Nachrichten vom Höllenhund


Houellebecq
5. Februar 2015, 18:47
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Michel Houellebecq: Unterwerfung

houelleunter„Unterwerfung“ ist ein Roman, kein politischer Essay. Unterwerfung ist nicht der Roman zu den Morden dieses Januars in Paris, Unterwerfung ist ein Roman zu Pegida und ihren europäischen Pendants der projizierten Angst. Charlie Hebdo setzt Houellebecq in der Woche der Anschläge auf den Titel, doch wird über der Sprechblase „En 2022 je fais Ramadan“ übersehen, dass darüber steht: „En 2015 je perds mes dents.“ Ein Buch der duplizierten Angst, doch die Zähne stehen Houllebecq bzw. seinem Ich-Erzähler François näher. Auch daran kann man die Schuld dem Islam zuschreiben.

Alles in allem waren diese beiden Escorts in Ordnung, aber trotzdem nicht gut genug, als dass ich Lust darauf gehabt hätte, sie wiederzusehen oder regelmäßigen Kontakt mit ihnen zu pflegen, und auch nicht so gut, dass sie mir Lust aufs Leben gemacht hätten. Sollte ich also sterben?

François’ zentrale Angstfrage: Werd ich bald sterben, weil ich älter bin? Ich stemme noch meine houelleunter2Geschlechtlichkeit, aber die Frauen muss ich bezahlen, seit meine Freundin Myriam nach Israel ausgewandert ist. Weil die Muslimbrüder die Macht übernommen haben, tragen die Frauen keine (kurzen) Röcke mehr und kommen verschleiert zur Vorlesung. Pauvre François, armseliger Houellebecq. François hat keine Antworten auf die politischen Themen, die er zwar anreißt, für die er sich aber nur moderat interessiert. Aber genau daher kommen die Ängste und Projektionen.

Ich musste fast eine Stunde lang umherlaufen, um mit einem Mal zu erfassen, was sich verändert hatte: Alle Frauen trugen Hosen. Das Aufspüren der weiblichen Oberschenkel, das geistige Bild einer Muschi an ihrem Schnittpunkt, dieser Vorgang, bei dem das potenzielle Ausmaß der Erregung in direktem Verhältnis zur Länge der entblößten Beine steht: All das lief bei mir dermaßen unbewusst und mechanisch ab, war geradezu genetisch verankert.

Als im Frankreich des Jahres 2022 der muslimische Präsident Mohammed Ben Abbes an die Macht kommt, ändert sich vor allem die Bildungspolitik.

»Nach dem Konzept der Bruderschaft muss jedes französische Kind von Anfang bis Ende seiner Schulzeit in den Genuss einer islamischen Erziehung kommen. Islamischer Unterricht unterscheidet sich in jeder Hinsicht sehr stark von einem laizistischen, er kann beispielsweise unter keinen Umständen gemischtklassig sein; überhaupt sollen nicht alle Schulformen für Mädchen zugänglich sein. Im Grunde wünschen die Muslimbrüder sich, dass die Mehrheit der Mädchen nach der Grundschule eine Hauswirtschaftsschule besucht und so schnell wie möglich heiratet; nur eine kleine Minderheit darf vor der Heirat Literatur oder Kunst studieren. Das ist ihre Vorstellung von einer idealen Gesellschaft. Darüber hinaus müssen die Lehrer muslimisch sein. In den Mensen müssen die muslimischen Speisevorschriften berücksichtigt werden und im Stundenplan die Gebetszeiten, fünfmal täglich. Aber vor allem muss der Unterrichtsstoff selbst den Lehren des Koran angepasst werden. «

François wird als Hochschullehrer an der Sorbonne entlassen. Zwar werden die Ausgaben für Bildung reduziert, doch François erhält eine unerwartet hohe Pension und könnte sich seinem Leben widmen, wenn das denn ein Ziel hätte. Er eiert in der Gegenwart herum, denn er hat sich in seiner Dissertation und in seiner akademischen Lehre hauptsächlich mit dem Fin-de-siècle-Mystiker Joris-Karl Huysmans beschäftigt, der aber für die eigene Lebenswelt nur muffige Denk- und schon gar keine Handlungsweisen bereitstellt. „Er strebte nach einem spiritualistischen Naturalismus, der Körper und Seele literarisch vereinen sollte.“ Erik Zyber, ZEIT) François sieht das so:

