Nachrichten vom Höllenhund


Der Vorname
7. Januar 2015, 17:25
Filed under: Theater

Matthieu Delaporte
und Alexandre de la Patellière :
Der Vorname

Inszenierung Constanze Kreusch

Das Theater Regensburg bietet die Boulevard-Komödie im Abonnement und so muss man über das Genre nicht die Nase rümpfen. Zeitgeist-Boulevard ist in: Yasmina Reza, Moritz Rinke – in Regensburg: Wir lieben und wissen nichts – : eine Prise Mittelschicht-Supervision, wobei an den existenziellen Problemen vorbeigelacht werden kann, eine Handvoll vorname12Bonmots, als Esprit gedeutet, man amüsiert sich über Seinesgleichen, darf über seine intellektuellen Untiefen schmunzeln und endlich mal die PC zu Hause lassen. Boulevard lebt vom charmanten Tabubruch, am Ende mögen wir uns alle wieder. War ja bloß ein Missverständnis.

Christian Muggenthaler vermisst den fehlenden Ernst, die „dem Text innewohnenden Untiefen“ und missversteht die dem Genre eigenen Konstellationen. „Jede Verletzung wird zum Witzchen, jeder Schmerz zum Scherz. Konflikte sollen weggelacht werden, was schade ist.“ So ist das halt, nicht nur in Regensburg. Ich finde im Stück aber auch nichts, was hätte Anstoß verbreiten können, es gibt keine politisch brisante Ebene, der „Terror“ ist privat. Wie bei jedem Genre werden die Basic-Zutaten variiert: Missverstehn, Situationskomik, Verve, wohldosierte Frivolität. Die „Mechanik der Dramaturgie mit steten Überraschungen und Verwechslungen (ist) wichtiger ist als eine genaue Zeichnung der Figuren oder ein „literarischer Gehalt“. (wikipedia)

Die Mechanik kriegt Regisseurin Constanze Kreusch gut hin, sie findet das richtige Timing, setzt, unterstützt von Petra Wilkes Bühne und Kostümen, charmante Akzente. Ich kann meine Nase ungerümpft lassen – auch beim marokkanischen Bauchtanz-Intermezzo. Es passt.

vorname145 Menschen treffen in gehobenem Mittelschichtambiente aufeinander, für einen Abend ohne Ausfluchten. Angesagt ist eine Themenparty, Ausstattungsvariation Orient. Der Small-Talk will ausgehebelt werden, das Spiel mit den im Witz veschleierten Wahrheiten muss kippen, man ist grundtolerant – solange man auf Seiten der Themensetzer steht. Vincent startet mit dem Joke, sein noch ungeborener Sohn solle Adolphe (Adolf !) heißen. Alle fallen darauf ein und über ihn her. Literaturprofessor Pierre, der Gastgeber, echauffiert sich in politischer Erhabenheit, verliert aber seine Kontrolle, als ihm selbst vorgeworfen wird, seine Kinder aus purer Egomanie Athina und Adonas (Namen im Original anders) genannt zu haben. Und dann vorname13geht’s Schlag auf Schlag: Familienfreund Claude wird verdächtigt, schwul zu sein (eine Pflaume – ein auf Deutsch recht ungelenkes Wortspiel), in die Enge getrieben muss Claude zugeben, mit Françoise, der Mutter von Vincent und Babou, Pierres Frau, liiert zu sein „Er schläft mit Maman !“- Tabu Tabu!). Das Sag-die-Wahrheit-Spiel explodiert in Babous Befreiungskaskade, ihr Mann habe sie stets nur benutzt und sich auf ihre Kosten profiliert. Aber solche Ausbrüche kennt man schon.

Wichtig beim Boulevard ist die Klimax, sonst wird’s langweilig. Das unvermutet Böse muss eskalieren. Bevor alles auseinanderfliegt, werden die Wahrheiten als Missverständnisse rückgedeutet, die Oberfläche glättet sich, alle haben sich wieder lieb – bis zur nächsten Aufführung. Langer Applaus. Wir haben uns geläutert und amüsiert.

Ein Abend für das Ensemble. Ulrike Requadt ist im Mittelalter angekommen und weiß das mit Schwung und Dominanz für ihre Babou zu nutzen. Michael Haake spielt ihren Mann Pierre schon zu Beginn recht laut und wird in seiner Erregung fast schrill. Frerk Brockmeyer ist das Zentrum der Hinterhältigkeiten, er freut sich, das Gespinst der Sticheleien in Gang vorname11zu halten und wirkt dabei auch deshalb so überzeugend, weil er so harmlos aussieht. Weniger Text haben Gunnar Blume als Claude und Andine Pfrepper als Vincents Gefährtin Anna. Claude rückt erst in dem Mittelpunkt, als er sich gegen den Verdacht, schwul zu sein, nur wehren kann, indem er die tabuisierte Beziehung zu Françoise offenbar macht. Noch leiser ist Andine Pfrepper, villeicht weil ihre Anna schwanger ist, vielleicht auch, weil sie etwas außerhalb des langgepflegten Beziehungsgeflechts steht. Kriegt sie einmal eine Paraderolle? Die Bühne am Bismarckplatz ist sehr tief, im hinteren Teil agiert nur hin und wieder Babou und lässt die Speisen in der stylishen Küche Dampf ausspucken. Auf der kleineren Bühne würde das Zimmerstück die Darsteller noch enger aufeinanderrücken. Aber ins große Theater passen mehr Besucher.

P.S. Die zwei Kinder der Gastgeber leiten den Abend ein und aus. Den Plastikkoi habe ich übersehen.

Theater Regensburg – Aufführung am 4. Januar 2015

Fotos: Sarah Rubensdörffer


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