Nachrichten vom Höllenhund


Brentano
26. Januar 2015, 19:45
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Bernard von Brentano: Theodor Chindler

brentanochindler»Papa ist innerlich verwirrt, glaube es mir. Er ist viel zu klug, um nicht zu wissen, daß er nun nicht plötzlich das ganze Land katholisch machen kann. Aber was er eigentlich tun soll, weiß er bestimmt nicht(…) Er braucht Hilfe

Leopold Chindler analysiert seinen Vater Theodor Chindler, Zentrums-Abgeordneter im Reichstag und Oberhaupt einer grobürgerlich-katholischen „deutschen Familie“. Bernard von Brentano beschreibt in seinem Roman von 1936, wie diese deutsche Familie sich und ihre Norm- und Wertvorstellungen durch die Zeit des ersten Weltkriegs bringen will, er zeigt vor allem ihre Hilflosigkeit. Keiner weiß, „was er eigentlich tun soll“, als die überkommenen Verjältnisse keinen Haltepunkt für Denken und Handeln mehr bieten. Theodor Chindler ist gegen Krieg, auch gegen diesen, er erklärt ihn sich aber eher aus der Unfähigkeit der alten Obrigkeiten Kaiser, Regierung und vor allem der Generäle der OHL. Wirtschaftliche oder soziale Verhältnisse sind für ihn nur Thema, als sie seinen Katholizismus tangieren. Geld interessiert ihn nicht, er hat seine Villa in Neustadt, betreibt ein bisschen Politik ,steht dabei aber so sehr am Rande, dass er nach dem Krieg – unbelastet und als Zivilist – in die Regierung mit den Sozialdemokraten eintreten kann. Er mischt sich hier so wenig ein wie in die Familie, wo er sich überfordert in sein Zimmer zurückzieht. Er ist katholisch, das ist sein Credo, in einem Vortrag vor der katholischen Frauengruppe seiner Frau stellt er den Pazifismus hinter die Pflicht sich unterzuordnen zurück. Theodor Chindler ist eie blasse Titelfigur, die den Roman nicht tragen kann und von Brentano zu oft aus dem Blick gezogen wird. Auch die anderen Mitglieder der Familie wissen kaum, was sie „eigentlich tun“ sollen. Elisabeth, Ehefrau und Mutter, geht ganz darin auf, ihre Familie zusammenzuhalten, was ihr in den Wirren der Kriegszeit natürlich immer weniger gelingen kann.

In der Nacht, als Elisabeth schlaflos lag, machte sie eine Bilanz ihres Lebens. Bis zum Krieg hatte sie ihr Leben nach einfachen, nie bezweifelten Grundsätzen gelebt und keine andere Überlegung gekannt als die, ihre Familie aufwärts zu führen, das Leben bis zur Höhe, die Seelen zum Himmel. Klüger sein als die anderen, fromm und tugendhaft leben, zäh und zielbewußt arbeiten, sparen und zu Geld kommen, Karriere machen, brave, aber vermögende Frauen heiraten (nur nicht solche armen Mädchen, wie sie selber gewesen war), sich auszeichnen, das waren die Grundsätze, die sie ihre Söhne lehrte. Der Krieg hatte alles umgeworfen. (…)Nun blieb ihr nur noch Theodor, ihr Mann, der zusehends verfiel, zernagt von Pessimismus, Zorn und Verzweiflung. Wie ein gefangener Wolf lief er verbittert und vergrämt zwischen den Stäben seiner Weltanschauung auf und ab, mit der er nichts mehr anzufangen wußte. Elisabeth sah es wohl. Seit Wochen war er nicht mehr in die Kirche gegangen.

