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Ilona. Rosetta. Sue.
Nach Filmen von Aki Kaurismäki,
Luc & Jean-Pierre Dardenne, Amos Kollek
Inszenierung: Sebastian Nübling
Das Problem wird mir im Grundsatz klar: Arbeitslosigkeit. Prekäre Lebensverhältnisse. Überlebensschwindeleien. Bürokratie. Soziale Verarmung. Das Geld regiert, die Frauen müssen’s ausbaden. Im Detail hab’ ich so manches übersehen, überhört, nicht zusammengedacht. Wer gehört zu wem? Wer hat jetzt die debile Mutter? Wer tanzt gegen wen? Wer spricht gerade?
Natrürlich liegt es an meiner mangelnden Konzentration, doch für Beinträchtigung der Aufmerksamkeit sorgt auch die Überblendung von drei Filmbiographien, aber auch die Übersetzungstafel, auf der die meist in prekärem Englisch (aber auch Estnisch, Französisch, Deutsch und Lingala (?)) gesprochenen Texte ins Deutsche übertragen werden. Man müsste da nicht hinschauen, tut’s doch, um nichts zu versäumen und versäumt dann doch Wichtiges. Etwa den Blick auf die Frau, die gerade ins Mikrofon spricht. Nicht jede der Frauen steht vorn an der Bühne, der Großküchen-Spültrog reicht weit in den Rückraum.
Sebastian Nübling hat schon “Three Kingdoms” inszeniert, eine multisprachige deutsch-englisch-estnische Koproduktion. Eine erfreuliche Spezialität der Kammerspiele. Diesmal sind es drei thematisch ähnliche Filme von Aki Kaurismäki, Luc & Jean-Pierre Dardenne und Amos Kollek, die destilliert werden. Aus den Schicksalslinien werden Parallelen, die Handlung schreitet nicht mehr fort, weil es bei Nübling keinen Fortschritt mehr gibt, kein Licht am Ende des Kapitalismus. Die Frauen werden gebeutelt ausführlich und mit den üblichen Knüppeln. „Wir wollen verdeutlichen, „was es heißt, seinen Job zu verlieren und damit sein Beziehungsnetz, seine soziale Verankerung“.
Es gibt für die „Aussortierten“ (Petra Hallmayer, SZ) keine Kredite, um ein eigenes Lokal zu eröffnen, die Arbeitslosen-Verwaltung teilt zynisch ihre Nummernzettel aus, nichts sonst, man muss den Nächsten wie sich selbst betrügen, um seinen Untergang ein wenig zu verzögern. Die Aussicht ist trübe, die Abservierten sind hilflos. Tänze, Kopfstände, Balgereien, Gewichse, billiger Sex, Alkohol. Zum Jammern.
Mit einer schönen Szene startet der Tanz in den Abgrund. Auf einer langen Großküchenzeile schaben die Darsteller synchron Karotten. Nicht das, was man sich vom Leben erträumt, doch sogar aus dieser Sozialaktion wird man brutal entlassen, herzlos über die Spüle entsorgt. Das Miteinander hat sich erschöpft, man steht vor dem Nichts, liegt auf dem Boden. Es beginnen die Demütigungen. Sue (Wiebke Puls) läuft mit ihren Qualifikationen (was musste sie auch Psychologie studieren!) ins Leere, in ihrer Isolation versucht sie sich an Männer zu verkaufen (zu einem lächerlichen Preis – nur Ben aus Minnesota bringt ein wenig Wärme mit, aber wieso spricht ausgerechnet Rasmus Kaljujärv ein östlich gefärbtes Deutsch?), um überhaupt eine Ansprache zu haben, ruft sie die Auskunft an. Rosetta (die agile Mirtel Pohla) leidet unter ihrer alkoholkranken Mutter und wäscht ihr doch aufopfernd dei Haare in der Spüle (in der sie bald selbst sitzt – lustig), Ilona (Starlette Mathata – schwarz) phantasiert mit ihrem Lauri (Steven Scharf – dominant) vom eigenen Lokal „Honolülü“, provoziert aber nur ein paar Lacher. Die Männer sind, wie auch sonst, keine Hilfe, sie taugen nicht mal zum Anlehnen.
„Politisches Aufklärungstheater“ (Rosemarie Bölts, Deutschlandfunk) für ein schon aufgeklärtes Publikum. Das Mikrofon als Ersatzobjekt. Wenn die Botschaft angekommen ist, reihen sich die gesammelten Klagen als oft redundante Bilder. Nübling hat sie ausgewählt choreografiert, doch dominiert der Erkenntnis vermittelnde Leerlauf. Gesänge, Getanze, Mikrofonballette. Sylvana Krappatsch (Riquet, Lola, Linda, Amt, Büro, Callcenter) macht Kopfstand und turnt an den Neonlampen. Schön und gut, aber warum? Der „Sprachenmix“ hat keinen „höheren Erkenntniswert“ (Hannes S. Macher, Donaukurier), dient bloß der Internationalisierung der Produktion. Da verliert sich „das Einzelschicksal im cool arrangierten, sportiv choreografierten Neben- und Durcheinander“ (Christine Dössel, SZ).
Das Paar in der Reihe vor mir hat sich oft aneinandergebeugt und mir die Sicht versperrt. Ich hab’ wohl nicht viel versäumt.
Kammerspiele München – Aufführung am 28. November 2014
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