Nachrichten vom Höllenhund


Göritz
18. Oktober 2014, 19:24
Filed under: - Belletristik

Matthias Göritz: Träumer und Sünder

goeritz

Helmut Erlenberg, ein oder der deutsche Filmproduzent, hat noch ein Projekt, das er realisieren will: einen Film über den „Überfall auf den Sender Gleiwitz“, mit dem die Nazis den Anlass für den Beginn des 2. Weltkriegs schufen. Ridley Scott soll Regie führen, Nicole Kidman die weibliche Hauptrolle spielen. Die Redaktion schickt ihren jungen Journalisten Velder Dierks zu Erlenberg, um sich Material über den alten, legendären Produzenten zu verschaffen, der sich seit langem aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Velder Dierks trifft auf einen gesprächswilligen alten Mann, der sein Leben und seine Meinungen zum Film, zum Filmbusiness und über GottunddieWelt ausbreitet. Deer Journalist, im Roman meist nur „der Interviewer“ genannt, stellt kaum Fragen, lässt Erlenberg schwadronieren und gewinnt so das Vertrauen, ja die Zuneigung des kranken alten Tycoons. Man wundert sich, weshalb?

„Matthias Göritz erzählt in „Träumer und Sünder“ von einem Leben fürs Kino und mit dem Kino, vom Krieg und von seinen Profiteuren, von Lust und Schrecken, die in Bildern stecken, und davon, wie man aus Bildern Geschichte und Geschichten macht.“ Sagt Denis Scheck, und Denis Scheck sagt auch :“Vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue“. Im Mittelpunkt stehe Herlmut Erlenberg, „eine Mischung aus Karl Lagerfeld und Billy Wilder, meinungsstark und pointensicher, ein Ein-Mann-Feldzug gegen teutonische Schwermut und bräsige Biederkeit, für den Angela Merkel aussieht, Zitat, ‚wie eine Bulldogge in der Menopause’“.

Erlenberg ist nicht sympathisch, wirkt aber ehrlich und auf seinen Nachruhm bedacht; er kennt alle aus dem Filmgeschäft und beeindruckt damit nicht nur den Reporter, sondern auch den Leser. Der Text ist eine beinahe ununterbrochene Suada Erlenbergs, ein Essay über Film und Politik, pro forma in Romanform gekleidet, der „Interviewer“ erhält nur wenig Eigenleben. „Irgendetwas zwischen Biografie, Filmessay und Zeitporträt sollte es werden, keine Romane bitte, man wolle ja wirklich verkaufen. Und er hätte ja auch selber «Medienpotenzial».” So Erlenberg, so Göritz. Es ist dann doch der Roman geworden, man will ja verkaufen. Ein Text, interessant nicht der Handlung wegen, sondern für Filminteressierte, die sich vom “Insider” bequatschen lassen wollen. „Freilich fragt man sich beim Lesen zunehmend, warum man das liest. Wo ist der Roman?“ (Gertraud Lehnert, Deutschlandradio Kultur) “Es ist ein Filmseminar auf Volkshochschul-Niveau.“ (Tobias Becker, SPIEGEL) – „Ein unterhaltsames Wunderbuch“ (Denis Scheck) Hat er es gelesen?

«Beim Dreh von Wenders/Antonioni – so war damals unsere Vermarktungsstrategie, ein künstlerisches Doppel – war ich nur selten dabei, ich hatte zu der Zeit eine andere Produktion laufen. Ich weiß noch, wie böse Michelangelo wurde, wenn es nicht so lief, wie er wollte. Sie hatten ihm einen Stift gegeben, und mit der linken Hand malte er zittrig immer etwas auf den Block, den ihm seine Assistentin reichte, und Wenders kam dann und versuchte, sich mit ihm zu besprechen, Wim französisch, Antonioni mit Zeichen, Bildern, Blicken oder mit Enrica, die sich beim Dreh aber insgesamt doch eher zurückhielt. Er mochte die Idee wohl nicht, Antonioni, dass Wim die Übergänge zwischen den vier Episoden mit Malkovich drehte, ehrlich gesagt, das wurden auch wirklich nicht gerade die stärksten Passagen des Films. Ich war auch von Anfang an skeptisch.

So ein richtiger Erfolg wurde das Ganze dann nicht, aber was macht das schon, wenn man bei so was dabei ist. Dazu gehört auch Respekt. Noch einmal mit einem Genie arbeiten, so hat der Wenders das immer genannt. Na ja, Genie. Für mich war das eher der Hitchcock. Aber persönliche Vorlieben muss man auch mal beiseitelassen.»
Der alte Mann betrachtete noch einmal erfreut sein Spiegelbild mit Mütze, wobei er bemerkte, dass die Krawatte noch nicht korrekt saß. Er schnippste ungeduldig mit den Fingern, und der Interviewer reichte ihm aus dem Schrank noch die silberne Krawattennadel.

«In der Kunst gibt es ja kein richtig oder falsch, es gibt nur ein gut oder schlecht. Etwas funktioniert, und die Aufgabe der Kritiker ist es, herauszufinden wie und warum. Den Künstler interessiert nur die Tatsache, dass es geht. Das stammt nicht von mir, das sagen sie alle. Ich … Helfen Sie mir mal mit dem Windsor? Ich habe heute Morgen einfach nicht genug Kraft in den Fingern, danke! Ist das Gigli, das Sie benutzen? Steht ihnen! Ich mag diesen fröhlichen Zitrusgeruch von gewöhnlichen Parfüms einfach nicht, viel zu aufdringlich, aber so ein bisschen etwas Verspieltes … Wunderbar sieht das aus, danke. So, jetzt können wir auch gleich. Ralph? Bist du wieder da? Waren die Carabinieri in der Bar? Und die krumme Hure? Fantastisch, ja, wie bei Edward Hopper. Danke, Ralph, ja, wunderbar die Croissants, ich stecke uns zwei ein, du kannst uns ja zur Sicherheit folgen.

Matthias Göritz erhielt 2011 für das Romanprojekt den Robert-Gernhardt-Preis. Ein “Gesprächsroman” sei es geworden. Robert Gernhardt kann sich nicht wehren.

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