Die älteren Söhne Karl und Ernst gehen in den Krieg, ohne dass ihnen klar wird, für wen oder was sie kämpfen oder was ihre „Werte“ sein könnten. Karl spielt eine kleine Rolle, Ernst flüchtet sich in philosophische Lektüren und vergisst darüber das Leben. Als Figuren bleiben beide ebenso blass wie der jüngste Sohn Leopold. Dieser erhält im Roman eine Episode, als sich ihm ein Mitschüler mit homosexuellem Ansinnen nähert, was aber die aufgewühlte Mutter zu verhindern weiß. Dieser Romanstrang wird nicht weiter verfolgt, Leopold taucht nur am Rande auf, auch wenn ihn seine Schwester hochstellt. “Wie bleich er war, der gute Kamerad, ihr bester unter allen Menschen dieser Stadt. »Wenn du älter sein wirst, wirst du verstehen, warum ich diese Stadt fliehe. Man hat uns nicht besiegt, sondern gemordet! Hier ist alles geschändet.« Leopold schwieg und schaute über das Geländer in die Wasser hinab.” Auch Leopold sieht “kein Ziel, dem er zuwandert”. Von größerem Interesse sind die beiden jungen Frauen. Maggie Chindler verlässt die Familie, arbeitet zunächst – ein erster Versuch der sozialen und weiblichen Emanzipation – im Krankenhaus und liiert sich dann mit dem Spartakisten Caspar Koch, der als Agitator für seine Ziele durch den Untergrund Berlins zieht und nach dem Krieg von den neu angepassten Ordungskräften der diffusen Linken ermordet wird. Auch Maggie geht für ihre “Ideale” ins Gefängnis und zuletzt wieder “nach Berlin”. Maggie ist die einzig konsequente Figur im Roman. Die zweite Frau, die ein Ideal hat, ist Lilli, die Frau von Ernst. Lilli ist schön und rätselhaft. Ihr Ideal ist sie selbst. Auch Ernst kann sie nicht halten, Lilli ist ein ‘Freigeist”, ein importierter Ausblick auf die kommenden Zeiten jenseits der Ordnung, die man kennt und erhalten will. Auch Lilli ist so nur möglich durch die Umwälzungen des Krieges, Brentano lässt sie nicht nur Übel sein.

»Ich habe dir mehr als einmal gesagt, was ich tue«, sagte Lilli, »ich probiere, was eine Frau wie ich in diesen Zeiten, in denen ich nun einmal lebe, tun kann. Ich habe kein Talent zum Dasitzen und Warten; darum habe ich es erst gar nicht versucht, oder mindestens nicht über eine gewisse Zeit hinaus versucht, als mein Mann eines Tages fortging in diesen sogenannten Krieg und mich allein ließ. (…)Man weiß ja nicht, was man tun soll, es steht nirgendswo geschrieben und sagen tut es einem erst recht keiner. Wahrscheinlich weiß überhaupt niemand mehr, wie man handeln soll…, du aber weißt es sicher nicht!« … »Nach den landläufigen Begriffen habe ich schlecht gehandelt, aber diejenigen, welche nach jenen Begriffen leben und handeln, sind auch nicht besser. Sie sind alle so gedrückt, von ihrem Leben zurechtgebogen wie Töpfe, in die der Regen fällt und der Schnee, und sie werden naß und kalt, es friert und taut wieder, die Sonne scheint, alles kommt und alles geht vorüber… das wollte ich nicht… so will ich nicht leben.« Lilli schwieg. Sie nahm ihre Hände auseinander und strich sich mit beiden mehrmals über die Augen und weiter über die Haare.

Brentano entnimmt sein Personal dem Ende der Kaiserzeit, der alten Ordnung. Er verflicht die fiktive Familie Chindler mit realen Personen der Zeitgeschichte und lässt sie auf deren Entwicklungen reagieren bzw. daran verzweifeln. Theodor Chindler trifft im Roman den bayerischen “Ministerpräsidenten” Georg von Hertling, der im letzten Jahr des Kriegs Reichskanzler war. Hertling ist ein Onkel Bernard von Brentanos und trägt so autobiografische Elemente in den Roman. Brentano war Miglied einer katholischen Studentenverbindung, engagierte sich später aber im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Interessant ist der Roman durch den historischen Hintergrund, die Familienmitglieder entwickeln demgegenüber nicht genug Eigenleben. Das gilt bevorzugt für die Titelfigur, deren Kontakt zu seiner Familie Brentano vernachlässigt. Dieses Verblassen der patriarchalischen Rolle ist natürlich auch ein Charakteristikum der spätwilhelminischen Epoche. Der Vergleich mit Heinrich Manns „Der Untertan“ stützt sich auf historische Parallelen, Heinrich Mann aber ist viel schärfer und entlarvt seinen Diederisch Heßling als Karikatur des autoritären Patriarchen. Brentano meint es gut mit seinen Chindlers. Auch deshalb hat es „Theodor Chindler“ nicht in den deutschen Literaturkanon geschafft.

1936           450 Seiten (TaBu)

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