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Marie NDiaye: Ladivine
Marie NDiayes Thema ist die Verwurzelung – als Segen und Fluch. Ihre Heldinnen wollen weg, sie schaffen es aber nicht, sich von ihrer Heimat, ihrem Land, ihren Vorfahren, ihren Traditionen und Kulturen, ihrer Hautfarbe zu lösen. All das scheint unüberwindbar zu sein, ein klebriges Hemmnis, ein eingeborener Fluch zu sein, den man mit sich trägt, wohin man auch geht. Die Herkunft bietet aber auch die Sicherheit des und der Vertauten, Anlehnung, Zugehörigkeit gegen die Vereinsamung im Exil. Es scheint keinen Stillstand zu geben, keine Möglichkeit, den Riss zu kitten, der durch die Person geht, der ihre Gefühle zum Vibrieren bringt und sie spaltet. Die Emotionen borden über, der „innere Aufruhr“ erdrückt die Person selbst und macht den Umgang mit ihr schwer erträglich. „Wahrscheinlich, nahm sie an, hatte er sich vielmehr damit begnügt, ihr mit hilfloser Gereiztheit zuzuschauen, um sich dann abzuwenden und zu denken, es sei das letzte Mal, daß er Clarisse Rivieres übermäßige Zuvorkommenheit und diese naive, entrückte, erschütternde Zärtlichkeit zu ertragen hätte.”
Das Spielfeld ist in Drittel aufgeteilt, drei Territorien, zu denen sich ein weiteres Feld gesellt: die Phantasie, die Traumwelt, die Erzählung.. Schauplatz eins ist der „schwarze“ Kontinent, der Dschungel, das Archaische. Die Frauen riskieren ihr Leben und ihre Mitte, um von dort wegzukommen, weg von den beengenden Traditionen, weg von der materiellen Not, weg nach Europa. Nirgends liest man so eindringlich von den unüberwindbaren Grenzzäunen wie in Marie NDiayes „Drei starke Frauen“ von 2009. In „Mein Herz in der Enge“ (2008) lebt die Frau in Bordeaux, doch die Stadt verweigert sich ihr, uieht sich vor ihr zurück, ist weder intuitiv noch rational zu fassen. Sie findet kein Zuhause, auch wenn sie ihre Eltern verleugnet. Frankreich ist europäisch, aber auch mediterran, könnte so zum Refugium für die aus Afrika entwurzelte Frau werden, dem Traum wohnt aber der Albtraum inne.
Im Roman „Ladivine“von 2013 führt die Flucht ein Feld weiter, nach Berlin, nach Deutschland. Dieses durch und durch verplante, rationalisierte Land scheint der gesuchte Gegenpol zur Archaik zu sein, aber dort kann man nicht „leben“ oder nur, wenn man dafür sozialisiert ist, wenn man „deutsch“ geworden ist, wenn man Phantasie und Gefühle – samt ihren unkoordinierbaren Schwankungen – an der Grenze abgegeben hat.
Das ist der Lebensweg von Ladivine, die ihren Vornamen von der Großmutter hat, das ist auch der Lebensweg von Marie NDiaye, die mit ihrer Familie in Berlin lebt. Der Roman beginnt mit Ladivines Mutter, die als „Malinka“ (die Dunkle) geboren ist und sich „Clarisse“ (die Helle) nennt, den Spagat aber nicht aushält und von ihren ambivalenten Gefühlen „zerrissen“ wird: „Eine Welle von Sympathie beklemmte ihre Brust.” Auch ihr Mann Richard Rivière fühlt sich überfordert und verlässt sie.
Tochter Ladivine heiratet nach Deutschland, ihr Mann heißt Marko Berger, die Kinder nennen sie Annika und Daniel. Tochter und Mutter verlieren sich aus den Augen, nicht aber aus dem Sinn. Ihr Mann und mehr noch dessen Eltern sind pragmatische Spießbürger, denen Gefühlsregungen fremd sind und Angst einflößen. Ladivine ist soweit wie möglich weg von ihren Wurzeln, doch auch das hält sie nicht aus. Marie Ndiaye spielt das exemplarisch an zwei Urlauben vor. Der schon zur Gewohnheit gewordene jährliche Familienurlaub führt in einen „Mobilheim“ in Warnemünde an der Ostsee.
