Jean-Luc Bannalec:
Bretonische Brandung
Solenn Nuz begrüßte ihn mit einem doppelt warmen, doppelt aufmunternden Lächeln, als würde sie ihm signalisieren wollen, dass sie wisse, welche Tortur die Nacht gewesen war. Sie sah blendend aus, ausgeschlafen, in bester Form, sie war wirklich eine schöne Frau. Sie stand genau dort, wo Dupin sehnsüchtig hinsteuerte, bei der großen Kaffeemaschine.
»Petit café?«
»Doppelt.«
Sofort machte sie sich an der Maschine zu schaffen. Der himmlische Klang wurde von Dupins Handy gestört. Unwillig warf er einen Blick auf die Nummer. Kadeg. Natürlich.
»Einen Moment.«
Dupin steuerte zur Tür und trat hinaus. »Ja?!«
»Sie waren den ganzen Abend nicht zu erreichen, Monsieur le Commissaire. Bis spät in die Nacht nicht.« In Dupins Ohren klang das vorwurfsvoll. »
Was gibt es, Kadeg?«
Damit ist ein Großteil der Aktivitäten des Kommissars Georges Dupin beschrieben. Er ermittelt den Fall dreier bei einem Bootsunfall ums Leben gekommener Männer, die auf dem Sand der Inseln des bretonischen Mini-Archipels Lés Glénan gefunden wurden. Dupin ist nicht gern auf dem Wasser, fährt nur sehr ungern mit auf dem Boot, er braucht viele viele cafés und isst fast alles, gerne Hummer, denn der bretonische ist natürlich der beste, auch mal eine Cotriade, den südbretonischen Fischtopf, am liebsten aber Entrecôte frites mit einem schweren roten Languedoc, Château Les Fenals im Amiral in Concarneau. Er ist damit genügend eigensinnig, aber sympathisch charakterisiert. Der Leser mag ihn und er darf auch die viele Guten mögen, viele der Bösen sind ja schon tot. Das Zentrum der Ermittlungen ist das Restaurant Les Quatre Vents auf der Insel Saint-Nicolas.Etwas schwarzweiß sind die Personen schon eingeteilt im blauen Archipel. Und es passiert auch recht wenig, denn Dupin ist eben meist mit seinem Handy beschäftigt und gibt damit die Anweisungen. Gottseidank gibt es auf den kleinen Inseln oft keinen Empfang, was die Ermittlungen aufhält, den commissaire aber allein sein lässt mit seinen Gedanken – deren er sich nicht immer ganz sicher ist.
Der Unfall stellt sich schließlich als Mord heraus, die Motive liegen in unterschiedlichen Vorstellungen von der Entwicklung des Tourismus auf den Glénan, also im Geld, aber diese Gewissheit erhalten Dupin und die Leser erst sehr spät im Roman. Deshalb lässt die Spannung auch nicht nach, obwohl die Aufklärung oft auf der Stelle tritt.
Dupin fiel das alles schwer. Dieser Fall. Die »Auflösung«. Auch seine eigene Entscheidung. Die Entscheidung, es bei dem zu belassen, was formuliert worden war. Was aber nicht der Wahrheit entsprach, da war Dupin sich sicher. War das richtig? Er dachte an den alten Mann. Er dachte an Solenn Nuz. An Nolwenns Worte. Dass die Glenan ihr Reich seien. Ein magisches Reich. Und daran, dass Solenn Nuz einen Traum gehabt hatte, gemeinsam mit ihrem Mann. An diesem Ort zu leben. An ihrem Ort. (…) Dupin war klar, dass er es sich zu einfach machte, wenn er die Frage nach dem »richtig« als die »falsche Frage« abtat. Denn es war eine grundlegende Frage, aber: Vielleicht war es nicht die einzige? Oder es gab zwei wahre Antworten.
Natürlich liegt der Reiz des Romans auch im Flair des Schauplatzes. “Die sagenumwobenen Glénan-Inseln wirken mit ihrem feinen weißen Sand und kristallklaren Wasser wie ein karibisches Paradies.” (Klappentext)
Es war tatsächlich wie in einem wunderlichen Traum. Madame Lefort hatte mit der Vollmondnacht nicht übertrieben. Es war eine ganz neue Welt, die dieses andersartige Licht mit seinen fremden Farben hervorbrachte. Eine Welt in einem fernen Universum, mit anderen Gesetzen und Gegebenheiten. Der Mond schien mit einer silberweißlichen Kraft, die Dupin, da war er sich sicher, noch nie erlebt hatte. Wie am Tag das Sonnenlicht wurde jetzt das Mondlicht vom Meer reflektiert. Es war hell, richtig hell. Aber es war nicht die Helligkeit des Tages. Die ganze Welt sah verändert aus: die Felsen, der Strand, die kleine Steinmauer vor Muriel Leforts Garten. Das Licht warf diffuse Schatten, die sich an den Rändern verbanden. Die Mondwelt und die Dinge in ihr glänzten matt, ein Glänzen zwischen Geheimnis, Schönheit und Unheimlichem. Das Verrückteste war das Meer: eine vollkommen bewegungslose, wie eingefrorene quecksilbrige Fläche, in die hinein sich die bizarren schwarzen Formen der Insel schoben. Es war eine perfekte mystische Szenerie. Wenn man Groac’h, die Hexe der Schiffsuntergänge, hier und jetzt über das Wasser hin zu ihrem sagenhaften Palast schweben sähe, es würde ganz natürlich wirken.
Dupin war ein paar Meter gegangen, hatte bereits das Handy am Ohr gehabt und war dann unwillkürlich stehen geblieben. Alles schien unendlich – auch die Stille, die jetzt noch mächtiger war als am Tag. Selbst das Meer war nur ein stetiges, gleichförmiges und harmonisches Rauschen.
Dupin steuerte geradewegs auf die Bar zu und ließ die beiden Inspektoren buchstäblich links liegen. Was zu verdutzten Blicken führte. Er brauchte überaus dringend einen café. Und ein großes Glas Wasser. Nach dem Verlassen der Bakounine hatte mit einem Schlag das heftige Gefühl eingesetzt, dass die Welt, obwohl er jetzt festen Boden unter den Füßen hatte, noch schlimmer schwankte als auf dem Boot.
Jean-Luc Bannalec soll ein Pseudonym sein für Jörg Bong, Programmgeschäftsführer der S. Fischer Verlage.
2013 380 Seiten
1 Kommentar so far
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und nicht vergessen: die Glenans bestehen aus Muschelkalk. Wenn Du hinfährst, vergiss die Sonnenbrillen nicht….
Kommentar von Andi 26. November 2014 @ 19:54Mir gefällt die Kombination Krimi und Beschreibung von Land und Leute ganz gut. Wenn Dich das Salz der Bretagne interessiert, dann empfehle ich den 3. Roman des Autors.
Viele Grüße, Andi