Das einzige echte Thema von Huysmans war das bürgerliche Glück, ein für den Junggesellen auf schmerzhafte Weise unerreichbares bürgerliches Glück, das nicht einmal das des Großbürgertums war, denn die Küche, die in Tief unten so überschwänglich gepriesen wird, ist eher das, was man als »ehrliche Hausmannskost« bezeichnen könnte; und noch weniger das der Aristokratie, denn für die »wappentragenden Trottel«, die er in Der Oblate anprangerte, hegte er immer nur Verachtung. Das wahrhaftige Glück stellte in seinen Augen ein vergnügliches Essen unter Künstlern und unter Freunden dar, ein Pot-au-feu mit Meerrettichsauce, dazu ein »ehrlicher« Wein und anschließend ein Pflaumenschnaps und Tabak in der Ofenecke, während draußen die Böen des Winterwindes um die Türme von Saint-Sulpice pfeifen.

(Auf den Spuren Huyymans versucht sich François auch in einem Kloster. „Die Menschen des romanischen Zeitalters hatten keine klare Vorstellung von Konzepten wie einem moralischen Urteil, einem individuellen Urteil oder der Individualität an sich, und auch ich spürte, wie sich im Laufe meiner immer ausgiebigeren Träumereien zu Füßen der schwarzen Muttergottes von Rocamadour meine Individualität auflöste.“

Hat das mit dem befürchteten Verlust der Zähne zu tun? Was den Roman kurzzeitig in die Schlagzeilen des Feuilletons brachte, sind die Spekulationen darüber, was eine Machtübernahme des politischen “Islam” in einer laïzistischen Republik bedeuten könnte. Das Thema ist legitim und könnte interessant sein, wenn man sich ernsthaft damit befasste. Houellebecq aber liefert nichts als ein eklektizistisches Konglomerat von Nicht-zu-Ende-Gedachtem. (Aber die Vorstellungskraft endet ja beim gedachten Treffpunkt der Frauenschenkel.)

Die Gedankenschwurbel leiht sich François bei Robert Rediger, der zum Islam konvertierte und so Präsident der Sorbonne bleiben und sich zudem mehrere Ehe-Frauen halten konnte (darunter eine 15-jährige fürs Fleischliche – François wird der Mund wässrig.) Rediger sympathisiert mit den Identitären, hegt Zweifel an der Evolution, fühlt sich Nietzsche nahe – so einer möchte François auch werden, dann könnte er „in einem Stadtpalais in einer bezaubernden Straße im fünften Arrondissement” wohnen und sich an Teigtaschen sattessen. In der „Unterwerfung“, der „Auflösung der Individualität“, liegt die Seligkeit. François kann sich mit diesem Gedanken anfreunden. „Das Bewerbungsgespräch (für die Wiedereinstellung) bildet die Coda des Romans, es ist eine Art Gipfeltreffen von Übermensch und Unterhose. Denn während Rediger seine biologistischen Thesen ausbreitet, interessiert sich François allein für das Kapitel Polygamie aus dem Leitfaden zum Islam, den Rediger verfasst hat.“ (Christopher Schmidt, SZ)

» Sehen Sie«, fuhr er fort, »der identitäre Block war in Wirklichkeit alles andere als ein Block, die Identitären bestanden aus zahlreichen Gruppierungen, die nicht miteinander konnten: Katholiken, Solidaristen, die dem Dritten Wegs nahestanden, Royalisten, Neopaganisten, unverfälschte Laizisten aus dem linksextremen Lager … Aber mit der Gründung der ‚Ureinwohner Europas’ ist alles anders geworden. Die haben sich anfangs von den Ureinwohnern der Republik + inspirieren lassen, das heißt, sie haben genau das Gegenteil von denen gemacht, und es ist ihnen gelungen, eine klare Botschaft zu vermitteln, die alle vereint: Wir sind Europas Urbevölkerung, die Ersten auf diesem Grund und Boden, und wir lehnen die islamische Kolonisierung ab; ebenso lehnen wir amerikanische Firmen ab und den Aufkauf unseres ererbten Landes durch die neuen Kapitalisten aus Indien, China und anderswo. (…)«