Die vorigen Sommer hatten sie immer bei Markos Eltern in Lüneburg und auf einem Campingplatz an der Ostsee verbracht, und das war eine vernünftige und für eine Familie wie sie vollkommen passende Art, in Urlaub zu fahren, und keiner von ihnen hatte je laut bedauert, daß es aber doch sehr eintönig und letztendlich fast unerträglich langweilig war, weshalb auch dieser Sommer genauso hätte verlaufen können, zwischen dem Haus der alten Bergers, wo es stillschweigend verboten war, ohne Hausschuhe herumzulaufen, laut zu reden und später als acht Uhr aufzustehen (und sie, Marko und sie selbst, fühlten sich dafür verantwortlich, daß die Kinder diese Regeln befolgten, auch als diese noch ganz klein waren, und rieben sich damit auf, sie am Krachmachen zu hindern und sie immer von ihrer schmeichelhaftesten Seite zu zeigen vor den beiden Alten, die sie unbedingt, ohne recht zu wissen warum, auf ihrer Seite haben wollten, (…) auch wenn es letztlich so war, daß Marko und sie den ganzen Tag damit zubrachten, auf den Abend zu warten, auf den Aperitif, das Essen, mit jener leichten Anspannung, jener gespielten, elektrisierten Unbekümmertheit, die von den lange Stunden der erzwungenen Muße am windigen Strand herrührte, vom engen Zusammenleben, dem ständigen Beaufsichtigen der Kinder, von dem Gefühl der Sinnlosigkeit, das sie immer wieder überkam, wenn sie sich dabei ertappten, das Ende der Ferien, die Rückkehr nach Berlin, die Wiederaufnahme der Arbeit und den Herbstbeginn herbeizuwünschen, während sie sich doch in Wirklichkeit nichts von alldem wünschten, sondern einfach nur, der Trägheit, der Leere von Warnemünde zu entkommen.
Ihre “erste Familienreise außerhalb Europas“ führt sie in ein unbenanntes Land am Rande des Dschungels und in die Katastrophe. Die „strengen Regeln“ scheinen außer Kraft gesetzt, ihre gestohlenen Kleider entdecken sie an den Einheimischen, die Entfernungen führen ein Eigenleben, Marko tötet einen jungen Mann, der aber dann wieder d erscheint, die Kinder wissen nicht mehr, wo sie hingehören, nur Ladivine taucht scheinbar unbefangen in diese tropische Welt mit ihren Menschen ein, die immer zu nahe kommen, „wo sie endlich das Glück erfahren durfte, ohne alle Lebensschwere sie selbst zu sein”. Schließlich kehrt Ladivine nicht mehr mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Hat sie die Magie verschlungen? Ist es eine Flucht aus der Kälte des Nordens oder eine Rückkehr in eine unbekannte Heimat? Marie Ndaye hält das Ende offen, Gewissheiten gibt es nicht, die Gefühle sind nicht in den Griff zu kriegen. Sie „verstand, daß ihre Mutter, um leichten Herzens zu bleiben, nur einen vorsichtigen Kontakt mit der Wirklichkeit halten konnte, gedämpft von Zerstreutheit und einer ständigen leichten Entrückung“.
Marie Ndiaya findet nicht die Stärke ihrer früheren Bücher. Die Erzählung kommt nicht voran, läuft im Kreis, verheddert sich im Wirrwarr der Gefühle, springt oft unmotivert in Vergangenheiten, weiß nicht, woran sie sich halten kann. Einen großen Teil des Romans nimmt das Schicksal von Mutter Malinka/Clarisse ein, immer wieder klammert sich Ladivine an ihre Abrtrünnigkeit, gibt sich Schuld am Tod ihrer Mutter. So bleibt ihr zu wenig Empathie für ihre deutsche Familie, ihre Kinder, ihren Beruf als Französischlehrerin.
An allen möglichen Orten – und das ist wörtlich zu nehmen – begleitet ein Hund ihre Wege, bedrohlicher Beschützer, er kommt nicht näher, lässt sich aber nicht abschütteln. Ladivine möchte sich „in die Haut des Hundes einquartieren“. Schon in Wiege des Babys Ladivine hatte sich ein Hund „mit der geheimnisvollen Seele“ eng neben das Kind gelegt. Magischer Realismus.
Der Hund war da, auf der anderen Straßenseite, er war jetzt wegen ihr da und lauerte auf den Moment, in dem Ladivine Riviere blinzelnd aus dem Halbschatten des Hotels auftauchen und ein paar Sekunden auf dem löchrigen Gehweg stehenbleiben würde, im grellen Licht des späten Vormittags, wie sie es jeden Tag tat, unentschlossen, glücklich und von tiefer Ruhe erfüllt, bis irgendein winziger Zufall, der Ruf eines Kindes, das Aufflattern von ein paar Tauben, ja sogar eine Fliege auf ihrer Wange, sie dazu führte, ihre Schritte nach rechts oder nach links zu lenken.
Niemals geradeaus über die Straße, denn da war der Hund und beobachtete sie.
Sie hatte keinen Zweifel daran, daß er jetzt wegen ihr kam, nachdem er vielleicht, vielleicht ganz am Anfang wegen Marko oder der Kinder gekommen war.
Aber daß Daniel und Annika durch den Hund beaufsichtigt, behütet oder bewacht werden könnten, daß ein solcher Schutz oder eine solche Kontrolle nötig sein und der Hund dies verstanden haben könnte – diese Vorstellung widerstrebte ihr so sehr, daß sie sie voller Abscheu verworfen hatte und daß diese Möglichkeit ihr jetzt absurd vorkam.
2014 445 Seiten
Leseprobe beim Suhrkamp-Verlag
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