jener ersten Nacht habe ich kein Auge zugetan. Ich hatte den Sitz ein Stück nach hinten geschoben, um die Beine auszustrecken, und die Lehne runtergestellt, um meinen Nacken anzulehnen. Ich hatte mich in den Mantel gewickelt, den ich Sommer wie Winter trage. Ich rauchte und dachte an nichts. Oder vielmehr doch: Ich dachte an einen Satz, den eine Sachbearbeiterin im Arbeitsamt zu mir gesagt hatte, als sie erfuhr, dass ich kein Telefon habe: «Sie dürfen aber nicht unerreichbar sein!» Jetzt, wo ich keine Adresse mehr hatte, war ich gänzlich unerreichbar.

Der Roman zerfällt in zwei Teile. Diese Poesie schlägt um, als der Erzähler in eine Menschenmenge gerät, die den Tod von zwei afrikanischen Flüchtlingen betrauert, welche von der Polizei in die Seine gehetzt wurden. Der Ezähler begeistert sich für den Trauerkult, fühlt sich in seiner Einsamkeit eins werden mit der Masse. Die Flüchtlinge sind markiert durch ihre fehlenden Ausweise, die „sans-papiers“, wenden das aber ins Positive, indem sie es in ihren Kult einbeziehen. Sie tragen Masken, die ihren Ursprung in den Ritualen der westafrikanischen Dogon haben, und verbergen damit bewusst ihre Identität. Der „bleiche Fuchs“ ist für die Dogon ein „Rebell, ein Geschöpf kosmischer Unordnung, der die Zerstörung in sich trägt“ (Franziska Wolffheim,SPIEGEL). Über ein Drittel des Buches wird diese Trauerkundgebung beschrieben und zum Fanal eines kommenden Aufstands gedeutet. Haenel knüpft an an das Manifest „Der kommende Aufstand“ , das 2007 unter dem Titel L’Insurrection qui vient in französischer Sprache mit der Autorangabe Comité invisible (Unsichtbares Komitee) erschienen ist.

Ja, wir tragen Masken: Sie verhüllen unsere Abwesenheit. Mit ihnen sind wir nicht wirklich da, und wenn ihr einen maskierten Kopf schlagt, wenn ihr anfangt, auf ihn einzuprügeln, findet ihr darunter vielleicht nur einen Luftzug, Pulver, Palmenspäne. Der Träger einer Maske existiert nur noch durch sie. Ihr müsstet das harte Holz verbrennen, um uns endlich zu finden, aber daran habt ihr nicht gedacht. Und wie sollte man auch eine Rinde verhören? Ihr bleibt stur dabei, uns hinter unseren Masken zu suchen, deshalb werdet ihr nie etwas finden. Wir haben jahrhundertelang geübt, unser Nichts zu erkennen: Genau das habt ihr uns doch gelehrt, oder? Aber dieses Nichts hat uns nicht geschwächt, im Gegenteil, wir haben es so weit verinnerlicht, dass wir unauffindbar geworden sind. Der Glanz des Morgentaus auf eurem mickrigen Rasen, das sind wir. Der Hauch auf den Scheiben, wenn eure Kinder aus Spaß ihre Münder dagegenpressen, das sind wir. Das Lächeln über den Staub, der in einem Lichtstrahl schwebt, gilt uns. (…)
Wir tragen diese Masken nicht, um uns zu verstecken, sondern um unsere Trennung zu ritualisieren. Zwischen eurer Welt und uns gibt es nichts Gemeinsames. (…) Ihr werdet uns doch wohl nicht nach unseren Papieren fragen – vergesst nicht: Genau die verweigert ihr uns. Eurer Meinung nach ist unser Status hier nicht regulär, was euch nicht daran hindert, uns auszunutzen.
Wer wir sind? Vor allem das, was ihr Fremde nennt. Das ist es, wir sind fremd. Hört ihr uns deshalb nicht? Vergesst nicht: «Du sollst den Fremdling lieben wie dich selbst, denn auch ihr seid Fremdlinge gewesen.»

Ein Gespenst geht um in Frankreich, das Gespenst Afrikas.“ Im langen zweiten Teil des Romans taucht der Erzähler ein in die pathetisch-distanzlos empfundene Feier des brennenden „Aufstands“ der Masken. „Ein unerwarteter Himmel strömt über vor Sternen, die einem den Atem rauben.“ Das ist Flugblatt-Poesie, der Roman wird im Überschwang des Dabeisein-Dürfens – Ich bin ein Afrikaner – ausgetrieben. Keine Einforderung von Aufklärung und Demokratie und Menschenrechten, sondern die Mystifizierung einer Gegenöffentlichkeit, die unter dem Masken-Kult der afrikanischen Dogon die Masse der Einsamkeit feiert. Aber Freiheit kann nur dort sein, wo man sein Gesicht zeigen kann.

Als Roman belanglos bis ärgerlich.

2013 190 Seiten

Leseprobe beim Rowohlt-Verlag


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