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Warum läuft Herr R. Amok ?
Nach einem Film von Michael Fengler und Rainer Werner Fassbinder
Inszenierung: Susanne Kennedy
„Ich bringe sie um. Morgen bring ich sie um.“ Bei Loriot ist es das zu harte Ei, Herr Raab erträgt die Familie, das Büro, die Nachbarn nicht mehr, bis der Mord aus ihm herausbricht. Er war immer ein ruhiger Mann und er ist immer noch ruhiger geworden. Dem trivialen Gerede seiner Mitmenschen, ihrer Oberflächlichkeit war er nicht gewachsen. Auslöser ist die Nachbarin, die hemmungslos von ihren „Erfolgen“ und „Abenteuern“ beim Schifahren erzählt. Herr R. war kein Schifahrer. Er nimmt die Engelsstatue und schlägt sie der Nachbarin auf den Kopf. Drei Mal, abgezählt, äußerlich beherrscht. Mit einem dreifachen „A“ sinkt die Nachbarin zu Boden. Dann sind Frau und Sohn an der Reihe. Sie laufen nicht weg, auch sie haben keine Energie. Herr R. geht aufs Klo und antwortet nicht mehr. Er hat nie gewortet. Auch das ist ein Ende.
Man weiß wenig über Herrn R. Er sagt ja nichts, findet keine Worte. Knappe Szenen zeigen ihn in seiner bemühten Hilflosigkeit. Schweigend hört er sich beim Elternsprechtag die Floskeln der Lehrerin an, die ein ums andere Mal ihren Rock geradezieht. Zu Hause übt er mit seinem Dingsda-Sohn die Aussprache des „sch“. Skurril mischt sich bei diesem ein Pfeifton ein. Bei der Betriebsfeier will Herr R. die Gemeinschaft stärken, indem er dem Chef die „Bruderschaft“ anbietet. Die Versammlung erstarrt, die Beförderung ist verloren. Herr R. hat die Sozialkompetenz nicht drauf. Auch die Frau des Chefs ist sich unsicher; skurril, wie sie gehemmte Tanzschritte andeutet. Der Zuschauer muss Zeuge sein. Rührend, wie Herr R. im Plattenladen immer wieder nach einer bestimmten Aufnahme fragt, die er nur in Melodiefetzen vorsingen kann. Die Verkäuferinnen erstarren ratlos. Skurril, wie Herr R. in Mikroszenen allein auf der Bühne schüchtern sein „di da da“ skandiert. Als er das Lied, zu dem er seine Frau das erste Mal geküsst hat, nach Hause bringt, fragt die Frau: Weshalb hast du mir das geschenkt? und weicht vor ihm zurück. Eine Erinnerung ist kein Ersatz für eine Beförderung. Mit Mitleid ist ihm nicht zu helfen. Auch darum läuft Herr R. Amok.
Susanne Kennedy seziert das Drama des Herrn R,. Die minimalistischen Szenen wirken wie eine Abfolge retardierender Momente. Je stärker die Handlung aufgehalten wird, desto sicherer mündet sie in die Katastrophe. Auch als Zuschauer entkommt man der Qual nicht. Man erlebt jeden Stich mit, kann nicht wegsehen, der Sog ist zu groß. Handlung, Gesten, Worte – alles wird aufs Elementarste reduziert. Die Schauspieler führen nicht vor, der Zuschauer muss aktiv miterleben. Nach der Aufführung wird man sich die einzelnen Tableaus erzählen. Wie bei Marionetten ruckeln die Gesten und bleiben stecken, auch die Sätze münden ins Nichts, die Kommunikation stammelt. Die Bewegungen der Augen sagen mehr, suchen mehr. Immer wieder geht der verständnislose Blick ins Leere des Zuschauerraums. Nur die Schwätzer haben längere Texte.
Auch die Bühne ist karg, kein Lebensraum. Holzgetäfelt wie eine Sauna, ein resen täuscht den tristen Partykeller vor, das „Wohnzimmer“ untercheidet sich nicht davon. Ein Gummibaum steht links, wird gegossen, gegen Ende fällt er um. Zu viel Symbol? Man fängt an, Nuancen zu deuten, allem einen Sinn zuzuschreiben. Kürzestszenen fügen sich zur Antwort auf die Titelfrage. Nach jeder Szene senkt sich der Vorhang. Das nervt, bremst, man gibt auch diesem Element eine dramaturgische Bedeutung. Auf den Vorhang ist der Bühnenraum projiziert, gedoppelt. Was ist noch authentisch? Herr R. und seine Frau werden von mehreren Schauspielern gespielt, alle tragen transparente Masken vor dem Gesicht. Gesprochen wird im Playback nach Stimmen von Laien. Mehr Entpersönlichung, mehr
Stilisierung, mehr Artifizialität geht nicht.
Susanne Kennedy lotet die Möglichkeiten der Reduktion aus – noch radikaler als bei Marieluise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“. Ein Loriot-Abend mit Zombies. Das Lachen kippt ins Absurde. Zum Gruseln. Am Ende tanzt eine Frau zu Eric Claptons „Let it grow. Let it blossom. Let it flow“ als schwebe sie empor.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 9. Januar 2015
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