»Es ist die Unterwerfung«, sagte Rediger leise. »Der nie zuvor mit dieser Kraft zum Ausdruck gebrachte grandiose und zugleich einfache Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht. (…) Für mich besteht eine Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann, wie sie in Geschichte der O beschrieben wird, und der Unterwerfung des Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt. Sehen Sie «, fuhr er fort, »der Islam akzeptiert die Welt, und er akzeptiert sie als Ganzes, er akzeptiert die Welt, wie sie ist, um mit Nietzsche zu sprechen. (…) Für den Islam hingegen ist die göttliche Schöpfung vollkommen, sie ist ein absolutes Meisterwerk. Was ist der Koran letztlich anderes als eine sehr lange, schwärmerische Lobeshymne? Ein Lob des Schöpfers und der Unterwerfung unter seine Gesetze.

Natürlich ist François nicht Houellebecq. Aber Houellebecq hat sich François ausgedacht. Und so ist dieser Flirt mit einem moderaten Islam doch wenig anderes als die Pegida-Furcht vor dem Untergang des Abendlands. Houllebecq verknüpft das mit dem Unbehagen an der Kultur, wie sie Huysmans an der „unerträglichen Banalität seines Zeitalters“ (Erik Zyber) formuliert hat. Für François ist es vor allem die Angst vor einem Versagen der Lust. So sind auch die eingestreuten sexuellen Versuche sehr explizit sachlich beschriebene mechanische Anstrengungen sexuell verwendbarer Körperteile.

Nach einer Stunde war ich noch immer nicht gekommen, und dank ihr wurde mir bewusst, dass ich wirklich Standvermögen besaß. Tatsächlich hatte ich auch diesmal, obwohl meine Erektion zu keinem Zeitpunkt nachließ, nicht einen Augenblick lang auch nur das geringste bisschen Lust empfunden. Sie fragte mich, ob ich auf ihren Brüsten kommen könne; ich folgte der Aufforderung. Es war aber »auch nicht so gut, dass sie mir Lust aufs Leben gemacht hätten. Sollte ich also sterben?

François kokettiert mit seiner Huysmans’schen Décadence und imprägniert sich damit gegen die Erkenntnis des Lesers, es mit einem ausgemachten Ignoranten zu tun zu haben. Unterwerfung ist kein politischer Roman, dazu sind die Auswirkungen der Islamisierung viel zu wenig durchdacht und nicht in einen politisch-sozialen Zusammenhang gestellt. Das ist schade, denn das Thema ist wichtig. Ich weiß nicht, ob sich Houellebecq mit fortschreitendendem Alter wie Martin Walser der nationalen Frömmelei zuwenden oder ob er zu einem zynischen Reaktionär wie Peter Sloterdijk werden wird. „Jedes mal, wenn ich auf eine Beerdigung gehe, spüre ich, dass der Atheismus unserer Gesellschaften unerträglich geworden ist. Eine Gesellschaft ohne Religion ist nicht überlebensfähig.“ (Michel Houllebecq) „Man wird nicht reaktionär, wenn man das Buch anfasst – aber es ist auch nichts für intellektuelle Feiglinge.“ (Gero von Randow, ZEIT) Was will das über das Buch sagen?

2015         280 Seiten

P.S. „In einem Interview erzählt der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, dass die Todesfälle, die er in kurzer Zeit hintereinander erlebt habe, ein Anlass gewesen seien, seinen Roman Unterwerfung zu schreiben. Sein Atheismus habe den Tod seines geliebten Hundes und seiner Eltern nicht verkraften können. Der Verlust sei für ihn kaum auszuhalten gewesen. Auch der Protagonist seines Romans, François, begibt sich, von einer Sehnsucht nach dem Verbindlichen getrieben, auf Sinnsuche. Der ursprüngliche Titel des Romans sollte nicht Unterwerfung, sondern »Bekehrung« heißen. Im ersten Romanentwurf bekehrt sich der Erzähler zum Katholizismus. In der endgültigen Fassung wendet er sich vom dekadenten, erschöpften Abendland ab und wird Muslim.” (Byung-Chul Han, ZEIT) Das erklärt vieles, macht den Roman aber nicht überzeugender.

3-4

 

Der Roman zu den islamisch begründeten Anschlägen in Europa ist viel eher Leon de Winter: „Ein gutes Herz“, auch wenn der Titel das Thema verschleiert.


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